Die Räuberbraut und Johanna Dohnal

Sonja ist Landesfrauenvorsitzende der SPÖ Oberösterreich und Vorstandsvorsitzende des Gewaltschutzzentrums Oberösterreich. Ihr feministisches Bewusstsein hat sich schon früh entwickelt.

Sonja: Ich denke oft an ein Buch, das ich als 12-jährige gelesen habe: „Die Räuberbraut“ von Mira Lobe. Da erzählt die Hauptfigur Tilli, dass sie immer in der Küche arbeiten muss und ihre Brüder nicht. Da dachte ich, die beschreibt genau das, was mich stört. Und mein Vater hat immer gesagt, er brauche keinen Geschirrspüler, er habe ja drei Frauen daheim, - was braucht es mehr, um dich zur Feministin zu machen!

Einige von Sonjas Dohnal-Büchern

Was als Mädchen oft nur ein eher unbestimmtes Gefühl der Ungerechtigkeit auslöste, bekam mit den Jahren einen intellektuellen Unterbau. Anfang der 1980er Jahre gab es einen breiten öffentlichen Diskurs zu feministischen Themen und Johanna Dohnal war Staatssekretärin für Frauenfragen.

Sonja: Johanna hat mich sicher am stärksten geprägt - und zwar gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Annemarie Aufreiter. Johanna hat erklären können, warum Frauenpolitik ganz konkret so wichtig ist. Dass es etwa eine Rolle spielt, ob Frauen im Gemeinderat sitzen und mitentscheiden, wie der öffentliche Verkehr organisiert wird. Weil Frauen weniger Autos haben, und mehr auf den Bus angewiesen sind, spielt das eine große Rolle. Johanna konnte mit anschaulichen Beispielen erklären, warum etwas eine feministische Position braucht.

Uschi: Dinge zu erklären und Zusammenhänge dazuzustellen war eine ihrer großen Gaben.

Sonja: Ja und da versuchte ich von ihr zu lernen. Ich habe sie auch immer bewusst beobachtet. Es war zum Beispiel beeindruckend, wie sie mit Kritikerinnen umgegangen ist. Johanna ist ja nicht nur geliebt worden, vor allem radikale Feministinnen haben ihr ganz schön zugesetzt, zu Recht manchmal. Sie hat sich dafür interessiert und dann erklärt, welche Position sie vertritt und warum. Sie hat ihre Gegnerinnen eingeladen, mitzureden.

Uschi: Du hast dir oft Rat von Johanna Dohnal geholt, speziell als du Frauenvorsitzende wurdest, aber du bist ihr auch emotional eng verbunden gewesen.

Sonja: Ich habe viel mit ihr telefoniert, habe sie oft besucht. Mit Johanna noch einmal über die Dinge nachzudenken, gab mir auch ein Gefühl von Sicherheit. Und sie war so herzlich. Bei Besuchen im Weinviertel gaben mir Johanna und Annemarie immer Lebensmittelpakete mit und ich musste anrufen, wenn ich wieder zu Hause war, - es war eine starke emotionale Bindung, sie war ein Fels in der Brandung. Mit ihr hat man klüger und sicherer werden können.

Vollbremsung

Im Herbst 2013 verlor Sonja ihr Nationalratsmandat. Eine Enttäuschung, die allerdings nicht überraschend kam, da sie an einen unwählbaren Listenplatz gesetzt worden war. Jetzt ist Sonja Lehrerin in Teilzeit in einer neuen Mittelschule. Das heißt weniger Gehalt, weniger Öffentlichkeit, weniger Abwechslung.

Sonja: Weniger Geld zu verdienen war und ist kein Problem. Aber ich hatte vorher eine relative Sicherheit in meinem Job als Nationalratsabgeordnete und dann war plötzlich alles neu und der Boden unter meinen Füßen begann zu wackeln. Ich hatte Angst, dass ich das Unterrichten nicht mehr konnte und hatte einige schlaflose Nächte. Ich musste vor allem fremde Fächer unterrichten (Sonja unterrichtet zur Zeit nicht ihre erlernten Fächer Englisch und Geschichte, sondern Deutsch und Turnen) und hatte in ersten Tagen das Gefühl, es nicht zu schaffen. Ich fühlte mich nicht mehr handlungsfähig und war total verunsichert. Die Vollbremsung nach dem hohen Takt im Parlament und gleichzeitig die hohe Anforderung in der Schule gaben mir das Gefühl, dass ich verbrenne.

Sonja

Uschi: Dabei bist du ja von deinen Kolleginnen und Kollegen in der Schule gut aufgenommen worden.

Sonja: Ja, und das hat mir dann auch geholfen. Speziell zwei Lehrerinnen, die mir erklärten, es sei ganz natürlich, dass mir der Umstieg schwer fiel, ermutigten mich sehr. Sie verglichen meine Probleme mit denen einer Wiedereinsteigerin nach einer langen Schwangerschaftskarenz, für die es auch schwer ist nach langer Zeit wieder in der Klasse zu stehen. Ich war meine eigene Unsicherheit, was mein Handwerk betrifft, einfach nicht gewohnt. Dann verlor ich noch meine Stimme, bekam eine Grippe und es dauerte einige Wochen, bist ich Sicherheit gefunden und mich körperlich erholt hatte.

Uschi: Und jetzt?

Sonja: Was ich jetzt gut finde, ist natürlich, dass ich mehr Zeit habe und vor allem, dass ich Nachrichten anschauen kann, ohne zu überlegen, „was muss ich jetzt am nächsten Tag dazu sagen?“ Ich kann heute den Kulturteil in der Zeitung aufschlagen und lesen und brauche mir nicht denken, dass ich dazu aktiv werden muss. Das befreit schon sehr.

Wohlfühltermine

Uschi: Du warst als Abgeordnete auch SPÖ Kultursprecherin. Aus echter Neigung oder weil es so schön war, „Wohlfühltermine“ wahrzunehmen? (Als Maria Fekter als Finanzministerin abgesetzt und zur Kultursprecherin der ÖVP ernannt wurde, meinte sie, sie werde in Zukunft nur mehr „Wohlfühltermine wahrnehmen“.)

Sonja: (lachend), nein, das sind ja nicht immer Wohlfühltermine. Ich weiß gar nicht, wie Fekter auf den Ausdruck „Wohlfühltermine“ gekommen ist, sie hat damit, wie es ihre Art ist, so viel kaputt gemacht. Mich faszinieren am Theater die Momente, in denen ich die Welt plötzlich auf andere Art und Weise begreife. Kunst ist für mich, wenn plötzlich ein Fenster aufgeht, wenn du auf etwas einen Blick werfen kannst, den du vorher nicht hattest. Das möchte ich auch in der Schule so vermitteln. Dass man einmal in die Woche zum Beispiel ins Theater oder Museum geht, nicht schön angezogen um keine Barrieren zu schaffen, sondern eher als Alltagspraxis. Schön ist auch, sich unvoreingenommen auf etwas einzulassen. Da sitzen ein paar Hundert Zuschauer und jeder empfindet das anders, im Theater genauso wie in einer Ausstellung. Und dass einem das so nahe ist, dass man Kunst auch persönlich nehmen kann, sich also auch ärgern und schimpfen kann….

.....und außerdem:

Ich bin eine in der Wolle gefärbte Sozialdemokratin. Meine Mutti hat immer gesagt „die Hand tät' mir abfallen, bevor ich etwas anderes wähl'“ und „man darf mit den Kommunisten schon reden, aber man muss wissen, wo man daheim ist.“ Mit solchen Sprüchen bin ich aufgewachsen. Das sehe ich heute nicht mehr so, aber damals war das so klar.

Mein Ehemann Bernd hat mein politisches Denken sehr beeinflusst. Wir haben uns immer gegenseitig unsere Texte zum Durchlesen gegeben. Ich bin schwarz-weiß, Bernd hat Fähigkeit die Grautöne herauszuholen. Er ist so belesen und ein wandelndes Lexikon. Er ist schneller als Google.

Über Social Media kommuniziere ich viel. Facebook ist ja ein großer Stammtisch. Facebook ist natürlich nicht das Parlament, aber da haben ja auch nicht so viele meine Meinung geteilt (lacht). Im Klub hatte ich definitiv weniger Likes auf meine Aussagen, als ich jetzt auf Facebook habe.

 

Uschi: Auf einer Zufriedenheitsskala von 1 bis 10. Wie zufrieden bist du zur Zeit mit deinem Leben?

Sonja: Ich glaube schon schon 10 (fragend)….

Uschi: 10?

Sonja: Ja, ich glaube schon.

Papua Neuguinea und 12 Kinder

Wenn Sonja an die Ziele denkt, die sie in früheren Jahren hatte, dann kommen ihr vor allem zwei Lebenspläne in den Sinn: Entwicklungshelferin in Papua Neuguinea werden und zwölf Kinder haben.

Sonja: Naja, die Zahl 12 war ein bissl Gerede, aber viele Kinder wollte ich schon. Als Moritz drei war, kam ich ins Parlament, da ging sich einfach nichts mehr zusätzlich aus, nach meiner ersten Legislaturperiode als Abgeordnete war ein Kind zwar Thema, aber da bin ich wieder in die Schule eingestiegen und dachte, „ich kann jetzt nicht gleich schwanger werden, das tut man nicht“. Und dann war ich 38 und der Wunsch ist irgendwie verflogen. Aber wenn ich nicht Politikerin geworden wäre, sondern durchgängig Lehrerin gewesen wäre, hätte ich sicherlich mehr Kinder gehabt.

Uschi: Wie hat sich das Leben als Politikerin mit einem Kind organisieren lassen?

Sonja beim Lesen von frauenleben.eu

Sonja: Bernd war anfangs in Teilzeitkarenz, meine zwei Schwestern und meine Mutter haben geholfen. Ich habe ja den Eindruck, dass ich viel bei meinem Sohn war, aber dann schrieb Moritz in einem Schulaufsatz in Englisch: „I was mainly raised by my father (lacht). Ich hatte gedacht, ich habe mich so zerrissen, damit ich immer da bin, hatte das Gefühl, dass ich mein Bestes gegeben habe und dann stand da dieser Satz. Ich habe Moritz darauf angesprochen und er meinte, "ja eh, aber das war doch eine super Formulierung", - das hat mich dann doch etwas getröstet.

Uschi: Wahrscheinlich ist es dir, so wie tausenden anderen Frauen ergangen, die sich selbst als Rabenmütter fühlen weil sie Karriere machen oder auch nur einen Vollzeitjob anständig erledigen wollen.

Sonja: Ja genau, das ist uns doch eingewoben. Wir als Feministinnen reden zwar ständig dagegen, aber wir wissen auch warum wir dagegen reden, weil wir es eben so gut kennen. Und wenn dann die Supermütter auftreten, die Marmelade einkochen, einen Poncho stricken, die Bürgschaft auswendig wissen und drei Kinder haben, die sie in fünf verschiedenen Turnkurse bringen, und du selbst hast nur ein Kind und scheiterst in der Organisation rundherum schon daran, dann musst du dir ordentlich gut zureden, dass du dich nicht in Selbstzweifeln verlierst.

Uschi: Die 12 Kinder sind also kein Thema mehr, was ist mit Papua Neuguinea?

Sonja: Ich war damals in jungen Jahren viel in der katholischen Kirche, da war das irgendwie Thema und das hat mich interessiert. Um ganz konkret etwas zu tun und nicht nur immer darüber zu reden, wie man Ungerechtigkeiten beseitigen kann. Da merke ich übrigens das Alter: Mit 17 kannst du alles werden. Das ist wie ein breiter Fächer. Und mit jedem Jahr geht dieser Fächer ein Stück zu. Damals war alles offen: Ich könnte nach Australien gehen oder eben Papua Neuguinea oder sonst was tun. Ich finde ich manchmal traurig, dass dieser Fächer ein bisschen zugeht. Andererseits wird man viel sicherer und es wirft einen nichts mehr so leicht aus der Bahn. Außerdem ist es auch beruhigend, dass ich nicht mehr muss. Ich muss nicht mehr müssen……

Der Verlust der Heimat

Uschi: Gibt es noch einen Weg zurück in die Politik?

Sonja: (zögert mit der Antwort). Das ist schwierig zu beantworten, was ich nämlich noch nicht verarbeitet habe, das ist die Reaktion auf das letzte Wahlergebnis - immerhin das Schlechteste seit 1919. Wenn ich dann die Reaktion in der Partei ist, „wir sind ja trotzdem als erste in Ziel gekommen“, - entsteht das Gefühl, dass das nichts mehr wird mit der Partei. Diesen Gedanken auszusprechen ist ja fast schon ketzerisch, so wie ich aufgewachsen bin. Aber der Gedanke ist in den letzten Monaten da und das hat nicht nur damit etwas zu tun, dass ich nicht mehr im Parlament bin. Es ist fast, als würde ich den Glauben an meine Partei verlieren.

Uschi: Das heißt, du hast Angst, dass dir die Partei als Heimat entgleitet?

Sonja: Ja genau, Angst, dass mir die Partei verloren geht. Und darum geht es natürlich auch, wenn ich über weiteres politisches Engagement nachdenke. Was mich grundsätzlich interessieren würde, ist Europapolitik. Und ich habe ja auch nach wie vor so viel Freude daran, mich in Dinge einzulesen und mit Menschen, die ähnlich denken wie ich, Nächte lang darüber zu diskutieren, was jetzt notwendig wäre.

Uschi: Angenommen wir führen so ein Gespräch in fünf Jahren noch einmal, wo siehst du dich dann?

Sonja: Ich könnte mir vorstellen, dass es in fünf Jahren im Wesentlichen so ist wie jetzt. Dass ich in der Schule unterrichte, im Gewaltschutzzentrum aktiv bin, Frauenpolitik mache. Das ist keine Vorstellung, die mich irritiert, genauso wie ich mir auch vorstellen könnte, etwas im Europaparlament zu machen.

Das Gespräch wurde am 27. Februar 2014 in Linz geführt.

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