Wieder mit der Tochter

Nachdem Alexandra ihr Leben wieder halbwegs im Griff hatte, besuchte sie ihre Tochter regelmäßig auf dem Biobauernhof, auf dem sie jetzt lebte.Alexandra Gusetti

Alexandra: Wir haben beide unter der Trennung gelitten. Ich hatte nach meiner Meisterprüfung zur Tischlerin und meinem Einstieg in die sozialpädagogische Arbeit gute Möglichkeiten zum Geldverdienen und hatte auch das Glück, mit einer Therapeutin den Schmerz über mein verstorbenes Kind verarbeiten zu können. Und da konnte ich dann zum ersten Mal wieder an die Möglichkeit denken, dass es ein Leben mit meinem Kind geben könnte.

Zwischen Alexandra und Hannas Vater entwickelte sich wieder eine Gesprächsbasis und die inzwischen Zehnjährige kam wieder zu ihrer Mutter.

Alexandra: Wir sind nach Steyr gezogen. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass ich ja gar nicht weiß, wie man sich als Mutter verhält, aber es wurde dann ganz schnell selbstverständlich.
Heute ist unsere Beziehung sehr gut und wir sind uns auch bewusst, dass es anders sein könnte.

Uschi: Hat sich deine Tochter nicht von dir verlassen gefühlt? Du hast sie ja weggegeben. Habt ihr darüber geredet?

Alexandra: Ja, sie hat das immer gewusst und ich habe das auch nie beschönigt. Ich war ja nicht nur Opfer, sondern ich habe auch viele Fehler gemacht. Lange dachte ich auch, dass dieser Vorwurf einmal kommen würde, er kam aber nicht.

Uschi: Du hast zwei Enkelinnen. Wie erlebst du das?

Alexandra: Wir fahren zum Beispiel alle gemeinsam auf Urlaub oder verbringen ein verlängertes Wochenende zu viert. Wir bemühen uns Zeit zu finden, die wir dann bewusst gestalten. Wir achten sehr darauf es uns schön zu machen.

Östliche und westliche Philosophie

Uschi: Nach all den Schwierigkeiten, die du als junge Frau erlebt hast, hat dein Lebensweg eine bessere Richtung genommen.

Alexandra: Ja, wenn ich dir jetzt von dieser verzweifelten jungen Frau erzähle, dann denke ich, dass das ein anderes Leben war. Mein Leben hat sich schon unglaublich positiv entwickelt. Dafür ist sicher auch Qi Gong verantwortlich. Das stabilisiert mich offenbar, macht mich gesund, da entwickelt sich in mir etwas. Das hat mir sehr geholfen, in eine Auseinandersetzung mit mir selbst zu treten und hat mich auch bei Aufarbeitungsprozessen unterstützt.Alexandra beim Qi Gong

Uschi: Deine Beschäftigung und Arbeit mit Gi Gong und Tai Chi hatte zumindest zwei Komponenten. Die Körperarbeit und die Beschäftigung mit östlicher Philosophie und östlichen Heilkundekonzepten.

Alexandra: Ich wehre mich immer gegen den Begriff „Körperarbeit“. Qi Gong heißt „Arbeit mit Qi“ und auf diese alte meditative, östliche Arbeit kommt es an. Nachdem ich mich erfangen hatte und wieder sicherer im Leben geworden bin, begann ich mich in östliche Philosophie und chinesische Medizin zu vertiefen. Ich habe die alten östlichen Künste auch sehr gerne unterrichtet, fand es aber dann wichtig, auch einen Reflexionsbogen in unsere Kultur zu ziehen.

Uschi: Nach der östlichen Philosophie bist du unseren abendländischen Wurzeln nachgegangen. Bist du mit der östlichen Philosophie nicht satt geworden?

Alexandra: Satt geworden bin ich, aber bei der intellektuellen Beschäftigung habe ich bemerkt, dass ich gerne ein Handwerkszeug für die kritische Reflexion hätte. Und das habe ich dann über wissenschaftliches Arbeiten an der UNI gelernt. Da habe ich das Instrumentarium dafür erworben.

Uschi: Du sagst, dass das Philosophiestudium für dich eine logische Folge deiner bisherigen Arbeit und des Verfolgens deiner Interessen war. Was meinst du damit?

Alexandra: Ja, das begann ja schon damit, dass ich im Gymnasium nicht satt geworden bin, dass es mir zu wenig hinterfragend war. Es hat mich damals unglaublich gestört, dass da Dinge behauptet, aber nicht hinterfragt wurden. In der Volksschule bin ich einmal heimgekommen und habe zu meiner Mutti gesagt „2x2=4……. wahrscheinlich schon, aber vielleicht nicht immer.“ (lacht) So denke ich auch heute noch, nur wusste ich damals noch nicht, dass es eine Erkenntnis der modernen Physik ist, dass 2x2 eben auch einmal nicht 4 sein kann.

Uschi: Ich bemerke zwei Seiten in deinem Leben. Die praktische, die du zum Beispiel mit der Tischlerei gelebt hast und die theoretische, die du beim Philosophiestudium ausleben konntest.

Alexandra: Naja, du darfst nicht vergessen, dass diese Trennung von Praxis und Theorie eine westliche Erfindung ist. Ich würde das ja gar nicht so sagen. Wenn das, was man unterrichtet, keinen Bezug zum Leben hat und auf einer theoretischen Ebene bleibt und die Menschen das nicht in ihr Leben integrieren können, dann ist lernen sinnlos. Es gibt auch viele Beispiele in der Philosophie dafür von John Dewey bis zu William James. Denn das kritische Reflektieren ist ja auch eine Praxis, die eine handfeste Beziehung zur Verwertbarkeit herstellt.

.....und außerdem:

Feminismus: „Patriarchatskritisch“ gefällt mir besser als feministisch. Ich bin vorsichtig mit dem Wort, weil der Feminismus der 80er Jahre sehr extrem war. Von der Art „Schwanz-ab-Feminismus“ habe ich mich schon distanziert. Ich glaube auch nicht, dass lesbische Frauen, die besseren Frauen oder Frauen allgemein die besseren Menschen sind. Eine meiner größten feministischen Leistungen ist wahrscheinlich, dass ich die Debatte um die Bundeshymne begonnen habe.

Beziehungen: Ich bin nicht so die Beziehungsexpertin. Wenn eine Beziehung bei mir ein Jahr hält, ist das schon gut. Es hat immer wieder schöne Beziehungen in meinem Leben gegeben. Ich glaube, Partnerschaft ist nicht das große Thema in meinem Leben, aber vielleicht wird es das ja noch einmal.

Studium: Prüfungen waren für mich immer ein Genuss. Da konnte ich mich mit jemandem unterhalten, der auch etwas davon versteht. Das sehe ich auch heute noch so. Ich finde es immer toll, mich mit Leuten auseinanderzusetzen, die kompetent sind.

Uschi: Auf einer Zufriedenheitsskala von 1 bis 10 betrachtet. Wie zufrieden bist du mit deinem Leben?

Alexandra: 81/2 (lacht)

Kopfüber in die Natur

Uschi: Deine Dissertation beschäftigt sich mit Naturphilosophie und du hast auch ein Buch mit dem Titel „Kopfüber in die Natur“ geschrieben. Da beschäftigst du dich ja sehr konkret damit, was Natur ist und inwieweit wir ein Teil davon sind. Wie wirkt sich dein Naturbegriff praktisch auf dein Leben aus?Alexandra lesend

Alexandra: Durch die meditative Praxis über so lange Zeit fühle ich mich eingebunden in Natur und in die Welt. Eingebunden in alles, was ist, auch wenn das jetzt vielleicht esoterisch klingt. Das geht darüber hinaus, dass ich gerne draußen bin und dass Gehen für mich eine der schönsten Beschäftigungen ist. Es geht um das ganz einfache Sein mit allem, was ist. Das betrifft natürlich auch Umwelt und Menschen. Es geht um die Selbstverständlichkeit, Teil eines großen Ganzen zu sein.

Uschi: Hat das etwas Religiöses?

Alexandra: Nein. Das hat nur etwas mit einem Grundgefühl zum Leben zu tun.

Uschi: Jetzt bist du also gelernte Philosophin, aber du arbeitest in unterschiedlichen Bereichen.

Alexandra: Für mich ist es sehr befriedigend, Menschen begleiten zu dürfen. In der Burnout-Therapie, in der therapeutischen Begleitung. Das tue ich sehr gerne. Ich mag es, mit Menschen auf Forschungsreisen zu gehen. Ich unterrichte gerne, aber ich mag auch das Individuelle, die biografische Arbeit und Achtsamkeitsarbeit. Ich habe mir aus vielen verschiedenen Ausbildungen mein Handwerkszeug zusammengesucht.

Uschi: Wenn dich jemand nach deinem Beruf fragt, - was antwortest du da?

Alexandra: (lacht herzlich), Da komme ich immer in die Bredouille. Wenn ich mich vorstellen muss, dann sage ich „ich bin von meiner Ausbildung her Philosophin, Beraterin und Qi Gong-Lehrerin und arbeite in Aus- und Fortbildung und mit Institutionen in Projekten, bei denen es um praktische Lebensphilosophie geht...“ und an diesem Satz erwürge ich mich fast… (lacht).

Land der Hemma

Während unseres Gesprächs in Alexandras schöner Altbauwohnung erzählt sie, wie sie vor zwanzig Jahren einen Anstoß dafür gegeben hatte, dass die österreichische Bundeshymne auch Töchter mit einschließen sollte. Sie holt einen großen Ordner mit umfangreicher Korrsepondenz und zeigt mir Briefe mit der Forderung nach einer Textänderung, die sie 1994 an hundertfünfzig Politikerinnen und Politiker verschickte hatte. Zeitungssasschnitt

Die Reaktionen von Alois Mock bis zu Erwin Pröll, von Heinz Fischer bis zu Madeleine Petrovic waren sehr unterschiedlich. Karl Stix, damals Landeshauptmann des Burgenlandes meinte zum Beispiel:

„Die Verwendung von nur einem Begriff …… impliziert, dass die fehlenden Teile …… in automatischer Assoziation gedanklich beigefügt werden müssen: Land der Berge (und Täler/Ebenen); Land der Dome (und Stifte/Klöster); Land der Hämmer (und Sicheln/Sensen); so eben auch Heimat bist du großer Söhne (und Töchter).“

Wirklich bemerkenswert ist die Stellungnahme aus dem Büro des damaligen Landeshauptmanns der Steiermark, Josef Krainer:

„….darüber hinaus dementiert die Textzeile „Land der Hemma zukunftsreich“ die von Ihnen festgestellte Frauenfeindlichkeit.“

Alexandra bedankte sich für den interessanten Hinweis und fragte nach, ob sich der Landeshauptmann vielleicht auf Hemma von Gurk, die Schutzpatronin Kärntens, beziehe. Sie versprach auch, die neue Rechtschreibung der „Hemma“ an den Bundespräsidenten weiterzuleiten.

Das Gespräch wurde am 30. September 2014 in Linz geführt.

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