Literatur ist nach wie vor enorm wichtig in ihrem Leben. In einer eigenen Fernsehsendung kann Silvana Steinbacher ihrer Leidenschaft Raum geben. Die Zeit seit unserem letzten Gespräch vor mehr als einem Jahrzehnt war geprägt von Angst und Sorge um ihren Ehemann im ersten Jahr der Pandemie, aber auch von Zufriedenheit mit ihrem ersten Roman und ihrer ehrenamtlichen Arbeit beim Roten Kreuz. Sie erzählt über die Freuden und Leiden des Älterwerdens und ihr Faible für schöne Kleidung.

Hier geht es zum ersten Interview, das wir geführt haben: Gespräch 2014 Link


EIN JAHR IN ANGST

Uschi: Die Wohnung, in der wir dieses Gespräch führen, ist zwar eine andere als 2014, weil ihr inzwischen umgezogen seid, aber der Raum, in dem wir sitzen, ist wieder von Büchern dominiert.

Silvana: Ja, ich bin nach wie vor eine Vielleserin, Literatur ist mir sehr wichtig.

Uschi: Wie ist es dir in der Zeit seit unserem letzten frauenleben-Gespräch im Jänner 2014 ergangen?

Silvana: Die Zeit war natürlich sehr geprägt von den äußerlichen Ereignissen, die Corona-Zeit hat mich unter anderem erschüttert: Ich hätte nicht gedacht, dass ich in so einer Gesellschaft lebe. Dazu die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Was das Private betrifft, bin ich sehr froh, dass sich die Krankheit von meinem Mann Christian nicht dramatisch entwickelt hat. Da bin ich sehr dankbar, - wem auch immer - ich bin ja nicht religiös.

Uschi: Die Zeit des Anfangs der Pandemie wurde von Menschen sehr unterschiedlich erlebt - wie war die Zeit für dich?

Silvana: Am Beginn der Pandemie habe ich in großer Angst gelebt, bis es die Impfung gegeben hat, weil Christian ja durch seine Krankheit ein hoch vulnerabler Mensch ist und ich immer fürchtete, dass er infiziert werden könnte. Ein ganzes Jahr lang in Angst zu leben, macht etwas mit einem Menschen, das hat mich sehr mitgenommen. Die Impfung war für mich ein Festtag, ich kann einfach nicht verstehen, wie man den Impfschutz ablehnen kann. Dieser fahrlässige und unsolidarische Umgang mancher mit dieser Bedrohung, das war für mich überhaupt nicht nachvollziehbar.


Silvana Steinbacher bei der Arbeit
Silvana Steinbacher bei der Arbeit

Uschi: Und wie hast du die Zeit der Lockdowns empfunden?

Silvana: Das war nicht so leicht. Dabei waren wir uns immer bewusst, dass wir in einer äußerst privilegierten Situation leben. Das heißt, wir verstehen uns, wir haben eine große Wohnung, wir waren beruflich nicht mehr eingespannt, aber meine Tochter und Freunde nicht treffen zu können, war schon sehr schwierig.

Uschi: Du und ich haben das so gelöst, dass wir uns zu Spaziergängen getroffen haben.

Silvana: Ja, mit einem Meter Abstand.

Uschi: Aber ich finde, dass wir das gut gemacht haben. Diese Spaziergänge, manchmal mit einem Coffee to Go.

Silvana: Ja und auch Christian und ich haben viele Spaziergänge gemacht. Beim ersten Lockdown ist man so dem Frühling entgegengegangen. Beim zweiten war es November, es ist früh dunkel geworden und das war schon ein großer Unterschied. Da sind mir dann auch Besuche von kulturellen Veranstaltungen und Restaurants abgegangen.

Ein erster Roman und ein Fallschirmsprung

Uschi: Literatur nimmt, wie nicht anders zu erwarten war, immer noch großen Platz in deinem Leben ein. Wohin entwickeln sich denn deine Vorlieben?

Silvana: Das ist schwierig zu sagen, weil ich so viele verschiedene Autoren lese. Zeitgenössisches genauso wie Klassiker, jetzt zum Beispiel gerade Tolstoi, Die Kreuzersonate. Und ich lese auch mehr Sachbücher als früher. Das geht dann in Richtung Politik. Wobei die wichtigsten Bücher der vergangen Jahre literarische Werke sind.

literarische Vorlieben der letzten Jahre

Jenny Erpenbeck, Aller Tage Abend

Christina Viragh, Im April

Adelheid Duvanel, Fern von ihr

Julio Llamazares, Der gelbe Regen

Christian Steinbacher, Scheibenwischer mit Fransen. Sichtvermerke

Uschi: Du liest nicht nur, sondern hast deinen ersten Roman geschrieben. Pinguine in Griechenland ist 2017 erschienen. Für mich war das erwartbar.

Silvana: Findest du? Ich hatte das nicht vorgehabt. Das hat sich aus dem vorangehenden Buch Zaungast ergeben, für das ich mit verschiedenen Autor:innen über die Entstehung von Texten gesprochen habe. Das hat mich dann gereizt. Ich wollte wissen, ob ich das zustande bringe. Damit war es dann aber erledigt.

Uschi: Wie war der Schreibprozess für dich? War das eine schöne Zeit?

Silvana: Ja schon. Einige Autorinnen und Autoren haben beim narrativen Schreiben einen genauen Plan, wohin es geht. Manche sagen, sie wissen nicht, wohin es sich entwickelt. Und so war es bei mir. Robert Schindel hat mir im Interview gesagt: „Manchmal biegt eine Figur ab, und man weiß nicht warum“. Das hat mir sehr gut gefallen und das war bei mir auch so.


Silvana Steinbacher bei der Präsentation ihres ersten Romans 2017
Silvana Steinbacher bei der Präsentation ihres ersten Romans 2017

Uschi: War das fertige Buch dann eine große Befriedigung für dich?

Silvana: Ja, das hat mich gefreut.

Uschi: Und trotzdem kein Roman mehr…?

Silvana: Nein. Zum Vergleich: Diesen Roman zu schreiben, war ein Wunsch, so wie ich immer schon mit einem Fallschirm springen wollte. Der Fallschirmsprung ist mir vor Jahren durch ein Geburtstagsgeschenk erfüllt worden. Damit wusste ich, „das war es jetzt“.

Die eigene Literatursendung

Uschi: Du gestaltest seit 6 Jahren regelmäßige Literatursendungen Linkbei DorfTV, einem regionalen Fernsehsender. Vor allem in deinen letzten Jahren beim ORF hattest du die Möglichkeit für längere Beiträge im Fernsehen und Radio vermisst. Da müssen dich die langen Gespräche, die du in Literatur im Dorf führst, glücklich machen.

Silvana: Ja, deswegen mache ich es so gerne. Natürlich ist es nicht so professionell wie beim ORF, aber es ist genau das, was ich mir vorgestellt habe und was ich beim ORF nicht verwirklichen konnte. Ich kann 45 Minuten nur über Literatur sprechen und muss den Autor nicht fragen, ob er zum Beispiel gerne in Linz ist oder was er gerne isst, sondern ich kann nur über Literatur reden und die Sendung genauso gestalten, wie ich möchte.


Silvana in LITERATUR IM DORF, Credits: DORFTV
Silvana in LITERATUR IM DORF, Credits: DORFTV

Uschi: Diese Sendung wird gut angenommen, du hast bei so einem Sender keine besonders hohe Zuschauerzahlen, aber du hast dir einen Namen damit gemacht. Du warst sogar für den 55. Fernsehpreis der Erwachsenenbildung nominiert.

Silvana: Ich war schon öfter überrascht, dass eine Autorin oder Germanistin sagt, dass sie die Sendung kennt wenn ich sie einlade. Ich erhalte kaum Absagen.

Uschi: Dabei hast du durchaus bekannte Autorinnen und Autoren zu Gast. Ich denke an Doron Rabinovici, an Sabine Scholl, Sabine Gruber, Anna Kim, Irene Diwiak, Ferdinand Schmalz und andere.

Silvana: Wobei die Intention schon ist, dass auch welche kommen, die noch nicht so bekannt sind.


Silvana und Doron Rabinovici in LITERATUR IM DORF, Credits: DORFTV
Silvana und Doron Rabinovici in LITERATUR IM DORF, Credits: DORFTV

Der Traum vom Beruf

Uschi: In Österreich werden gerade 100 Jahre Radio gefeiert. Im ORF-Sender Ö1 laufen viele Sendungen dazu. Ich nehme an, dass du einige davon verfolgt hast. Berührt dich das in irgendeiner Form? Schließlich hast du ja 26 Jahre beim ORF verbracht.

Silvana: Meine guten Erinnerungen sind ja hauptsächlich beim Radiosender Ö1, speziell die letzten Jahre in Oberösterreich fand ich nicht immer so gut. Ich dachte, dass ich deshalb Distanz aufgebaut habe, tatsächlich träume ich aber regelmäßig von dieser Zeit. Seit 14 Jahren bin ich nicht mehr dabei, aber es beschäftigt mich offenbar noch immer.

Uschi: Naja, es war halt dein Berufsleben und das in einem Beruf, der sehr ins Privatleben Eingang nimmt. Da stecken auch sehr viele Emotionen drin. Wie blickst du jetzt nach all den Jahren zurück?

Silvana: Es hat schon gute Jahre gegeben und es ist mir sehr viel ermöglicht worden. Ich habe Menschen kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte. In Erinnerung sind mir unter anderen Christoph Ransmayer, Friedrich Achleitner oder Bodo Hell, der ja seit einigen Monaten verschollen ist und zu dem sich sogar eine gute intensivere Bekanntschaft entwickelte. Ich muss auch noch die hinreißende Andrea Jonasson erwähnen, die ich nur ganz kurz getroffen habe und der es fast peinlich war, als ich sagte, wie wunderbar ich sie als Schauspielerin finde.

Second-Hand

Uschi: Bei unserem letzten frauenleben-Gespräch warst du in einer Art Vorruhestand, inzwischen bist du (seit 2017) offiziell in Pension. Hat sich dadurch etwas geändert?

Silvana: Es ist seit der offiziellen Pension ein bissl mehr am Konto (lacht…), weil ich in meinem Vorruhestand nur 55% meines Letztgehaltes bekam.


Silvana
Silvana Steinbacher

Uschi: Macht das nicht das Leben schon sehr viel angenehmer, zu wissen jeden Monat Geld aufs Konto zu bekommen? Dass es ein Auskommen, dass es Sicherheit gibt.

Silvana: Es ist einfach herrlich. Ich denke oft an Menschen, die beim Soma (Sozialmarkt) einkaufen, jeden Groschen umdrehen, beim Heizen sparen müssen, nie auf Urlaub fahren können. Problematisch finde ich auch, den ganzen Tag Zeit zu haben und den Tag nicht gestalten zu können, weil das Geld nicht reicht. Es gab in meinem Leben immer wieder Phasen, in denen ich mich einschränken musste, ohne dass ich dabei große Entbehrungen litt - ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, genügend Geld zu haben.

Uschi: Du lebst gut, aber nicht auf großem Fuß. Du kaufst zum Beispiel Kleidung in Second-Hand-Shops.

Silvana: Das hat zwei Gründe. Der eine ist ein bisschen abgehoben - ich trage gerne schöne Sachen, sehe aber nicht ein, warum ich für ein Sakko 500 Euro zahlen soll, wenn ich in einem Second Hand Shop eines um 50 Euro finde. Und das ist oft fast neu, weil die Kundin es verkauft hat, ohne es oft getragen zu haben. Der zweite Grund ist die Umwelt. Da wird etwas aufwendig produziert und landet dann am Müll, nur weil es nicht mehr modern ist.

Älter Werden

Uschi: 2014 hast du gesagt, dass du davon ausgehst, dass das Leben für dich noch etwas Neues bringen wird. Hat es das?

Silvana: Naja, es bringt immer irgendwie etwas Neues. Aber ich bin jetzt 67 geworden und da wird vermutlich nichts Umwälzendes mehr passieren. Es ist eine Erkenntnis, die manchmal ein wenig weh tut, dass gewisse Lebensbereiche jetzt einfach vorbei sind. Das Alter spielt jetzt mehr eine Rolle, als bei unserem ersten Gespräch für frauenleben.

Uschi: Deine Figur ist ziemlich genau so, wie bei unserem Kennenlernen vor drei Jahrzehnten. Aber natürlich ist das Älterwerden da. Was macht es mit dir?

Silvana: Die Zeit, die bleibt, ist nicht mehr so lang. Und dann ist da der Gedanke, was körperlich oder geistig noch kommen kann. Mir fällt auf, dass wir bei Treffen mit Freundinnen und Freunden zuerst einmal zwanzig Minuten über Krankheiten reden oder über den Tod von irgendjemanden. Das erschüttert mich schon.

Uschi: Diese körperlichen Veränderungen gibt es natürlich bei jeder von uns.

Silvana: Klar und in der Straßenbahn wird mir jetzt oft ein Platz freigemacht (lacht…). Das war vor zehn Jahren noch nicht. Die Medikamente sind mehr geworden, ich habe mittlerweile hohen Blutdruck und hohes Cholesterin und ich finde, man hält nervlich nicht mehr so viel aus.

Uschi: Das finde ich auch und bemerke das ebenfalls bei Freundinnen. Früher zum Beispiel wäre ich mit dem Auto in jede Großstadt gefahren, ohne auch nur darüber nachzudenken. Jetzt weiß ich einfach, was passieren kann und reagiere da nervöser.

Silvana: Genau, Ich merke auch, dass ich umständlicher werde. Wenn ich früher mit meiner kleinen Tochter auf eine Reise ging, habe ich einfach in den Koffer reingepackt, was mir halt so einfiel und das war es dann. Heute überlege ich, ob ich dies oder das mithabe und es ist eine gewisse Anspannung da. Dann rüge ich mich manchmal selbst und sage mir: „Du fährst ja nicht auf Weltreise, nur nach Venedig!“


Silvana Steinbacher
Silvana Steinbacher

Uschi: Gibt es Dinge, die du am Altern positiv findest?

Silvana: Kurz vor meiner Pension hat ein Kollege zu mir gesagt: „Wir sind jetzt in einem Alter, in dem wir uns überhaupt nichts mehr gefallen lassen müssen.“ Das finde ich sehr beruhigend. Wenn es zum Beispiel darum geht an einer Demonstration teilzunehmen oder irgendwas zu unterschreiben gegen oder für etwas, dann kann ich das tun, ohne irgendwelche Sanktionen befürchten zu müssen.

Uschi: Zur Erklärung sei dazu gesagt, dass wir in unserem Beruf als Journalistinnen im öffentlich rechtlichen Rundfunk ja immer zur Objektivität verpflichtet waren. Es sind also bestimmte Rücksichten, die wir in Pension nicht mehr nehmen müssen.

Silvana: Genau das.

ausserhalb der blase

Uschi: Ich finde, dass du im Ruhestand ziemlich beschäftigt bist. Zum Beispiel ist da deine Arbeit beim Roten Kreuz. Einmal pro Woche im Callcenter, wo du Menschen dazu bringen sollst, Blut zu spenden.

Silvana: Ich habe mir gedacht, dass ich sehr privilegiert bin und wollte ehrenamtlich etwas tun. Wir telefonieren zu viert in einem Raum und da haben sich zwei sehr gute Bekanntschaften entwickelt. Wir besprechen sehr private Dinge und es ist sehr schön mit diesen Kolleginnen.

Uschi: Du warst in der Zeit deiner Berufstätigkeit hauptsächlich mit bestimmten Sorten von Menschen zusammen. Mit Journalist:innen und mit den Menschen, die du interviewt hast. Deine Gesprächspartner:innen kamen hauptsächlich aus dem Kulturbereich. Das war schon eine Art Blase. Das Arbeitsumfeld beim Roten Kreuz ist ganz anders.

Silvana: Das ist mir erst bewusst geworden, als du mich vor einiger Zeit darauf hingewiesen hast. Auch mein Vater war fast nur mit Künstlern zusammen, also war das schon das Umfeld meiner Kindheit, dass sich dann im Beruf fortgesetzt hat und in dem ich mich wohlgefühlt habe. Auch mein Ehemann ist hauptsächlich mit Autor:innen und Künstler:innen befreundet.

Uschi: Und jetzt bist du mit Menschen aus anderen Berufen zusammen. Nimmst du dadurch andere Blickwinkel ein?

Silvana: Die wissen in anderen Bereichen sehr viel mehr als ich. Ich habe jetzt Kolleginnen, die noch nie bei einer Lesung waren und daran auch nicht interessiert sind. Trotzdem kann ich mit ihnen doch sehr viel reden, auch wenn ihre Leben so anders ist. Wobei ich im ORF auch einige andere Themen als Kultur behandelt habe, soziale Themen zum Beispiel.

Uschi: Machen dir die Gespräche mit den potentiellen Spender:innen Freude?

Silvana: Frauen sind gesprächiger und höflicher. Kurioses erlebt man da auch. Einmal waren an einem Montag fast alle Männer, die ich in einem bestimmten Ort angerufen habe, offenbar nicht gut drauf. Es hat sich herausgestellt, dass die am Vortag beim Kirtag waren. Die waren einfach fertig.

Uschi: Deine Arbeit ist unentgeltlich, ehrenamtlich.

Silvana: Nächstes Jahr wäre ich zehn Jahre dabei und da würde ich eine Urkunde bekommen und einen Handschlag vom Herrn Stelzer (Landeshauptmann von Oberösterreich) und auf den werde ich gerne verzichten (lacht…). Es ist herrlich, dass ich sowas sagen kann und mir nix passieren kann.

Uschi: Wieso sollte dir etwas passieren?

Silvana: Du hast recht, passieren ist tatsächlich übertrieben formuliert. Ich wollte damit ausdrücken, dass es für mich ein sehr angenehmer Zustand ist frei handeln zu können, dass ich - natürlich mit aller Rücksicht auf andere - frei entscheiden kann, und keine beruflichen oder sonstigen Nachteile befürchten muss.

das bessere ist der feind des guten

Uschi: Du bist Herausgeberin der Facetten - das ist das literarische Jahrbuch der Stadt Linz. Eine Aufgabe, die die jeweilige Person immer drei Jahre innehat. Du machst das schon zwei Jahre, der Aufwand ist nicht gering. Du liest und beurteilst die eingesendeten Beiträge von Autorinnen und Autoren mit Bezug zu Oberösterreich.

Silvana: Heuer haben fast hundert eingereicht. das war schon sehr viel und auch die Qualität heuer war sehr hoch, das war dann schon schwierig. Wie soll ich sagen… „Das Bessere ist der Feind des Guten“.

Uschi: Bist du dir da so sicher in deinem Urteil?

Silvana: Naja, ich vergleiche und vergleiche, und natürlich gibt es handwerkliche Kriterien, zum Beispiel wie ein Text oder ein Gedicht gebaut ist, daneben aber auch die Frage, ob ein Beitrag originär ist, ob er neue Räume öffnet.


Silvana
Silvana Steinbacher

Uschi: Fühlst du dich kompetent im Beurteilen von Literatur? Du hast das ja früher schon öfter in Jurys gemacht.

Silvana: Ja, aber da ist man nicht allein im Gegensatz zu den Facetten. Damit muss ich umgehen können.

Uschi: Du schreibst außerdem für die Zeitschrift Referentin und die Theaterzeitung. Insgesamt machst du also ziemlich viel. Dabei wurdest du für alle diese Arbeiten geholt, das ist doch eine Anerkennung für deine Person.

Silvana: Naja, du weißt ja, dass ich selten mit mir zufrieden bin und zu Selbstzweifeln neige.

Uschi: Gehst du zum Beispiel nach einer Sendung Literatur im Dorf nie heraus und denkst: „Das war jetzt aber ein schönes Gespräch“?

Silvana: Doch schon.

Das aufwachen war grauenhaft

Uschi: Du hast in der Pension einen Abschluss in Politikwissenschaft gemacht. Du verfolgst die Tagespolitik in Österreich aufmerksam. Wie geht es dir damit?

Silvana: Nicht gut. Furchtbar. Wenn man das alles überlegt, was von FPÖ-Seite kommt und jetzt die vierte Landesregierung mit FPÖ-Beteiligung… scheußlich (Das Gespräch führten wir vor der Landtagswahl in der Steiermark.).

Uschi: Und sonst? Ich glaube zur Zeit setzt uns allen vieles zu. Der Krieg gegen die Ukraine, die dramatische Situation im Nahen Osten, und jetzt aktuell die Wahl in den USA. In der Nacht auf heute nach österreichischer Zeit wurde Donald Trump gewählt.

Silvana: Das Aufwachen heute war grauenhaft. Ich bin kurz nach sechs aufgestanden und habe das Radio eingeschaltet. Es ist mir einfach unbegreiflich, wie man - meiner Meinung nach - einen Wahnsinnigen - wählen kann. Das ist erschütternd in den Auswirkungen im Allgemeinen und im Speziellen auf die Umwelt.

Uschi: Politik interessiert dich mehr als vor 20 Jahren, habe ich den Eindruck. Du bringst dich auch ein. Du bist zum Beispiel für Alexander van der Bellen als Bundespräsident (bei seinem ersten Antreten gegen Norbert Hofer) auf die Straße gegangen. Als politische Aktivistin hätte ich dich nie und nimmer wahrgenommen.

Silvana: Nur weil Hofer sein Kontrahent war, hatte ich das Gefühl, aktiv werden zu müssen.

Silvana hat eine Tochter, die bereits erwachsen ist. Nur wenige Frauen in den Gesprächen für frauenleben.eu reden über ihre Kinder oder ihre Geschwister, auch wenn sie ihnen sehr nahestehen. Manchmal auch gerade weil sie ihnen nahestehen. Kinder und andere Verwandte haben ihr eigenes Leben. Ob das in Frauenleben öffentlich gemacht wird, entscheiden die befragten Frauen und die Betroffenen selbst.

vom alleinsein

Uschi: Du hältst dich körperlich fit. Mit regelmäßigem Gehen, Tai Chi und Training.

Silvana: Als Ziel hatte ich mir dieses Jahr gesetzt, täglich mindestens fünf Kilometer zu gehen. Am Anfang war das eine Überwindung, mittlerweile ist es unangenehm, wenn ich das einen Tag nicht mache.


Silvana auf ihrer Terrasse
Silvana auf ihrer Terrasse

Uschi: Als ich dich um dieses, zweite, Gespräch gebeten habe, hast du gesagt: „ich hätte mir erhofft, dass ich bei einem Interview zehn Jahre nach dem ersten Gespräch zufriedener mit meinem Leben wäre. Dass es leichter wäre.“

Silvana: Ja natürlich. Es gibt halt immer noch Probleme.

Uschi: Dein Ehemann Christian hatte 2013 Lungenkrebs. Es folgte eine sehr schwierige Zeit für euch beide. Inzwischen ist er wieder gesund, aber so eine extrem schwere Erkrankung hinterlässt natürlich ihre Spuren. Wie erlebst du das jetzt?

Silvana: Christian sagt, er hat überhaupt keine Angst und er wird 90. Ich weiß aber nicht, ob das für ihn eine Möglichkeit einer Bewältigung ist. Wenn ja, dann ist es eine gute Strategie. Ich habe jedenfalls immer Angst vor den jährlichen Kontrollen, furchtbare Angst sogar. Immer die Angst, dass er sich mit irgendeiner HNO-Krankheit ansteckt. Wobei es im Vergleich zu vor zehn Jahren schon Phasen gibt, in denen wir unbeschwert sind.

Uschi: Es beeinflusst euer Leben, beeinträchtigt es aber nicht mehr dramatisch.

Silvana: Ja, das ist so gut formuliert.

Uschi: Dein Ehemann Christian Steinbacher ist Schriftsteller und war jetzt als Hans Arp-Stipendiat einige Monate in dem kleinen Straßendorf Rolandseck in Rheinland-Pfalz.

Silvana: Diese lange Zeit ohne ihn war nicht sehr schön. Ich habe nie wirklich allein gelebt. Denn nach der Scheidung von meinem ersten Mann habe ich mit meiner Tochter zusammengelebt. Ich war nie längere Zeit allein.

Uschi: Würde dich das schrecken?

Silvana: Ja.

gendergerechtigkeit

Uschi: Sprache, die dir so wichtig ist, erlebt gerade einen Wandel, der sehr polarisiert. Wie viel Wert legst du auf Gendergerechtigkeit in der Sprache?

Silvana: Natürlich bin ich fürs Gendern. Schriftlich löse ich es mit dem Doppelpunkt, die Schreibweise mit großem I finde ich nicht schön. Gesprochen rede ich halt von Künstlerinnen und Künstlern oder suche nach anderen Formen wie „das Publikum“ oder „die Schreibenden“.

Uschi: Mich wundert ja, dass das so polarisiert. Zu gendern, erfordert halt manchmal ein wenig Kreativität, aber mir ist nicht klar, was daran schlecht sein soll. In der Literatur allerdings ist das sicher eine große Herausforderung. Wie siehst du das?

Silvana: In der Poesie geht das sicher nicht gut.

Uschi: Nicht nur in der Lyrik, auch ein literarischer Prosatext ist im besten Fall musikalisch.

Silvana: Das muss man sicher im Gesamten sehen.

Silvana Steinbacher

Geboren 1957 in Turin, Italien Kindheit in Italien und Salzburg

Verheiratet, eine Tochter

Bis 2010 Kulturredakteurin für Radio und Fernsehen zuerst beim ORF in Salzburg, dann im Landesstudio Oberösterreich

Gestaltung von rund 50 Hörfunkfeatures und Hörspielen, zahlreiche Literaturmoderationen und Diskussionsleitung zu verschiedenen Themen

Schauspielausbildung in Wien, Masterstudium der Politikwissenschaft in Krems, abgeschlossen mit dem Master of Science

Fernsehsendung "Literatur im Dorf" seit 2018

Buchpublikationen:
„Georg Hamminger. Ein Mörder und seine Zeit“, (Edition Geschichte der Heimat)
„Abgestempelt. Fremdsein in Österreich“, (edition sandkorn)
„Zaungast. Begegnungen mit oberösterreichischen Autorinnen und Autoren“, (Drava Verlag)
„Pinguine in Griechenland“, (Verlag Bibliothek der Provinz)

Die besten stunden

Uschi: Unser letztes Gespräch haben wir damit beendet, dass du von der Idee zu einem Kaffeehaus erzählt hast, das Leute besuchen können, um mit jemandem reden zu können. Eine Verwirklichung dieser Vorstellung war wohl nie wirklich geplant, aber grundsätzlich gehst du nach wie vor gerne und oft ins Kaffeehaus. Warum?

Silvana: Ich finde es einfach enorm angenehm. Ich habe mir während meines Berufslebens immer gedacht, dass ich gerne am Vormittag im Kaffeehaus Zeitung lesen würde. Ich bleibe dort nicht lange, aber das genieße ich. Gerade nach den Turnstunden belohne ich mich damit und baue mich während des Trainings damit auf.

Uschi: Welche sind die schwierigsten, welche deine schönsten Stunden des Tages?

Silvana: Die schönsten Stunden des Tages sind in der Früh zwischen halb sieben und halb neun, es ist in unserer Wohnung absolute Ruhe, Christian schläft normalerweise bis halb elf. Ich spreche nicht gerne in der Früh und genieße daher die Stille sehr.
Unangenehme Stunden sind abhängig von der Jahreszeit im Winter finde ich die Dunkelheit ab spätestens 4 Uhr sehr bedrückend. Die schönen oder nicht so schönen Stunden beziehen sich natürlich nur auf eine neutrale Lebenssituation. Geht's mir gut oder schlecht, finde ich jede Stunde mies oder wunderschön.