Literatur ist für sie überlebenswichtig, mit Autorität hat sie ein Problem und ein Leben auf dem Land empfindet sie als sehr eng. Familie ist Panikzone. Lisa ist eine Frau, deren Leben sich um Sprache dreht. Dabei zieht sie interessante Parallelen zwischen ihren Texten und Baseball und ist auch sonst ziemlich originell in ihrem Denken.


Wortwitz

Uschi: Bei unserem ersten Treffen haben wir, nicht ganz frei von Ironie, als Erkennungszeichen ausgemacht, dass du eine Rose mitnimmst. Statt der Rose stand dann auf dem Tisch im Café ein Schild. Darauf war zu lesen: „Ich bin eine Rose“. Ich habe das sehr witzig gefunden. Lachst du gerne?

Lisa: Ja, sehr gerne. Wobei ich mich dabei im Café auf einen Satz von Gertrude Stein bezog: „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“. Mein Verständnis für Witz bezieht sich immer auf Sprache. Ich sammle Wortspiele und schreibe sie auch. Leider kann ich sie nicht mündlich fabrizieren.

Lisa Spalt

Uschi: Du schreibst Bücher und Hörspiele, verfasst Libretti für Opern, unterrichtest Deutsch und Sprachkunst - in deinem Leben dreht sich alles um Sprache. Kannst du sagen, woher das kommt? Du hast ja auch sehr früh zu lesen begonnen.

Lisa: Sehr früh. Mit vier. Das hatte damit zu tun, dass ich Schwierigkeiten hatte, mein Umfeld zu verstehen. Ich habe es immer überlebensnotwendig gefunden zu verstehen, was andere sagen, schreiben, denken. Ich habe mich ins Lesen geflüchtet und Bücher wurden für mich eine Art Nahrung. Etwas, das ich richtig in mich reingefressen habe, in großen Mengen. Auch um andere Welten kennenzulernen, in Vorstellungen anderer einzutauchen und zu überlegen, wie man die Welt auch sehen könnte, um mit ihr zurechtzukommen.

Auf dem Land

Lisa wuchs in einem kleinen Ort in Vorarlberg auf. Als kleines Kind fand sie das herrlich. Sie und ihre Schwestern waren den ganzen Tag draußen, waren frei, konnten tun, was sie wollten. Als sie älter wurde, litt sie unter der Abgeschiedenheit des Ortes.

Lisa: Dazu kam, dass meine Familie kaum Außenkontakte hatte. Mir kam Vorarlberg extrem konservativ vor. Jede Abweichung wurde genau registriert. Ich war zum Beispiel eine Zeitlang immer schwarz angezogen und die Nachbarin hat jeden Tag zu mir gesagt: „Gehst du zu einem Begräbnis?“ Jeden Tag hat sie das gesagt! (lacht).

Uschi: Vor allem für eine Frau, ein Mädchen war Vorarlberg in den 1970er Jahren schon speziell.

Lisa: Es war natürlich sehr klar definiert, was eine Frau zu tun hat und was nicht. Sich scheiden lassen ging zum Beispiel nicht, und es war klar, dass die Männer den Ton angeben.

Tolle Männer, liebe Frauen

Uschi: Du hast zwei jüngere Schwestern, dein Vater war Fachlehrer an einer HTL, deine Mutter klassische Hausfrau - eine sehr traditionelle Familie?

Lisa: Wahrscheinlich lebten andere Familien damals nicht mehr so traditionell wie meine Familie. Bei uns wurde betont, dass der Vater der Haushaltsvorstand ist und am Ende er entscheidet. Es war auch klar, dass ein Mädchen möglichst nicht ausgehen soll und dass Akademikerinnen nicht geheiratet werden. Männer sind stark und toll, Frauen sind nett und lieb. Und wenn man das nicht einhält, „dann kann man ja sehen, wo man bleibt“.

Uschi: War dir damals überhaupt bewusst, wie sehr die Männer über die Frauen bestimmten?

Lisa: Ich habe das lange gar nicht bemerkt. Ich habe zwar ständig rebelliert, woher das kam, ist mir allerdings überhaupt nicht klar…

Uschi: … von den Büchern?

Lisa: Wahrscheinlich. Dabei habe ich in der Bibliothek, die wir zuhause hatten, so viel Schund gelesen. Da waren die Rollen genau dieselben. Die Frauen haben immer nur herumgeschmachtet und die Männer waren alle Prinzen (lacht herzlich).

Uschi: Wann hast du bemerkt, wie unmöglich das ist?

Lisa: Auf der Uni sagte der Professor in einem Seminar, in dem nur Frauen saßen, immer: „Liebe Studenten“. Irgendwann forderte eine Studentin die weibliche Form ein. Da habe ich mir zuerst gedacht: „Mein Gott, was regt die sich auf! “ Der Professor hat dann die Form gewechselt und nach eineinhalb Jahren Studium merkte ich, dass ich mich plötzlich angesprochen fühlte (lacht).

Lisa Spalt

Geboren 1970 in Hohenems

Studium der Deutschen Philologie und Romanistik in Wien

Seit 1997 Arbeiten zum Handeln mit Sprache, Bildern und Gegenständen

Seit 2017 einzige feste Mitarbeiterin des Instituts für poetische Alltagsverbesserung (IPA)

Deutschunterricht (Matura im zweiten Bildungsweg) am BFI (Berufsförderungsinstitut)

Zeitweise Lektorin an der Universität für angewandte Kunst

Herausgeberin der „Edition Kleine Brötchen“

Herausgeberin der „Hosentaschen-Kunstedition“

Kein Sinn für Autorität

Die erste Möglichkeit, von zu Hause wegzukommen, war ein Jugendorchester, in dem Lisa Geige spielte.

Lisa: Das Dornbirner Jugendorchester unter Guntram Simma. Dem bin ich ewig dankbar. Wir waren ja zu Hause so isoliert und eigentlich ständig unter Kontrolle. Das Orchester hingegen war eine leicht anarchistische Gruppe mit einem Dirigenten, der viel Vertrauen in uns setzte. Wir haben trotzdem ganz brav unsere sechs bis acht Stunden auf der Geige rumgekratzt.

Uschi: Mit dem Jugendorchester bist du zum ersten Mal nach Wien gekommen.

Lisa: Beim ersten Blick auf die Stadt, als wir über die Westautobahn in der Nacht nach Wien gekommen sind, habe ich gedacht: „Toll da will ich hin.“

Lisa und Uschi im Gespräch

Uschi: Als du dann tatsächlich nach Wien zum Studium gegangen bist, hast du dich für Germanistik und Französisch entschieden. Warum die beiden Fächer?

Lisa: Germanistik, weil ich mir eingebildet habe, dass es da ums Lesen und um Literatur geht. Das war ein Missverständnis (lacht). Das Französische mochte ich schon in der Schule. Ich weiß nicht woher das gekommen ist.

Uschi: Begonnen hast du mit dem Lehramtsstudium.

Lisa: Ja, aber gleich beim ersten Seminar hat mich die Dame, die Sprecherziehung unterrichtete, nach dem Eintritt in dem Raum aufgefordert, noch einmal rauszugehen und wieder hereinzukommen. Und dann hat sie das noch einmal gemacht und mir erklärt, ich müsste den Raum beim Eintreten mit Autorität füllen. Das mit der Autorität war damals nicht meins. So habe ich das Seminar verlassen, und das war es dann mit dem Lehramt.

Experimentelle Literatur

Während des Studiums verbrachte Lisa ein Jahr als Au-pair in der Schweiz und unternahm ihre ersten Schreibversuche.

Lisa: Die Schwierigkeit war, dass ich bis dahin fast nur Romane gelesen hatte. Deshalb wollte ich einen Roman schreiben, aber das hat überhaupt nicht funktioniert. Spätestens bei der Haarfarbe einer Figur habe ich mir gedacht: „Was ist das für eine dumme Tätigkeit, dass ich mir für eine ausgedachte Person so etwas einfallen lassen muss.“ Weil ich damals noch keine experimentelle Literatur kannte, musste ich sie sozusagen für mich erfinden. Was traurig ist, denn es hätte so etwas ja gegeben. Später habe ich dann viel in der Richtung gelesen.

Uschi: Du hast, ohne experimentelle Literatur zu kennen, zu experimentieren begonnen? Mit Wörtern?

Lisa: Mit Wörtern, mit Satzstrukturen. Mich hat schon immer interessiert, wie wir Feststellungen erzeugen, auf deren Basis wir handeln. Es muss ja etwas feststehen, bevor ich zu handeln anfange, sonst fehlt eine Grundlage. Ich muss ja zumindest feststellen, dass ich Hunger habe, damit ich auf die Idee komme, mir etwas zu kochen. Mich hat interessiert, wie das in der Sprache funktioniert.

Erste Einflüsse zum Schreiben bekam Lisa durch die Neue Musik.

Lisa: Ich hatte viel mit Leuten zu tun, die in der Neuen Musik tätig waren. Das hat ein grundsätzliches Verständnis für Strukturen in mir angestoßen.

Uschi: Dein Studium hat da ja wohl auch dazu beigetragen.

Lisa: Naja, auf der Wiener Universität ist man damals nicht wirklich mit experimenteller Literatur in Berührung gekommen. Ich habe über Friederike Mayröcker eine Seminararbeit geschrieben und dann ein Seminar über Konrad Bayer besucht. Das war der Einstieg in die Wiener Gruppe.

Buchpublikationen (Auswahl)

"Das Institut" (Herbst 2019), "Die zwei Henriettas"(2017), "Dings. Ein Gebrauchsgegenstand"(2012), "Grimms" (2007), "gegndn" (1998)

Hörspiele

"Das Institut" (ORF 2018), "Dings" (ORF 2013),"Am liebsten höre ich Erdbeeren" (in Zusammenarbeit mit Bewohner*innen des Instituts Hartheim 2013),"Verstehen der Männer und Frauen" (ORF 2005), "Nachrichten aus dem Chamäleon-Versand" (2006)

Überleben durch Sprache

Uschi: Geht es dir beim Schreiben in erster Linie um eine Auseinandersetzung mit einem Thema oder der Welt, oder geht es dir in erster Linie um die Sprache?

Lisa: Mein Thema ist eigentlich immer, wie Menschen in Sprache handeln, wie sie miteinander umgehen, wie Gespräche funktionieren, wie Welt über Sprache erzeugt wird. Ich habe mich zum Beispiel mit Grimms Märchen beschäftigt und diesen weiblichen und männlichen Rollen, die da erzeugt werden. Man ist entweder ein Prinz oder eine Prinzessin und wenn man eine Stiefmutter ist, ist man böse, - da kriegt man ja etwas mit, das man dann erst wieder überschreiten muss. Das hängt eben sehr an der Sprache.

Uschi: Also dir geht es auch in der experimentellen Literatur darum, „etwas zu sagen“.

Lisa: Auf jeden Fall. Ich bin da sicher ein komischer Fall in der experimentellen Literatur. Ich wollte mich mit ihr nie losgelöst von der Welt, in der ich lebe, beschäftigen. Für mich ist da immer noch diese überlebensnotwendige Beschäftigung mit der Sprache. Durch Sprache muss ich mich mit anderen verständigen, mit ihnen auskommen.

Anstrengende Texte

Uschi: Deine Texte verlangen beim Lesen eine gewisse Anstrengung. Damit ist vermutlich von vornherein klar, dass du nur einen bestimmten Kreis von Leserinnen und Lesern ansprechen wirst.

Lisa Spalt

Lisa: Es gibt da für mich eine seltsame Einstellung zur Kunst insgesamt: Es ist für jeden klar, dass ich ein Computerspiel nur dann spielen kann, wenn ich weiß, welche Regeln gelten. Das Regelbuch für Baseball hatte 1997 meines Wissens schlanke 111 Seiten, und wenn ich so ein Spiel sehe, ohne die Regeln zu kennen, habe ich keine Ahnung, warum die Leute hurra schreien. Ich kann auch nicht angeln, ohne einiges darüber zu lernen, und selbst ein Gourmet-Essen wird sich dem ungeübten Esser nicht in seiner ganzen Bandbreite entfalten. Nur bei der Kunst besteht man darauf, dass sie sich sofort und ohne Vorbeschäftigung den Rezipierenden erschließt.

Uschi: Dabei lesen Menschen ja eher weniger und vor allem weniger lange und komplexe Texte als früher.

Lisa: Es gibt eine deutsche Autorin, die bereits nach den Regeln der „Leichten Sprache“ schreibt, die eigentlich für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen geschaffen wurde. Für mich ist die Untersuchung sprachlichen Handelns das Wichtigste in der Literatur. Wir konstruieren unsere Welt mit Hilfe von Sprache. Die Welt wird immer komplexer. In „Leichter Sprache“ werde ich ihre Probleme nicht lösen und ihr Funktionieren nicht reflektieren oder durchspielen können. Übrigens habe ich bei Lesungen gar nicht das Gefühl, dass meine Texte so furchtbar schwierig sind.

Uschi: Das hat vermutlich auch mit Musikalität, mit Rhythmus zu tun.

Lisa: Ja, den lese ich mit. Ich habe mir überlegt, ob es nicht besser wäre, CDs zu machen statt Bücher, weil die Leute das dann viel leichter konsumieren können. Auch bei den Hörstücken im Radio funktioniert das besser.

Was Literatur sein darf

Trotz ihres Bekenntnisses dazu, dass das Lesen von Literatur ruhig anstrengend sein darf, glaubt Lisa, dass ihr neuer Text viel einfacher geworden ist.

Lisa: Ich bin auch schon dafür geschimpft worden…

Uschi: Warum das?

Lisa: Es gibt eine Art Literaturpolizei, die sich sofort meldet, wenn irgendwo „Roman“ draufsteht, wie beim neuen Buch, - da ist dann gleich Alarm in der Szene. Oder wenn man nicht immer in die Sprache reinkriecht, dann gilt man schon als Verräterin.

Uschi: Das ist schon eine hermetisch abgeschlossene Welt, in der du dich da bewegst?

Lisa: Na, eher bewegt habe. Ich weiß noch nicht, in welche Richtung ich gehe. Es ist für mich eine unmögliche Situation, dass diese Literaturkreise in sich so furchtbar geschlossen sind und nicht akzeptieren können, dass auch in einem anderen Kreis ein guter Text entstehen kann. Für mich ist das wie in der Gesellschaft. Wenn jemand eine andere Ansicht als ich hat und wir fangen uns gleich zu bekriegen an, müssen wir uns überlegen, wo diese Gesellschaft hingeht. So kann das für mich nicht funktionieren.

Lisa versteht nicht, warum gerade Menschen, die sich links geben und tolerant gegenüber anderen sein wollen, sehr strikt in ihren Vorstellungen darüber sind, was Literatur sein darf und was nicht.

Lisa: Das geht für mich nicht zusammen. Ich finde, das kann ich nicht auf der politischen Ebene spielen, aber auf der literarischen Ebene darauf bestehen, dass meine Literatur die einzig gültige ist. Mich stört dieses: „Wir und die anderen“.

Die Krankheit

Uschi: Auf der Suche nach Wendepunkten in deinem Leben komme ich zu deiner Krankheit, die dich viele Jahre begleitet hat und ihren Höhepunkt hatte, als du 30 warst.

Lisa: Eigentlich bin ich von einer Krankheit in die andere gerutscht. Das Hauptproblem war, dass ich plötzlich sehr vieles nicht mehr essen konnte. Ich habe in diesen Jahren viel Zeit liegen lassen, viel Zeit damit verbracht, mich von einem Tag zum nächsten zu retten. Ab einem bestimmten Punkt konnte ich nicht mehr arbeiten ja nicht einmal lesen. Das lässt sich jetzt einfach nicht mehr nachholen. Dieses Gefühl viel vom Leben versäumt zu haben, ärgert mich.

Lisa Spalt

Uschi: Deine Krankheit zog sich über viele Jahre und du bist sehr abgemagert.

Lisa: An meinem Tiefpunkt habe ich weniger als 40 Kilo gewogen, das war nicht mehr lustig. Ich habe in dieser Zeit von der Medizin die absurdesten Vorschläge bekommen. Auf meine Histamin- und Laktoseintoleranz ist man ewig nicht draufgekommen. Irgendwann war mein ganzes System so durcheinander, dass ich einfach gar nichts mehr vertragen habe. Ich konnte kaum mehr verreisen und habe nie gewusst, wann ich „funktioniere“. In der Zeit musst ich viele Lesungen absagen.

Uschi: Ein Problem bei Essstörungen ist, dass sofort die Psyche für alles verantwortlich gemacht wird.

Lisa: Ja genau und irgendwann einmal hat es mir so gereicht, dass ich gesagt habe: „Ich kann die Psyche mit Milch aus-und einschalten“. Also muss da ja irgendetwas sein.

Uschi: Erst als du vierzig warst, hat das aufgehört.

Lisa: Es hat sich sehr langsam gegeben. Jetzt genieße ich das Essen, weiß, was ich nicht vertrage und habe das so halbwegs unter Kontrolle.

Bereichernde Zusammenarbeit

Lisa war 19 Jahre mit Clemens Gadenstätter, einem Komponisten Neuer Musik, zusammen. Zehn Jahre waren sie verheiratet. Inzwischen sind sie privat getrennt, arbeiten aber immer noch gut zusammen.

Lisa: Die Zusammenarbeit mit Clemens war immer eine schöne und bereichernde Angelegenheit. Er stellt mir Aufgaben, auf die ich von selber nicht kommen würde und das tut mir gut. Da denke ich über Dinge nach, über die ich sonst nicht nachdenken würde.

Uschi: Zum Beispiel?

Lisa: Zur Zeit schreiben wir gerade ein Stück über einen Psychiatriepatienten, der in der Nazizeit inhaftiert war. Ich hätte mich wahrscheinlich ohne seine Anregung nicht mit diesen Symbolwelten Schizophrener auseinandergesetzt und überlegt, warum mich diese Literatur oft so anzieht. Ich habe mich auf der Uni mit Ernst Herbeck, der in Gugging gelebt und Gedichte geschrieben hat, beschäftigt. Diese Texte sind ja unendlich spannend zu lesen…

Buntes Linz

Lisa hat in Wien studiert, hat ein Jahr in Berlin verbracht und ist dann aufs Land nach Niederösterreich gezogen.

Lisa: Ich wollte eigentlich nie wieder aufs Land, die Erfahrung in Vorarlberg hat mir gereicht. Dann hat der Garten gelockt und ich wollte mich nicht meinen Vorurteilen hingeben. Aber ich hatte wieder dasselbe Gefühl von Enge wie damals und festgestellt, dass sich auch die Dorfgefüge nicht wirklich verändert haben. Und dass jeder, der ein bisschen abweicht, eine Art Vogelscheuche ist, über die sich alle das Maul zerreißen.

Lisa mit Katze

Uschi: Wie empfindest du unter diesem Blickwinkel das Leben in Linz?

Lisa: Linz hat eine Oberfläche und einen ziemlich bunten Untergrund. Am Anfang hat es mir gut gefallen. Dann sind mir die ersten Trachten tragenden Horden entgegengekommen, die die entsprechende Gesinnung ganz offen vor sich her getragen haben, da war ich entsetzt. Aber dann habe ich festgestellt, dass es da ziemlich bunte Leute gibt, die sehr verrückte Sachen machen: In der Stadtwerkstatt, an der Kunstuni oder auch in der gfk (Österreichische Gesellschaft für Kulturpolitik). Jetzt geht es mir gut in Linz.

"Familie ist Panikzone"

Uschi: Du lebst jetzt mit dem Fotografen Otto Saxinger zusammen. Mit jemandem zusammenzuleben, ist ja eine gewisse Herausforderung.

Lisa: Ich finde es unendlich einfach, mit Otto zusammenzuleben. Ich weiß nicht, warum das so ist. Wir teilen uns die Arbeit im Haushalt, wir leben neben- und miteinander, alles reibungslos. Es organisiert sich von selbst. Ich hatte sehr große Angst davor. Und jetzt bin ich heilfroh, dass wir das gemacht haben.

Uschi: Du hast einmal gesagt: „Familie ist für mich Panikzone“.

Lisa: Oh ja! Das hat dabei sicher auch eine Rolle gespielt. Ich kenne halt Familie nur als ein großes Tohuwabohu, bei dem Konflikte nicht ausgetragen werden, aber fürchterlich viel Aufregung herrscht, die zu nichts führt. Die Erfahrung mit Ottos Familie ist etwas, das mich jeden Tag wieder überrascht. Das läuft so konfliktfrei und liebevoll ab, man kann Dinge auch einmal auf sich beruhen lassen. Ich traue dem immer noch nicht ganz, habe immer das Gefühl, auf doppeltem Boden zu stehen und irgendwann öffnet sich eine Falltür, aber bis jetzt ist sie noch nicht aufgegangen.

Uschi: Wie sehr nimmt dein Partner Anteil an deiner Arbeit?

Lisa: Wir arbeiten zur Zeit in einem gemeinsamen Projekt zusammen, vor allem aber ist er mein Erstleser. Er ist in Punkto Kompliziertheit und Verständlichkeit ganz streng. Komplexität ist gut, aber Kompliziertheit nicht. Er sagt mir immer ganz ehrlich, wie der Text auf ihn wirkt. Das bringt mich im ersten Moment manchmal zur Verzweiflung, denn er setzt sich mit dem Text intensiv auseinander. Deshalb sind seine Argumente immer sehr fundiert, und ich muss darauf reagieren. Später bin ich froh darüber. Er ist sicher mein wichtigster Kritiker.

Zeitnot

Uschi: Du schreibst Bücher und Hörspiele, unterrichtest an der Universität für angewandte Kunst Sprachkunst und am BFI Deutsch, hast immer wieder Projekte am Laufen - wie anstrengend ist dein Leben?

Lisa Spalt

Lisa: Ja, das ist so eine Sache. Das Problem ist, dass ich das alles unheimlich gern mache, aber es ist so schwierig, alles unter einen Hut zu bringen. Das literarische Leben organisieren, Unterricht vorbereiten, verzweifelte Kursteilnehmer betreuen und natürlich schreiben. Manchmal kriege ich Panik, dass ich das alles nicht mehr schaffe. Es laufen so viele Dinge gleichzeitig, und ich finde es manchmal nicht einfach, ständig hin und her zu switchen. Aber meistens sind das vorübergehende Verzweiflungsanfälle und dann geht’s eh wieder.

Uschi: Du machst ja auch so viel, weil du es finanziell tun musst, denn ich nehme an, dass es sich von experimenteller Literatur nicht so gut leben lässt.

Lisa: Im Moment würde es sich ausgehen. Das Problem ist halt, dass man nie weiß, wie es im nächsten Jahr aussieht. Und deshalb unterrichte ich auch. Aber so gerne ich unterrichte, es frisst unendlich viel Zeit.

Unkontrollierbar

Uschi: Wie gut bist du vernetzt?

Lisa: Das ist bei meiner Art von Literatur relativ leicht, weil der Kreis nicht so groß ist, und es gibt nicht so viele Veranstaltungsorte. Irgendwie ergibt sich immer was. Sehr viel durch Gespräche und ich tue mir nicht schwer mit Menschen, nur mit einer bestimmten Art von Menschen, bei denen ich gleich an die Decke gehe.

Uschi: Wie kann ich mir solche Menschen vorstellen?

Lisa: Das sind hauptsächlich Menschen, die sich sehr hierarchisch verhalten. Autoritäre Menschen halte ich überhaupt nicht aus. Menschen, die sich auf Kosten von anderen breitmachen - da bin ich unkontrollierbar.

Uschi: Du wirkst eigentlich recht freundlich und nett. Es ist nicht so leicht, sich vorzustellen, dass du einmal richtig Gas gibst…

In diesem Moment verengt Lisa die Augen so, dass man sich das sehr wohl gut vorstellen kann.

Lisa: (lacht). Es dauert irrsinnig lang, aber irgendwann explodiere ich einfach und habe dann null Kontrolle. Da kann ich für nichts garantieren.

Utopieprojekt


Im Rahmen diese Projekts bittet Lisa Menschen, ihr kurze Beschreibungen eines utopischen Buches zu schenken, das es nicht gibt, das sie aber gerne lesen möchten.

Lisa: Diese Utopien werden gesammelt und Otto Saxinger filmt die Leute, während sie ihre Utopien vorlesen. Ich habe mir vorgenommen jede Utopie in einen Text aufzunehmen. Ich versuche gerade, einen Text zu schreiben, der alle sammelt, wobei die einzelnen Utopien ja sehr unterschiedlich sind und einander zum Teil widersprechen. Zum „Institut für poetische Alltagsverbesserung“ gehört eine alte Schreibmaschine aus dem Jahr 1926. Da setzen sich die Leute zu mir und wir schreiben gemeinsam die Utopie. Meistens ist es sehr beglückend, mit ihnen zu arbeiten. Es ist so schön, weil man Sichtweisen von der Welt erfährt und die Leute sprechen wirklich über das, was sie gerade ganz heftig bewegt.

Traumverbesserungen

Uschi: Für mich stehen die drei Buchstaben IPA für India Pale Ale, ein sehr gutes Bier…

Lisa: (lacht). Das ist eine Auslegung mit der ich sehr gut leben kann. Bier verbessert die Welt.

Lisa und Uschi im Gespräch

Uschi: Aber durch dich habe ich erfahren, dass IPA auch die Abkürzung für „Institut für poetische Alltagsverbesserung“ ist.

Lisa: Zu Beginn war das rein ironisch gemeint. Ich wollte dieser pessimistischen Stimmung, die derzeit weltweit herrscht, etwas entgegensetzen. Früher gab es die Idee, dass Dichtung erbauen soll. Das hat mir gefallen und ich habe mir gedacht, ich mache jetzt Literatur, die erbauen wird. Konstruktiv. Positiv. Gleichzeitig wollte ich mich mit der Vorstellung auseinandersetzen, dass Literatur nicht gebraucht wird, keinen Zweck erfüllt. So habe ich dieses Institut gegründet.

Uschi: Den Anfang bildeten die Traumverbesserungen.

Lisa: Ich habe angeboten, mir Albträume in schriftlicher Form zu schicken. Die werden verbessert und mit zwei Fotos zurückgeschickt, damit man sich an die verbesserte Version auch visuell erinnern kann. Einige dieser verbesserten Albträume kommen in meinem neuen Buch vor. Das Ganze basiert auf der Gedächtnisforschung, die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sich Erinnerungen durch Erzählen ständig verändern.

Neue Ideen

Uschi: Du entwickelst fortlaufend neue Ideen. Einmal liest du aus kleinen Müllpartikeln aus Plastik die Zukunft…

Uschi: ... die ist bei mir immer positiv. Man kann sich dann den Spruch aussuchen, der zum eigenen Leben passt und der tritt natürlich hundertprozentig ein…

Uschi: … dann gibt es Schluckbildchen aus Esspapier, die heilende Wirkung haben, ähnlich wie in der katholischen Kirche, nur dass hier der Dichter und nicht der Heilige heilt, und im Moment faltest du Einladungsbriefe zu Briefumschlägen.

Lisa: Ja, ich lade damit zu meinem Utopie-Projekt ein. Der Brief ist der Briefumschlag und wenn ich den lesen will, muss ich ihn natürlich auffalten, dann ist aber der Umschlag kaputt. Das ist für mich so wie mit der Gesellschaft: Wenn ich mich einmal darauf eingelassen habe, kann ich nicht mehr zurück, das lässt sich nicht mehr zurückfalten.

Arbeit mit Flüchtlingen

Im Rahmen ihres Deutschunterrichts am BFI (Berufsförderungsinstitut) hat Lisa auch Flüchtlinge unterrichtet und sich daran gewagt, mit jungen Afghanen Literatur zu machen.

Lisa: Das war eine schöne Erfahrung, weil die das gar nicht wollten. Sie konnten erst ganz wenig Deutsch, und ich habe ihnen so eine Art Lückentext gemacht, in dem sie sich mit ihren wenigen sprachlichen Mitteln entfalten konnten. Tatsächlich wurden die Texte sehr schön und sie haben einen Ehrgeiz entwickelt, sie vorzulesen.

Uschi: Das muss für die Flüchtlinge eine positive Erfahrung gewesen sein.

Lisa: Natürlich, denn sie hatten in dieser Zeit ganz wenig, mit dem sie glänzen konnten. Es waren lauter Burschen, die plötzlich damit konfrontiert waren, dass Mädchen genau so viel wert sind und sie sich nichts darauf einbilden dürften, Männer zu sein. Sie hatten in Afghanistan gearbeitet, hatten auf der Flucht gearbeitet und in Österreich hatten sie plötzlich nichts mehr, mit dem sie irgendwas beweisen konnten. Darum haben sie diese Texte mit unglaublichem Stolz vorgelesen.

Uschi: Das Unterrichten von Flüchtlingen bringt viele Erfahrungen.

Lisa: Es ist sehr einfach, sich in der Literatur zu bewegen und Flüchtlinge zu lieben. Etwas ganz anderes ist es, wenn man mit ihnen arbeitet und der erste sagt dir: „Mit dir will ich nicht arbeiten, weil du eine Frau bist“. Ich habe dann festgestellt, dass man ihm das primär nicht vorwerfen kann. Denn er ist in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der er wusste, dass er als Mann mehr wert ist und das ist das einzige, was ihm geblieben ist.

Uschi: Macht es das dann wirklich leichter, mit ihm umzugehen?

Lisa: Ja, auf jeden Fall. Ich fühle mich dann nicht so persönlich betroffen, denn ich weiß ja, dass das alles ist, was er noch hat. Er hat keine Aufenthaltsgenehmigung, er hat keinen Job. Was ihm einen Wert gibt, ist, dass er ein Mann ist. Dann komme ich und sage ihm, dass das kein Wert ist. Schwierig. Für mich wird es so einfacher, damit umzugehen, aber ihm hilft es nicht besonders, denn er muss es lernen.

Orientierungspanik

Während des Interviews, das ich mit Lisa in ihrer Wohnung in Linz führe, kommt gelegentlich eine ihrer beiden Katzen vorbei und schmiegt sich an unsere Beine. Die beiden schwarzen Katzen erden unser Gespräch in gewisser Weise, denn das dreht sich letztlich immer wieder um ihre Arbeit und Sprache. Nur selten ergeben sich andere Themen, wie zum Beispiel Lisas Umweltbewusstsein.

Lisa Spalt

Lisa: Wir haben einen relativ umweltbewussten Haushalt. Wir probieren immer wieder etwas aus. Zum Beispiel mit Efeu Wäsche waschen, was übrigens super funktioniert. Wir versuchen, nicht zu fliegen. Es wird ja immer von Verzicht gesprochen, wenn es um umweltbewusstes Handeln geht. Aber ich betrachte das nicht so negativ. Wenn wir zum Beispiel für unser neues Projekt mit dem Zug nach Rumänien fahren, dann gibt einem das ja auch das Gefühl, man schafft etwas.

Zu den Wendepunkten in ihrem Leben zählt Lisa auch ein Ereignis, als sie 7 Jahre alt war. Damals verbrachte ihre Familie einige Monate in Tirol und wohnte dort in einem kleinen Haus am Waldrand. Vor dem ersten Schultag begleitete sie ihr Vater zur Einschulung in die neue Schule. Am ersten Schultag fuhr sie dann allein mit dem Bus dorthin.

Lisa: Dieser Bus hielt an der Rückseite des Gebäudes. Ich kannte das Schulhaus aber nur von vorne. Ich glaubte, ich wäre falsch, blieb im Bus sitzen und fuhr zurück. Dieses Gefühl, in einem Land zu sein, in dem ich mich nicht auskenne und nicht zu wissen, wo genau der Bus hinfährt, das befällt mich heute noch oft. Wenn ich müde bin oder wenn es mir nicht gut geht, habe ich plötzlich Orientierungspanik. Und das an Orten, die ich ganz gut kenne.

Es abert

Gegen Ende unseres Interviews spreche ich Lisa auf einen von ihr verfassten Artikel an, in dem sie ihre Großmutter erwähnte, eine für sie sehr wichtige Person.

Lisa: Sie war die, die mich verwöhnt hat. Sie hatte das Vertrauen, dass das, was ich mache, nicht total blöd ist. Die Oma war immer stolz auf mich und meine Schwestern. Sie war 1,48 m klein und hat immer gesagt: „Die großen Menschen hat Gott geschaffen, die kleinen sind von selbst gewachsen“. (Lisa ist 1,54). Sie war eine mutige, freche Person. Sie hat mir erzählt, dass ihre Mutter sie während des Krieges zu den Nazis geschickt hat, damit sie Hilfe bekommt um den Hof zu bewirtschaften. Dann ist sie dorthin und hat gesagt: „Was ist jetzt mit eurem Hitler?“. Sie hat es geschafft, sie hat zwei Arbeiter gekriegt.

Uschi: Während du von deiner Großmutter erzählst, ändert sich deine Sprache ein wenig. Ich höre mehr Vorarlbergisch heraus.

Lisa: (lacht herzlich). Das kann ich mir vorstellen, meine Großmutter hat einen richtig argen Dialekt gehabt. Sie kannte noch Wörter wie „es abert“ (es wird Abend), „nächt“ (gestern Nacht), „fern“ (letztes Jahr) - das sind Wörter, von denen ich am Institut für Sprachwissenschaft gelernt habe, dass sie seit 650 Jahren ausgestorben sind. Schöne Wörter….

Uschi: Was hätte deine Großmutter am Ende eines Gesprächs gesagt?

Lisa: Sie hätte wahrscheinlich nichts gesagt, sondern unendlich viel zum Essen rausgezaubert und die Torte aus dem Nebenzimmer geholt…

Das Gespräch wurde am 31. Juli 2019 in Linz geführt.