Sie war ein Kreisky-Kind, das „zufällig“ Abgeordnete wurde und mit der Rebellinnenrolle im Parlament Probleme hatte. Der Umstieg von der Politikerin zur Lehrerin nahm ihr für kurze Zeit die innere Sicherheit. Jetzt ist sie froh „nicht mehr zu müssen“. Johanna Dohnal bedeutete ihr sehr viel, ihr Ehemann ist schneller als Google und sie hat jetzt mehr Likes als im Parlament.
Streit ist das Normalste der Welt
Uschi: Du hast eine Eigenschaft, die gut zu deinen beiden Berufen, Politikerin und Lehrerin, passt - du bist sehr kommunikativ. Wurde dir das in die Wiege gelegt?
Sonja: Ich glaube, das hat damit zu tun, wie ich aufgewachsen bin. Ich bin das jüngste von vier Kindern, unsere Familie war richtig überbevölkert. Als ich auf die Welt gekommen bin, waren schon so viele da. Und wenn du als letztes Kind auf die Welt kommst, dann musst du auch auf den Tisch hauen können, sonst gehst du unter. Da muss man einfach kommunizieren können. Deshalb kann ich mich auch auf verschiedenste Menschen sehr gut einstellen. Ich habe auch einen sehr unterschiedlichen Freundeskreis. …..
Uschi: Und dieser Freundeskreis bildet eine gute Basis für dein Leben.
Sonja: Ja, die Sicherheit, die ich in meinem Beziehungsgehege habe, gibt mir eine gewisse Stärke. Man kann schnell einmal mutig sein, wenn man das Privileg hat, ein so gutes Netz zu haben. Ich lebe in einer extrem langen, sehr stabilen Beziehung (30 Jahre), ich habe einige sehr gute Freundinnen, auf die ich mich tausendprozentig verlassen kann. Das ist etwas Besonders, dieses Gefühl, dass man nie ins Bodenlose fallen kann.
Uschi: Du bist gut darin, Beziehungen zu pflegen.
Sonja: Ja vielleicht, aber du musst solche Menschen halt auch treffen. Natürlich lege ich Wert darauf, dass ich meine Freundinnen regelmäßig sehe, dass es eine gewisse Innigkeit hat und nicht oberflächlich wird. Ich habe in den letzten Jahren im Parlament immer die Sicherheit gehabt, dass ich auf den Tag aufhören kann. Und ich hatte immer Bernd und Freundinnen, die einfach da waren. Es hängt sicher viel mit dem Beziehungsgeflecht zusammen, in dem ich aufgewachsen bin. Mein Mann Bernd zum Beispiel ist als Einzelkind aufgewachsen, da war jeder Streit extrem belastet und für ihn war auch ein Beziehungsstreit immer gleich ein Weltuntergang. Für mich war es das Normalste der Welt. Da in unserer Familie immer viel gestritten worden ist, habe ich ein Sensorium für Stimmungen entwickelt dafür, wie Beziehungen sich drehen und wenden, da lernt man schon einiges.
Sonja Ablinger
Geboren 1966 in Wels, Oberösterreich
1966 - 1999 und 2007 - 2013 SPÖ-Abgeordnete zum Nationalrat
Seit 2005 Landesfrauenvorsitzende der SPÖ Oberösterreich
Seit 2013 arbeitet sie wieder in ihrem erlernten Beruf als Lehrerin in Linz.
Verheiratet, ein Sohn
Nachtrag: Sechs Monate nach dem Interview trat Sonja von ihrer Funktion als SPÖ-Landesfrauenvorsitzende zurück. Seit Mai 2015 ist sie Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings. Im Juni 2015 gab sie ihren Austritt aus der SPÖ bekannt.
Das Ende der Sicherheit
Der erste Umbruch in ihrem Leben ergab sich durch eine Schlagzeile in den „Oberösterreichischen Nachrichten“: „Experten warnen: Atomkrieg noch vor dem Jahre 2000“ las die 13-jährige Sonja und war dadurch so beunruhigt, dass ihre Mutter jeden Abend mit ihr darüber reden musste.
Sonja: Das hat mich ganz plötzlich aus meiner kindlichen Sicherheit hinausgeworfen. Ich bin in einer klassischen Kreisky-Familie aufgewachsen. Der Kreisky hat immer alles gerichtet. Bei uns war sozusagen der Kreisky im Herrgottswinkel. Mein Papa sagte immer „der Kreisky, der schaut auf uns Arbeiter“ und es wurde dann ja auch tatsächlich immer besser. Meine Eltern waren beide Arbeiter und bei vier Kindern war nicht viel Geld da, aber es war merkbar, dass es besser geworden ist. Wir haben Fahrräder bekommen und ich habe sogar einmal Reitstunden genommen, was für ein Kind aus einer Arbeiterfamilie ein sensationeller Sprung war. Ich konnte dann auch ins Gymnasium gehen. Mit dieser Sicherheit, die wir Kreisky zu verdanken hatten, bin ich aufgewachsen und plötzlich gab es da diese Schlagzeile, die bedeutete, dass das ein Ende haben könnte. Und das hat mich zutiefst erschüttert.
Über die katholische Jugend wuchs Sonja in die Friedensbewegung hinein. Als sie 14 war, fuhr die Gruppe mit dem Pfarrer zu einer Demo in Linz.
Sonja: Meine Mutter meinte ja, das wir da nicht hindürften, weil dort lauter Kommunisten seien, aber weil der Pfarrer mitgefahren ist, war das schließlich doch in Ordnung. Und dort hat dann Johanna Dohnal geredet. Sie zitierte Ute Ranke Heinemann „wir haben nicht mehr genügend Menschen für die Bomben, die da produziert werden“ und dann hat sie erklärt, was das bedeutete. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass meine Angst nicht kindisch und naiv war, sondern berechtigt. Und dass man etwas dagegen tun konnte. Das war ein großer Umbruch in meinem Leben.
Ein Mandat durch Zufall
Nach relativ kurzer Zeit brach Sonja ihr Studium der Soziologie ab, weil sie glaubte nichts zu lernen, „womit man seinen Lebensunterhalt verdienen könnte“. Eine ihrer ersten Arbeiten im Studium trug den Titel „Frauenarbeit und Einkommensunterschiede“. Zum Teil aus Neigung zum Teil aus Vernunftsgründen wurde sie dann Lehrerin für Englisch und Geschichte. Kurz darauf wurde sie Bundessekretärin der Sozialistischen Jugend Österreichs, dann Vorsitzende der Jungen SPÖ Linz Stadt. Dass sie Nationalratsabgeordnete wurde, bezeichnet sie als Zufall.
Sonja: 1995 waren vorgezogene Neuwahlen. Ich war in der Partei so ein bissl die Freche und bin aufgefallen. Ich sollte auf einem eigentlich unwählbaren Platz kandidieren. Die VOESTler haben massiv dagegen opponiert, dass Dobusch (der damalige Linzer Bürgermeister) mich aufstellte. Bei der Wahl im Bezirksparteirat ist ein kleiner Bub umhergetollt. Da hieß es dann „die kommt da mit ihrem Kind her und hat nicht einmal ihren Buben im Griff, was will denn die?“. Dabei war es das Kind einer Kollegin. Jedenfalls gab es dann fast 50 Prozent Streichungen für mich. Ich weiß nicht, ob es ein so schlechtes Ergebnis sonst überhaupt jemals gegeben hat. Wir schnitten dann bei der Nationalratswahl so gut ab, dass ich das Mandat bekam, - damit hat niemand gerechnet.
Uschi: Wenn du zurückspürst in dieses Gefühl, was war die treibende Kraft? Wolltest du „die Welt retten“ oder sagtest du dir „ich probier’ es halt einmal“?
Sonja: Ich bin mit großer Euphorie in den Wahlkampf gegangen. Es war ein ganz besonderer, hochpolitischer Wahlkampf, weil es um die Grundsatzfrage gegangen ist, wie man ein Budget saniert: Durch Kostenabbau, also durch Abbau des Wohlfahrtsstaates, oder durch neue Einnahmen, wie es Vranitzky damals gefordert hatte. Und damit war es wirklich ein Wahlkampf im klassischen Sinn, bei dem man, anders als heute, sehr klar unterscheiden konnte, wofür die Parteien standen. Und das haben die Wähler auch gespürt. Und mit dem Gefühl dieser politischen Botschaften bin ich ins Parlament.
Die Rebellin
Wir führen unser Gespräch in dem kleinen Haus im Süden von Linz, das früher Sonjas Schwiegermutter, der SPÖ-Politikerin Edith Dobesberger, gehörte. Sonjas Ehemann Bernd leitete unter anderem das morgen.rot-Projekt der Landes-SP 2011. Er ist Vorstandvorsitzender im SPÖ OÖ Landesbildungsausschuss und Landesvorsitzender der oberösterreichischen Kinderfreunde. Im Hause Ablinger/Dobesberger war und ist immer alles irgendwie politisch. Auch wenn Sonja seit Oktober 2013 nicht mehr Nationalratsabgeordnete ist.
Uschi: Du warst speziell in den letzten Jahren deiner Tätigkeit als Abgeordnete im Nationalrat als Rebellin bekannt. Du konntest einige Beschlüsse der Partei nicht mittragen. Wie wohl hast du dich denn in dieser Rebellinnenrolle gefühlt?
Sonja: Wenn sich diese Rolle zu sehr zuspitzt, dann gehen Inhalte verloren. Ich war mir zum Beispiel damals, als ich bei der Asylrechtsnovelle oder beim Fiskalpakt nicht mitgestimmt habe, nicht sicher, ob auch klar ist, warum ich diese Entscheidung nicht mittragen kann.
Uschi: Du hast dich in diese Themenbereiche sehr aufwändig eingearbeitet, was ja auch Kräfte zehrend war.
Sonja: Mir war immer klar: Wenn du in einer so wesentlichen Frage, wie zum Beispiel beim Fiskalpakt dagegen stimmst, dann musst du auch alle wesentlichen Expertisen kennen und musst auch begründen können, warum du dagegen bist.
Uschi: Aber will das auch jemand hören?
Sonja: Nein, das ist ja das Schlimme. Ich hatte manchmal das Gefühl, ich hätte Mickey-Mouse-Hefte oder das Kommunistische Manifest oder das Telefonbuch vorlesen können. Das war so zermürbend, enttäuschend. Es ist einfach nicht diskutiert worden. Das ist in meiner ersten Zeit im Parlament noch leichter gewesen. Da waren wir zum Beispiel bei Lauschangriff und Rasterfahndung 5 oder 6 Leute, die dagegen waren, aber in der letzten Zeit war ich immer allein.
Uschi: Warum? Du bist doch eine gute Netzwerkerin.
Sonja: Verbündete hatte ich eigentlich immer, zum Beispiel in Gewerkschaft oder Arbeiterkammer; aber in den letzten Jahren war es im Klub selbst einfach denkunmöglich, dass man nicht geschlossen abstimmt. Da wird der Druck extrem erhöht. Aber, um auf die Frage zurückzukommen, Rebellin zu sein ist nicht immer angenehm, weil manchmal nicht mehr wahrgenommen wird, worum es mir inhaltlich geht.
Voll Beton
Uschi: Was war der stärkste gefühlte Umbruch in deinem Politikerleben?
Sonja: Eindeutig der Fiskalpakt. Da gab es eine SPÖ-Klubsitzung, in der ich drei Stunden vor allen voll Beton bekam. Ich war ja darauf vorbereitet und kannte das auch von früher, aber es war so heftig und so persönlich und ich durfte natürlich keine Schwäche zeigen. Das hat mich körperlich enorm angestrengt. Danach bin ich hinausgegangen, traf auf einen guten Freund, der mich ganz harmlos fragte, wie es mir geht, und plötzlich schossen mir die Tränen hinunter. Der Druck war so stark gewesen. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass das nicht mehr geht. Ich dachte dann „ich höre auf“ und als am nächsten Tag noch eine Presseaussendung der Kollegen kam, in der stand, „alle tragen Verantwortung, nur die Ablinger nicht“, da hatte ich das Gefühl, ich kann meine Anliegen politisch nicht mehr vermitteln.
Uschi: Und dachtest du da nie „vielleicht haben die ja doch recht“, „vielleicht ist der andere Weg auch ein Weg“.
Sonja: Nein, ich hatte so viel gelesen. Alle Ökonomen, die nicht neoliberal waren, warnten vor diesem Kurs, sich aus einer Krise herauszusparen, weil das zu immer höherer Arbeitslosigkeit in Europa führen wird. Viele Abgeordnete haben ja meine Zweifel geteilt, aber trotzdem im Sinne der Parteilinie abgestimmt.
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