Eigenständig und selbstbestimmt zu leben ist das Wichtigste, Jammern das Schlimmste für sie. Chancengerechtigkeit für Frauen, Migrantinnen und Arme ist ihr Lebensthema, auch wenn sie manchmal daran zweifelt ob der Kampf für Gerechtigkeit, Erfolg zeigt. Reisen in den arabischen Raum unternimmt sie am liebsten allein. Das gute Verhältnis zu ihrer Tochter macht sie glücklich.


Du bist verantwortlich für dein Tun

Uschi: Alle Frauen, mit denen ich für dieses Projekt Gespräche führe, sind grundsätzlich unabhängige Frauen, aber bei dir fällt das in besonderem Maß auf. Bei dir betrifft das nicht nur den Beruf oder dein Privatleben, es ist einfach deine Außenwirkung. Du strahlst etwas extrem Eigenständiges aus. Bist du dir dessen bewusst?

Ulrike

Ulrike: Nein… (überlegt), nein… und gleichzeitig stimmt deine Beobachtung. Ich komme aus einer Frauendynastie, in der es immer nur eine Tochter gab. Schon meine Mutter und meine Großmutter hatten diese Eigenständigkeit. Der Spitzname meiner Großmutter war „General“ und meine Mutter war zwar Hausfrau, aber sie verwaltete das Geld und mein Vater erhielt von ihr Taschengeld. Selbst das Haus, in dem wir wohnten, gehörte nur ihr. Bei einer Scheidung hätte er gehen müssen.

Uschi: Das ist ja erstaunlich, dass eine Frau, die keinen Beruf hat, sich auf diese Art ökonomisch unabhängig macht.

Ulrike: Ja, ich weiß auch nicht, wie sie das gemacht hat. Aber sie wollte jedenfalls nicht arbeiten, denn schließlich hatte sie ja geheiratet, um nicht mehr arbeiten zu müssen. Gleichzeitig war Intellekt ein hoher Wert für sie. Sie hat im Zorn einmal zu mir gesagt: „Du hast den Verstand eines Huhnes“. Damals war ich Teenager und empfand das als das Schlimmste, was sie sagen konnte.

Ulrike ist in Böblingen in Baden-Württemberg aufgewachsen. Ihre Mutter stammt aus einer Familie wohlhabender Calvinisten, die im zweiten Weltkrieg alles verloren hatte. Die calvinistische Erziehung zu Disziplin, Pflichterfüllung und Gerechtigkeit prägte sie.

Ulrike: Es wäre bei mir zu Hause nie möglich gewesen zu raunzen oder zu jammern, wie es die Österreicherinnen und Österreicher gern tun. Es war einfach so: Wenn du etwas willst, dann tu es. Du bist verantwortlich dafür.

Allein ist es einfacher

Die Selbstbestimmtheit, die Ulrike lebt, wurde ihr anerzogen. An eine genetische Vererbung glaubt sie nicht. Sie findet, dass Autonomie ihr das Leben erleichtert..

Ulrike: Für mich ist es auch leichter mit dieser Eigenständigkeit zu leben. Ich koordiniere mich beruflich ohnehin, aber das auch privat zu tun, würde mich zuviel Energie kosten. Allein entscheiden zu können und allein zu sein, - das brauche ich wie ein Stück Brot.

Ulrike war zwar verheiratet und über zehn Jahre mit ihrem Mann zusammen, lebt jetzt aber schon lange allein. Das Gespräch führen wir in ihrem schönen, hellen Haus, das mehrere Eigentümer als Teil eines Gemeinschaftsprojekts selbst entworfen haben. Alle am Projekt Beteiligten waren Paare, Ulrike war zu diesem Zeitpunkt schon allein.

Ulrike: In der Bauphase habe ich die Paare bedauert, die alles zu zweit machen mussten. Ich dachte mir, wenn ich mich schon so schwer tue bei der Entscheidung, was ICH will, und dann müsste ich meine Meinung noch bei einem Partner durchsetzen, das wäre unmöglich. Die anderen haben das sicher nicht so gesehen (lacht), aber das ist eben meine Sicht der Dinge.

Die Enge des Internats

Die erste Wende in Ulrikes Leben war ein Bruch mit ihrer Mutter, dessen Gründe sie heute gar nicht mehr so genau benennen kann. Vermutlich waren normale Pubertätserscheinungen daran schuld, wobei sie meint, dass sie als Tochter eines Lehrers vielleicht stärker als andere pubertierte.

Ulrike: Ich fühlte mich meiner Großmutter viel näher, als meiner Mutter. Meine Oma war sehr eigenständig und eine Art Revoluzzer. Ich erinnere mich an einen Abend, als meine Familie im Fernsehen einen Bericht über die 68er-Bewegung sah. Mein Vater meinte daraufhin an Oma gerichtet: „Gut dass du schon so alt bist, sonst wärst du jetzt in der ersten Reihe.“ Meine Eltern waren konservativ und ich habe dagegen rebelliert. Ich habe ihren Vorstellungen nicht entsprochen und wollte das auch nicht. Ich habe mich gegen die religiöse Scheinheiligkeit aufgelehnt - und dann steckten sie mich ausgerechnet in ein katholisches Internat.

Ulrike reagierte körperlich auf das Internat. Sie wurde oft ohnmächtig und litt bis zu ihrem endgültigen Auszug von zuhause mit 19 Jahren unter Gastritis. Dass sie mit 14 ins Internat gezwungen wurde, war einschneidend für sie.

Ulrike: Als Einzelkind, das immer ein eigenes Zimmer gehabt hatte, musste ich plötzlich in einem Vierbettzimmer zurechtkommen. Ich bin abends immer früh ins Bett gegangen, weil ich da das Zimmer für mich allein hatte und habe sehr viel Klavier geübt, weil ich dann das Klavierkammerl für mich hatte. Seltsamerweise bin ich aus dieser Distanziertheit heraus Klassensprecherin geworden. Ich wurde, wahrscheinlich, weil ich mit niemandem eng war, zu einer Art Beichtvater. Dann begann ich mich zu engagieren und habe mich für die Interessen meiner Kolleginnen eingesetzt. Auch wenn ich distanziert war, interessierte ich mich für die anderen. Ich wollte wissen, wie Menschen ticken, oder fragte mich: „warum tun sie jetzt so deppert?“.

Ulrike Bernauer-Birner

Geboren 1959 in Sindelfingen, BRD

Ausbildung zur Industriekauffrau in Friedrichshafen

Studium der Betriebswirtschaft in Augsburg und Linz, Abschluss 1987 mit Mag

Trainerin in der Erwachsenenbildung BFI OÖ

Unternehmensberatung Treuhand Salzburg

Weiterbildung in Unternehmensführung-und beratung

Bereichsleiterin ÖSB Unternehmensberatung (Beratung Träger aktiver Arbeitsmarktpolitik)

Universitätslektorin Uni Linz

Seit 2001 Geschäftsführerin VFQ (Gesellschaft für Frauen und Qualifiktaion)

Studium Migrationsmanagment Donauuni Krems, Abschluss 2013 mit Msc

Ulrike ist geschieden und hat eine Tochter

Die österreichische Mentalität

Dass Ulrike mit Anfang zwanzig wegen eines Mannes von Deutschland nach Österreich ging, ist verblüffend, wenn man weiß, wie wichtig ihr ihre Unabhängigkeit ist.

Ulrike: Ja stimmt, das passt eigentlich nicht. Andererseits komme ich aus einer Familie, in der nie jemand dort geblieben ist, wo man aufgewachsen ist. Mich wundert da eher, dass ich in Österreich gelandet bin und nicht im anglikanischen Raum.

Ulrike vor Bücherwand

Uschi: Es ist also das nahe Österreich geworden und deine erste Zeit in Linz, - das war vor Gründung der EU - war nicht immer leicht für dich.

Ulrike: Ich musste jedes Jahr wegen meiner Aufenthaltsgenehmigung zur Fremdenpolizei. Da habe ich ziemlich geflucht. Ich dachte, die wollen mich nicht. Letztlich habe ich wegen der Arbeitserlaubnis geheiratet. Ich hatte ein Jobangebot von der VOEST, bei der gerade Arbeiter entlassen wurden. Der Betriebsrat war der Meinung, sie könnten nicht Inländer entlassen und eine Ausländerin nehmen. Das war zwar ein völliger Topfen, weil es ja um andere Fachbereiche ging, aber der Betriebsrat hat die Bedingung gestellt, dass wir heiraten. (lacht). Wir haben das Aufgebot bestellt, aber mich hat das so gewurmt, dass ich dann erst recht nicht bei der VOEST zu arbeiten begonnen habe.

Abgesehen von den anfänglichen Problemen mit der Aufenthaltsgenehmigung fühlte sich Ulrike in Österreich schnell wohl. Die Mentalitätsunterschiede nahm sie allerdings gleich wahr.

Ulrike: Wenn mein damaliger Partner manchmal jammerte oder schimpfte, glaubte ich, er bräuchte Hilfe. Aber die wollte er gar nicht, er wollte nur reden. Ich glaube, da gab es immer Irritationen. Bei mir ist es so, dass ich nicht raunze, aber wenn ich einmal in der Richtung etwas sage, dann brauche ich Hilfe. Und wenn die dann in der Beziehung nicht kam, weil mein Partner glaubte, ich wollte auch nur reden, hatte ich das Gefühl, ich werde total im Regen stehen gelassen. Das ist vielleicht eine Kleinigkeit, macht aber einen Riesenunterschied. Damals war mir das nicht klar, denn ich dachte, wir sprechen die gleiche Sprache, also müssen wir einander auch verstehen. Das ist grundsätzlich etwas, das ich in Österreich nicht aushalte. Wenn Menschen zuviel jammern, dann drehe ich mich innerlich um - wenn ich kann, auch äußerlich. Außer jemand hat ein Problem oder ist krank oder Ähnliches, aber so als Dauereinrichtung halte ich das Jammern nicht aus.

Mutter sein

Bei den Zielen, die sich die junge Ulrike für ihre Zukunft steckte, stand immer die Berufstätigkeit, das eigenständige Geldverdienen im Vordergrund. Ob sie Mutter werden wollte, war damals noch nicht so klar.

Ulrike: Als ich dann meine Tochter bekommen habe, hatte ich ein ganz wichtiges Ziel: Dass sie 15 Jahre wird und wir noch gut miteinander können. Also anders als bei mir und meiner Mutter. Das Ziel ist aufgegangen, meine Tochter und ich haben eine gute Beziehung zueinander. Das ist mir ein ungeheurer Wert. Wenn das nicht geglückt wäre, hätte es mir die Haxen ausgerissen, dann könntest du mich vielleicht im Wagner-Jauregg besuchen. Ich habe auch Therapien gemacht, um das, was ich in meiner Herkunftsfamilie erlebt habe, aufzuarbeiten. Ich wollte keine Wiederholung. Und das ist gelungen.

Uschi: Du hast immer gearbeitet. Warst du Alleinerzieherin?

Ulrike: Nein, der Vater war sehr präsent. Das ging gut. Wir haben uns getrennt, als unsere Tochter erst ein Jahr war. Wir hatten die Vereinbarung, dass sie ein Drittel der Zeit bei ihm verbringt und das wurde hauptsächlich aufgrund meiner beruflichen Termine eingeteilt. Dafür bin ich ihm heute noch sehr dankbar.

Obwohl sie es eigentlich nicht wollte, hat Ulrike die Tradition der „Ein-Tochter-Dynastie“ fortgeführt, denn ein zweites Kind war nicht mehr möglich, weil die Beziehung schon am Auseinanderbrechen war.

Ulrike: Meine Mutterschaft hatte eine sehr hohe Bedeutung für mich. Das war nach außen gar nicht so sichtbar, denn ich war ja eine Frau, die berufstätig war und voll im Einsatz. Und zum Essen hat es auch nicht immer etwas „Richtiges“ gegeben, aber meine Tochter war und ist einfach enorm wichtig für mich. Als sie dann ausgezogen ist, war das Leben danach schon eine Herausforderung. Dabei habe ich ihren Auszug initiiert, weil ich fand, dass sie Verantwortung für ihr Leben übernehmen sollte.

1 von 2 - Nächste Seite