Kampf für Gerechtigkeit

Durch Diskussionen mit ihrem Vater wurde in Ulrike schon im Alter von 12 Jahren politisches Bewusstsein geweckt.

Ulrike: Damit ich für diese Diskussionen mit meinem Vater besser gewappnet war, begann ich mich vorzubereiten. Ich habe es ihm zu verdanken, dass ich politisiert worden bin. Er war stockkonservativ, also musste ich rot werden (lacht). Und wenn man sich mit Politik auseinandersetzt, ist klar, dass es auch um Geld geht. Dass ich dann BWL studiert habe, liegt eher an meinem Interesse an der Arbeitswelt als solcher. Wie sie funktioniert und wie sie besser funktionieren könnte.

In diese Richtung hat sich dann auch ihre berufliche Laufbahn entwickelt. Seit vielen Jahren leitet sie die Organisation „vfq“, die beispielsweise in einer eigenen Tischlerei und Glaserei Frauen zu einem Lehrabschluss verhilft. Zunehmend wichtiger wird die Arbeit mit älteren Migrantinnen, die „vfq“ unterstützt und begleitet. Ulrikes Aufgabe ist es unter anderem Fördermittel zu lukrieren, damit junge, aber auch ältere Frauen mehr Chancen haben.

Ulrike: Es geht mir nicht darum, dass diese Frauen ein bissl dazu verdienen können, sondern um Existenzsicherung. Es geht zum Beispiel auch darum, dass Migrantinnen ihren Fähigkeiten entsprechend Beschäftigung bekommen, von der sie auch leben können. Letzte Woche zum Beispiel hat eine junge Chinesin den Lehrabschluss mit gutem Erfolg gemacht. Sie ist handwerklich ein Genie, aber die sprachliche Barriere hätte ihr ohne unsere Organisation keine anerkannte Ausbildung ermöglicht. Jetzt hat sie einen Job in einer Tischlerei.

Ulrike hat immer im arbeitsmarktpolitischen Kontext gearbeitet, als Managerin, als Unternehmensberaterin.

Ulrike: Das war mir wichtig. Es hätte mir der Sinn gefehlt, wenn ich nur Profitunternehmen beraten hätte. Da hätte ich mich nie so engagiert. Ich habe immer in Non-Profit-Organisationen, im Sozialbereich oder im arbeitsmarktpolitischen Bereich gearbeitet. Zwar habe ich nach dem Studium in Profitunternehmen begonnen, aber da wurde mir schnell klar, dass mir der Sinn dahinter fehlt. Warum muss ich mich anstrengen, damit Bahlsen mehr Kekse verkauft?

Da mache ich es lieber selbst

Uschi: Du bist schon seit 25 Jahren in leitenden Funktionen tätig. Bist du gerne Chefin?

Ulrike beim Blumengießen

Ulrike: Chefin zu werden habe ich nie angestrebt. Ich habe als Teilzeitangestellte in einer arbeitsmarktpolitischen Beratungseinrichtung angefangen, meine Tochter war ganz klein und ich bin gerade in Trennung gewesen. Da gab es einen Vorgesetzten, der wirklich unmöglich war; als dessen Stelle nachbesetzt wurde, meinte eine Kollegin „Warum machst du das nicht selbst, bevor du wieder einen Deppen vorgesetzt bekommst?“ Da dachte ich, „stimmt“. Das war der Einstieg. Es muss jemand inhaltlich schon sehr kompetent sein, dass ich ihm „folgen“ würde, sonst mache ich es lieber selber.

Uschi: Was qualifiziert dich abgesehen vom Fachlichen als Führungskraft?

Ulrike: Ich glaube, dass ich mich stark engagiere und ein gutes Gefühl dafür habe, welche Inhalte in Zukunft gefragt sind. Ich habe ein Gespür dafür, auf welche Themen wir uns draufsetzen müssen. Ich bin zwar keine große Netzwerkerin, weiß aber ganz gut, wohin ich mich wenden muss.

Uschi: Du hast eine sehr tiefe Stimme…..

Ulrike: Das ist ein Vorteil. Das macht mich privat manchmal sehr unsicher, aber beruflich hat sie eine hohe Bedeutung, weil sie Stärke vermittelt. Die Stimme ist in der Schwangerschaft plötzlich so geworden und ich habe auch lange geraucht, insofern habe ich meine Stimme gepflegt (lacht).

und außerdem…

Partnerschaft: Lass es mich so sagen: Zur Zeit ist sie für mich denkunmöglich, weil meine Arbeit momentan sehr intensiv ist. Weil ich alles an Energie in Bezug auf Verbindlichkeit und Engagement in das Berufsleben einbringe. Ich bin nicht besonders geeignet für komplexe Sachen. Mir bleibt schon beim Zuschauen die Luft weg, wenn ich Patchworkfamilien beobachte. Mich auf die Arbeit einzulassen und ein Kind zu haben ist das Maximum an Komplexität, das für mich lebbar ist. Wenn ich mir vorstelle, dass ich da noch einen anderen Menschen mit berücksichtigen müsste, das wäre zuviel. Da verliere ich den Überblick. (lacht) Wenn ich nicht mehr arbeite, dann könnte es sein, dass ich mir eine neue Aufgabe suche, das könnte dann eine Beziehung sein, aber derzeit - nein (lacht).

Heimat: Ich bin eine k.u.k. Promenadenmischung mit deutschem Pass. Wenn mir etwas nicht passt, kann ich denken „na die sind aber komisch, die Österreicher“. Nach den Wahlen sage ich mir „bin ich froh, dass ich nicht mitverantwortlich bin“. Das hilft mir Distanz zu halten. Ich käme nie auf den Gedanken, die österreichische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Wobei es das Deutschland, das ich verlassen habe, auch nicht mehr gibt. Ich war eine Tochter der BRD. Und mit diesem vereinten Deutschland kann ich ja gar nichts mehr anfangen. Ich wäre in Deutschland nicht mehr daheim. Zuhause bin ich hier, in Österreich.

Demos: Es geht mir um ein politisches Wertesystem, Gleichheit, Schwesterlichkeit, … sicher ein linkes Bild, wobei ich das heute sicher weniger parteipolitisch formuliere, als ich es früher formuliert hätte. Ich könnte heute nicht mehr sagen, dass ich einer Partei besonders nahe stehe, da habe ich schon Distanz, aber das Wertebild ist das Gleiche geblieben, vielleicht sogar radikaler. Oder wieder radikaler. Als meine Tochter kleiner war, hatte das nicht so Priorität, aber heute könnte man mich schon wieder zu einer Demo motivieren.
Gegen die Kluft zwischen Arm und Reich, also für „Attac“. Da ich durchaus Angst vor „rechts" habe, kann man mich zu einer Lichterkette animieren. Das Aufblühen von Nationalstaaten finde ich gefährlich. Und für Frauenthemen würde ich natürlich auf die Straße gehen.

Die Heuschrecken sind an Bord

Uschi: Wie zufrieden bist du mit deinem Leben bis jetzt?

Ulrike: Das ist sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite bin ich irrsinnig zufrieden. Meine Tochter und ich haben ein sehr schönes Verhältnis und sie geht wunderbar ihren eigenen Weg. Wenn das nicht wäre, wäre Zufriedenheit nicht möglich. Ich habe ein Haus gebaut, das mit Ende meiner Berufstätigkeit voraussichtlich abbezahlt ist - das ist mir wichtig, weil es mit meiner Existenzsicherung zusammenhängt. Auf dieser ganz persönlichen Ebene bin ich ganz zufrieden.

Uschi: Und auf der beruflichen Ebene?

Ulrike: Da bin ich ambivalent. Unsere Organisation ist anerkannt und gut vernetzt und wir sind auch erfolgreich. Aber auf einer größeren Ebene habe ich mir noch mehr erwartet. Es wird zunehmend schwierig für eine so kleine autonome Organisation zu bestehen, weil große überregionale Organisationen die Kohle bekommen. Es gibt einen Konkurrenzkampf unter den Anbietern von Sozialleistungen. Die Anbieter, mit denen wir konkurrenzieren, sind Profitunternehmen, die nicht mehr von Inhalten getragen sind, sondern damit Geld verdienen wollen. Die Heuschrecken sind an Bord.

Müde vom Weltverbessern

Ich führe mit Ulrike zwei Gespräche für frauenleben.eu. Beim zweiten Interview in ihrem Büro schaut sie mich plötzlich nachdenklich an……

Ulrike mit Katze

Ulrike: Ach Uschi, wir wollten doch die Welt retten…. wir sind angetreten, die Welt lebenswerter zu machen. Mit hohen Idealen. Ich habe lange Jahre an meinen Zielen gearbeitet und sie verfolgt. Aber in letzten drei, vier Jahren passiert es mir immer wieder, dass ich merke, dass die Welt, gemessen an meinen Werten, schlechter geworden ist. Und ich habe das lange nicht gemerkt. Als ich Anfang zwanzig war, dachte ich, wir sind mehrheitsfähig, wir verbessern die Welt. Jetzt habe ich das Gefühl wir sind gescheitert. Real hat sich die Welt verschlechtert. Die Armen werden ärmer und werden abgehängt.

Uschi: Konnte unsere Generation nichts bewirken?

Ulrike: Wenig. Wir haben sehr wenig bewirkt.

Uschi: Was hätte denn bewirkt werden können?

Ulrike: Eine Gesellschaft, in der mehr Chancengerechtigkeit herrscht. Zum Beispiel wollten wir, dass Frauen gleichwertige Zugänge in der Arbeitswelt haben. Heute glaube ich schon, dass einzelne Frauen mehr Möglichkeiten haben, aber viele sind noch viel schlechter dran als damals. Junge Migrantinnen zum Beispiel.

Uschi: Bist du enttäuscht? Müde? Resigniert?

Ulrike: Enttäuscht ja. Und es macht müde. Nicht resigniert. Es ist eher so, dass ich denke, eine Neuausrichtung wird notwendig sein. Ja, ich habe das Gefühl, dass ich mich neu ausrichten muss,

Uschi: Nicht mehr in Richtung Weltverbesserung?

Ulrike: Nein, die großen Ziele lasse ich weg…(lacht).

Uschi: Und stattdessen?

Ulrike: Das weiß ich noch nicht, wahrscheinlich ist das etwas sehr Persönliches. Kleinere Brötchen backen auf jeden Fall.

Uschi: Aufgeben? Der Rückzug ins Private?

Ulrike: Nein, das nicht. Biedermeier ist unlustig. Ich finde die jungen Sachen nicht schlecht. Das Unterstützen von kleineren autonomeren Gruppen. Dort kann ich mir vorstellen, mich einzubringen. Ich sehe mich nicht strickend auf dem Sofa sitzen. Aber vielleicht engagiere ich mich zum Beispiel nicht für die große Migrationspolitik, sondern kümmere mich um eine konkrete Frau und unterstütze die.

Die Geschichte mit dem Herz

Als ihre Tochter von zu Hause auszog, hatte Ulrike vor, von ihrem Haus in eher ländlicher Umgebung weg in die Stadt zu ziehen. Sie suchte sich eine Wohnung in Linz, wollte am Tag arbeiten und am Abend ins Theater gehen und das Stadtleben genießen.

Ulrike: Dann kam die Geschichte mit meinem Herz - ich stand kurz vor einem Herzinfarkt, bekam zwei Stents und das hat langfristig etwas verändert. Ich habe zu rauchen aufgehört, was eine ziemliche Veränderung für mich war und beschloss im Haus zu bleiben. Wollte walken, Ruhe haben und mehr für meine Gesundheit tun. Das Thema Wohlfühlen, das Thema Gesundheit hatte plötzlich eine Bedeutung bekommen, die es vorher überhaupt nicht hatte…

Uschi: … weil man ja nicht jammert….

Ulrike: …genau, man funktioniert.

Allein verreisen

Uschi: Selbst Menschen, die sehr gerne allein leben, finden es oft schwierig, allein zu verreisen. Nicht nur Frauen. Aber ich kenne außer dir keine Frau, die sagt, dass sie am liebsten allein reist.

Pflanzen in Ulrikes Küche

Ulrike: Naja ich reise schon gerne mit meiner Tochter, aber sonst bin ich tatsächlich sehr gerne allein unterwegs. Wenn ich einmal in Pension gehe, dann wird möglicherweise alles anders. Derzeit ist es so, dass ich in meiner Arbeit stark von außen gesteuert bin. Wenn ich allein reise, dann kann ich tun, was ich will. Und es hat immer auch etwas von Selbsterfahrung.

Als Tochter eines Geschichtslehrers interessiert sich Ulrike für alte Gemäuer. Da sitzt sie dann auf einem Stein und liest in ihrem Reiseführer.

Ulrike: Ich habe keine große Lust auf Gespräche mit anderen Reisenden. Wenn ich doch einmal Kontakt will, setzte ich mich einfach an die Theke einer Bar. In meinem Alter gibt es da auch keine Missverständnisse mehr. Es wird also mit den Jahren leichter, allein zu reisen. In Kommunikation gehe ich dann, wenn mich etwas interessiert. In Israel zum Beispiel habe ich den Kontakt zu Juden und Palästinensern gesucht, weil es mir darum ging, mehr über deren Leben zu erfahren.

Uschi: Du fährst ja ganz gerne in den arabischen Raum, was für viele Frauen allein ein Albtraum wäre. Bist du so angstfrei, so selbstsicher?

Ulrike: Ich bin nicht sicher, ob ich so angstfrei bin, aber ich will mich von meiner möglichen Angst nicht einschränken lassen. Ich wäre allerdings nie die auf die Idee gekommen in Kriegsgebiete zu fahren. Das würde ich zwar spannend finden, aber das tue ich nicht, so neugierig bin ich auch wieder nicht. Es muss schon ein kalkulierbares Risiko sein.

In den arabischen Staaten hat Ulrike gute Erfahrungen als Reisende gemacht. Sie fühlt sich meist dort am wohlsten, wo die wenigsten Touristen sind.

Ulrike: Ich glaube auch, dass ich ein Gespür dafür habe, wo ich nicht mehr hingehöre. In Aleppo in Syrien zum Beispiel war ich einmal allein unterwegs und bin in einem Palästinenserviertel gelandet, in dem die Frauen voll verschleiert waren und nur mehr Sehschlitze hatten und die Männer haben mich feindselig angeschaut, da habe ich gespürt, das geht nicht.

Ulrike erzählt diese Begebenheit recht nüchtern. Zum Drama neigt sie nicht. Selbst dann, wenn es lebensgefährlich wird.

Ulrike: Einmal war es kritisch. Meine Tochter und ich fuhren mit dem Rucksack nach Indonesien. Kurz davor hatte ich die Herzprobleme gehabt und die Stents eingesetzt bekommen. Wir fuhren dann auf indonesische Inseln ohne ärztliche Versorgung und es ging mir nicht gut. Da dachte ich dann „na wenn es aus ist, ist es aus“. Ich habe dann auch ein Stück Fatalismus. Das Leben ist lebensgefährlich. Na und.

Die Interviews wurden am 6. März und 22. April 2014 in Leonding geführt.

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