Wenn sie Lust auf Shoppen hat, geht sie in eine Werkzeughandlung. Sie liebt ihren Beruf als Tischlerin, was ihre bürgerlichen Eltern nicht standesgemäß fanden. Für Chaos in ihrer Wiener Altbauwohnung sorgen ein Riesenhase, drei Katzen und zwei Papageien. Weil sie viele Talente hat, fiel es ihr immer schwer, sich zu spezialisieren, ihr Selbstvertrauen erstaunt sie oft selbst.


Milchmädchen

Uschi: 95 Prozent der Österreicher kennen Maresi. Die Milch, die deinen Namen trägt, gehört zu den bekanntesten österreichischen Marken überhaupt. Wie kann ich mir das vorstellen, mit so einem Namen aufzuwachsen?

Maresi Bretschneider

Maresi: Schrecklich (lacht herzlich). Wirklich Schrecklich. Meine Eltern haben aber beteuert, dass die Maresi-Milch erst nach meiner Geburt erfunden wurde. (Tatsächlich gab es die berühmte Kondensmilch schon sechs Jahre vor Maresis Geburt). Mich reißt es immer noch, wenn Leute beim Billa fragen: „Wo ist die Maresi?“. Als Kind war das wirklich mühsam.

Maresi heißt eigentlich Maria-Theresia. Als Tischlerin nannte sie sich eine Zeit lang Marie-Therese, von ihren Freunden wurde sie aber immer nur Maresi genannt. Als sie elf Jahre war, beantwortete sie für die Tageszeitung „Kurier“ Leserbriefe von Kindern. Dadurch wurde ein anderes Mädchen mit gleichem Namen auf sie aufmerksam.

Maresi: Diese Maresi hat in einem Leserbrief über ihren Namen gejammert. Daraufhin hat sich die Firma Maresi gemeldet und hat uns beiden je eine Schatulle mit silbernen Talern geschenkt.

Ärztin oder Tischlerin?

Uschi: Ich finde, du wirkst eher wie eine Ärztin als eine Tischlerin. Tatsächlich hast du ja sechs Semester Medizin studiert, dann aber eine Lehre begonnen. Warum?

Maresi: Ich wollte etwas Handwerkliches machen, habe überlegt, Goldschmiedin zu werden. Aber ich dachte, dass ich mir das Material für diesen Beruf nicht leisten könnte und dass er auch nicht so krisensicher wäre. Grundsätzlich wollte ich lernen Möbel zu restaurieren, aber dahin führte der Weg damals nur über die Tischlerei.

Maresi vor ihrer Werkstatt

Uschi: Auch ehemalige Mitschüler aus deiner Zeit am Gymnasium meinen, dass ein Medizinstudium sehr passend für dich war.

Maresi: Naja, das Studium war vor allem der Wunsch meiner Eltern. Das war seltsam, denn ich war einerseits entsetzlich widerborstig, aber auf der anderen Seite habe ich widerspruchslos das gemacht, was man mir vorgeschrieben hat. Ich war zwar bockig, habe mir aber gar keine Alternative zum Medizinstudium übergelegt. Das Schlimmste war dann die Pathologie beim Studium. Die Leichen. Tote Sachen sind ein richtiges Problem für mich.

Uschi: Als du deine Lehre begonnen hast, war Tischlerin noch ein extrem seltener Beruf für eine Frau. Da hat schon Mut dazu gehört.

Maresi: (zögert). Naja, ich habe mir das gar nicht so gut überlegt. Als die Entscheidung gefallen war, dass ich die Medizin sein lasse, bin ich von zu Hause ausgezogen. Ich habe einen Freund gehabt, der im Rollstuhl saß, das war eine wilde Zeit. Da waren die Eltern schon so bös’, dass es mir egal war. Extrem mühsam war die Suche nach einem Lehrherrn, - nicht nur, dass ich ein Mädchen war, ich war auch fünf Jahre älter als andere Lehrlinge.

Als Maturantin hätte Maresi höher bezahlt werden müssen. Mit einem juristischen Trick setzte sie durch, dass sie die Lehrstelle bei niedrigerer Bezahlung bekam.

Maresi Bretschneider

Geboren 1961 in Wien

Als Kind längere Aufenthalte mit der Familie im Ausland. Ein Jahr in den USA, ein Jahr in Italien, ein halbes Jahr in der Schweiz.

1979 - 1982 Medizinstudium in Wien

1982 Abbruch des Studiums und Beginn einer Tischlerlehre in Wien

1988 Meisterprüfung Tischlerin

1989 Heirat und Eröffnung einer Tischlerwerkstatt

2002 bis 2015 Stellvertretende Landesinnungsmeisterin der Wiener Tischlerinnung

2005 bis 2010 Spartenlehrlingsbetreuerin der Sparte Gewerbe und Handwerk der WK Wien

2015 Ernennung zur Kommerzialrätin

1991 und 1992 Geburt der Söhne Vincent (heute Jurist) und Lukas (heute Tischler und Studium IT Security)

Seit 2011 Mitglied bei der Sgt. Potschka's Lonely Hearts Club Band

Maresi hat einen Riesenhasen, drei Katzen und zwei Graupapageien

Liebe zu den Maschinen

Uschi: Tischlerei ist ein körperlich durchaus anstrengender Beruf. Wie ist es dir da ergangen?

Maresi: Da habe ich Glück gehabt. Ich habe in einer Tischlerei gelernt, die hauptsächlich Massivholzmöbel gemacht hat und ich habe so nette Kollegen gehabt. Türken, mit denen ich heute noch in Kontakt bin. Das waren keine Hilfsarbeiter, sondern echte Spezialisten, die waren supergut und so lieb und haben auf mich aufgepasst. Das war ja wild damals, wir hatten keine Toilette, keinen Aufenthaltsraum, wir haben die Maßstäbe und Bleistifte selbst mitbringen müssen.

Maresi bei der Arbeit

Uschi: Du hattest keinen optimalen Chef, - trotzdem war dir klar, dass du das für dich Richtige machst. Was fasziniert dich am Tischlern?

Maresi: Eigentlich wollte ich ja restaurieren lernen, aber ich muss sagen, dass mir das Herstellen von neuen Möbeln sehr gefällt. Wobei die Arbeit mit Massivholz eine Luxussparte ist. Es ist eine tolle Sache, wenn du rohe Bretter mit Rinde dran bekommst und etwas daraus machst. Das ist so faszinierend.

Uschi: Passiert da viel im Kopf bei dir? Geht es ums Machen oder um das Entwerfen?

Maresi: Ich mag einfach meine Maschinen (lacht). Manche Leute kaufen sich Schuhe, ich kaufe mir Werkzeug. Ich kann über Katalogen brüten, in Werkzeughandlungen oder Bauhandlungen stöbern - ahh da gibt es unglaublich tolle Dinge. Da könnte ich Geld lassen - servus Kaiser! Ich mag Werkzeug so gern.

Uschi: So wie du das erzählst, wirkst du sehr emotional.

Maresi: Ja ich habe meine Werkstatt schon sehr gerne. Ich begrüße sie in der Früh, ich verabschiede mich von ihr am Abend, ich schau, dass es ihr gut geht. Sie ist irgendwie eine Freundin.

In der Männergesellschaft

Unmittelbar nach ihrer Meisterprüfung kündigte Maresi und eröffnete ihre erste eigene Werkstatt in einem Kellerlokal. Schnell bekam sie Aufträge von Freunden. Die Möbel, die sie damals anfertigte, gibt es heute noch.

Maresi: Oh ja, unglaublich, Ich war kürzlich bei der Dame, für die ich meinen ersten Auftrag gemacht habe. Jetzt ist eine Tür bei dem Kasten ausgebrochen. Aber das darf nach dreißig Jahren sein. Auch die Bibliothek, die ich für sie gemacht habe, ist noch sehr schön. Damals war ich hochschwanger, es ist mir ein Rätsel, wie ich diese riesige Bibliothek gebaut habe. Dass ich mich an diese Nussbibliothek mit Spanplatten getraut habe, verstehe ich heute noch nicht.

Uschi: War das der Jugend geschuldet, dass du damals so viel Selbstvertrauen hattest?

Maresi: Offenbar.

Maresi vor selbstgebautem Regal

Uschi: Es hat dir ja generell nicht an Selbstvertrauen gemangelt. Du warst stellvertretende Innungsmeisterin - bist du so gut im Vernetzen? Bist du gerne Wortführerin?

Maresi: Überhaupt nicht. Ich bin nicht gut im Vernetzen. Ich bin auch kein Alphatier. Ich weiß nicht, was mich da geritten hat. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, dann überlege ich kurz oder gar nicht und schlage zu. Das entspricht mir. Bei der Innung war ich ja schon immer, weil ich mitgestalten wollte und da habe ich bei den Versammlungen immer den Mund aufgemacht und mitgeredet.

Uschi: Bist du als Frau in dieser Männergesellschaft immer ernst genommen worden?

Maresi: Es ist zwar eine Männergesellschaft, aber ich glaube, mein Vorteil ist, dass ich überhaupt nirgends dazugehöre, weil ich nicht aus dieser Schicht komme, aus der die meisten Handwerker kommen. Ich spreche auch eine andere Sprache als andere Tischler. Die wussten ja alle, dass ich Medizin angefangen habe, dass ich aus einer Akademikerfamilie komme, dass ich Latein und Griechisch kann. Und ich habe für die Innung aus dem Englischen übersetzt und die Schriftsätze der Innung kontrolliert. Das hat mir eine Sonderposition verschafft und das habe ich auch kultiviert. Wenn ich bei Sitzungen dabei bin, gibt es keine derben Witze.

Werkzeuge für Männerhände

Uschi: Du hast relativ selten Mädchen als Lehrlinge oder für Praktika gehabt, Frauen zu fördern hast du nicht als deine Aufgabe gesehen?

Maresi: Nein, das ist mir egal. Frau hin, Frau her, wer das machen will, soll das machen. Ich würde Frauen nicht extra fördern, weil ich keinen Sinn darin sehe. Das Problem ist, dass es ein harter Job ist, ein Knochenjob, und ein minimaler Prozentsatz der Mädchen tut sich das an. Ich habe Mädchen bei Prüfungen gehabt, die sind mit langen Fingernägeln gekommen. Einmal war ein Mädchen bei einer Prüfung, das keine Maschine bedienen konnte.

Uschi: Und das hast du bei Burschen nie erlebt?

Maresi: Nein. Was mich sehr schmerzt ist, dass man noch immer erwartet, dass Mädchen ein bisschen besser und motivierter als Burschen sind. Das ist aber nicht der Fall. Es ist zur Zeit so ein Druck auf die Mädchen, es gibt viele Programme und Förderungen, die Frauen in die Technik bringen sollen, mir kommt das wie Diebstahl an ihrer Lebenszeit vor. Diese Mädchen bleiben alle nicht im Beruf und stehen dann ohne Ausbildung da. Zu einem sehr großen Prozentsatz profitieren sie auch nicht von ihrer Ausbildung. Es gibt natürlich Ausnahmen, ich habe vor einem Jahr einer jungen Frau eine Auszeichnung gegeben, weil sie so gut war.

Uschi: Warum ist das so?

Maresi: Es ist halt ein bestimmter Typ Frau, der für diesen Beruf geeignet ist. Man sieht das auch. Diese Frauen haben keine Stöckelschuhe an, die haben keine langen Fingernägel. Das Körperliche spielt ja eine große Rolle bei diesem Beruf. Ich kann zum Beispiel keine schweren Platten schleppen, Burschen können das. Alle Maschinen, alle Werkzeuge sind für Männerhände gemacht. Jede Maschine ist mir zu hoch, jedes Werkzeug ist mir eigentlich zu dick. Das könnte man ändern. Aber warum soll die Industrie das ändern, wenn es nicht nachgefragt wird? Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Möglicherweise sind Frauen tatsächlich zu einem geringeren Prozentsatz mit technischen Fähigkeiten behaftet. Nicht zu einem Prozentsatz von neunzig zu zehn aber vielleicht sechzig zu vierzig.

Uschi: Das hältst du für möglich?

Maresi: Aus meiner Erfahrung schon. Dafür sind Mädchen meiner Erfahrung nach sprachlich besser als Burschen. Aber natürlich spielt auch ganz einfach die Tradition eine Rolle.

Miniröcke und Glitzer

Uschi: Bist du Feministin?

Maresi: Nein, ich glaube nicht. Ich gehe einfach davon aus, dass man das Recht hat, gleich behandelt zu werden, aber ich stelle keine Forderungen. Ich sehe einfach nicht ein, dass Menschen unterschiedlich bewertet werden, je nachdem ob, sie Männlein oder Weiblein sind.

Maresi mit Katze

Uschi: Genau das ist aber der Fall, das passiert ständig.

Maresi: Ja, ich habe immer verdammtes Glück gehabt, dass ich diesbezüglich nie etwas Schlimmes erlebt habe. Ich will einfach, dass es selbstverständlich ist, dass Frauen und Männer gleich viel wert sind. Eine Kultur, die Frauen nicht als gleichwertig erachtet, finde ich inakzeptabel. Ich habe mich ja nie diskriminiert gefühlt. Nie. Jedenfalls nicht durch Personen, durch das System ja.

Uschi: Was aber auch mit deiner Herkunft, deiner Ausgangsposition, deiner Selbstsicherheit zu tun haben wird.

Maresi: Ja, das kann sein. Wobei ich ja finde, dass da die Entwicklung rückläufig ist. Ich glaube, wir waren wesentlich emanzipierter als die Mädchen jetzt. Allein schon, wie sie in ihren Schühchen und Miniröcken mit Glitzer und in Rosa daherkommen.

Uschi: Offenbar ist es für junge Mädchen wichtig zu zeigen, dass sie sexy sind.

Maresi: Die schauen aus, als ob sie auf eine wilde Party gingen, mit allen Konsequenzen, die die Nacht so mit sich bringen mag. Und so schauen sie schon am Vormittag aus. Wobei man natürlich nicht daraus schließen darf, dass die Mädchen damit etwas signalisieren wollen und die Männer sich etwas herausnehmen dürfen.

Uschi: Was macht das mit den Mädchen?

Maresi: Ich finde, das ist ein irrsinniger Druck für sie. Ich finde es nicht klug, wenn die Mädchen sich so anziehen. Dieses Äußerliche hat einen Stellenwert, der mich fassungslos macht. Und dann predigt man ihnen: „Frauen in die Technik!“.

Uschi: Das ist ein gewisser Widerspruch. Einerseits sollen sie arbeiten, selbstständig sein und technische Berufe ergreifen, andererseits wird ihnen suggeriert, dass Aussehen alles ist, dass es so wichtig ist schön zu sein.

Maresi: Ich glaube, die Kluft wird immer größer. Und ich bin überrascht, wie sich das manifestiert.

Als Chefin zu lasch

Seit zwei Jahren hat Maresi keine Mitarbeiter mehr. Neue Auflagen hätten Investitionen erfordert, die sich für sie nicht mehr rentierten. Nun sind es keine Angestellten, sondern Untermieter, die ihre Ressourcen nützen.

Uschi: War deine Tischlerei jemals finanziell lukrativ?

Maresi: Nein, nicht wirklich. Sie hat sich erhalten.

Uschi: Hast du das Zeug zur Unternehmerin?

Maresi: Nein, überhaupt nicht (lacht).

Uschi: Bist du eine gute Chefin?

Maresi: Ja, das glaube ich schon. Aber ich bin zu lasch als Chefin. Wir haben uns immer alle lieb gehabt, es war immer eine gute Stimmung bei uns. Aber mein Sohn hat mir gesagt, dass bei mir der Schlendrian drinnen ist. Da waren Leute bei mir, seit sie sechzehn waren, haben bei mir gelernt, hatten mit mir eine Art Mutter-Kind-Verhältnis, - da konnte ich nicht die böse Chefin spielen.

Uschi: Aber gelernt haben sie schon etwas bei dir?

Maresi: Ja, ja. Super sogar, ich habe einen sehr hohen Ausbildungsstandard.

Traditionelle Werte

Uschi: Du hast zwei Söhne. Warum hat das bei dir funktioniert? Mit zwei Kindern und diesem Beruf, in den du soviel Zeit investierst?

Maresi: Ich glaube, das ist Gewöhnungssache. Warum wird einer krank, wenn er im Regen steht, und ein anderer nicht? Ich weiß es nicht. Wobei meine Erziehung auch eine Rolle spielt.

Maresi im Gespräch mit Uschi Christl

Uschi: Aber deine Eltern hatten für deinen Berufswunsch kein Verständnis. Sie fanden die Tischlerei nicht standesgemäß?

Maresi: Naja, in unserer Familie kommen praktisch keine Nichtakademiker vor und jeder Nichtakademiker wurde mehr oder weniger mitleidig belächelt. Wobei unter meinen fünf Geschwistern nur drei Akademiker sind.

Uschi: Du bist im bürgerlichen Wiener Stadtteil Gersthof aufgewachsen, dein Vater war Professor für theoretische Physik, die Mutter Hausfrau, so wie es sich damals „gehörte“ - das klingt nach der „Tochter aus gutem Haus?“

Maresi: Ja genau. In Gersthof waren wir ja alle so.

Uschi: Was bedeutet denn diese Lebensform?

Maresi: Das ist eine Lebensform, die ich im Nachhinein als durchaus gut empfinde, weil mir meine Eltern viele traditionelle Werte mitgegeben haben, auch wenn ich das damals nicht so zu schätzen wusste, aber irgendwas muss schon dran gewesen sein.

Uschi: Was meinst du mit traditionellen Werten?

Maresi: Zum Beispiel, dass man ehrlich sein muss, dass Anständigkeit einen sehr hohen Wert hat. Da kann man natürlich sagen, dass wir uns nirgends durchsetzen, weil wir überhaupt keine Ellbogentechnik gelernt haben. Zu hören „man drängt sich nicht vor“ oder „man stellt sich nicht in den Mittelpunkt“, kann für das spätere Berufsleben hinderlich sein. Aber das ist halt in mir drinnen und ich finde, das sind nicht die schlechtesten Werte.

Savoir-vivre

Maresi erzählt davon, dass sie und ihre fünf Geschwister vom Vater zur Musik geführt wurden und dass ihre Mutter gemalt hat.

Maresi: Das sind so Kulturwerte. Auch, dass man ordentlich gegessen und aufdeckt hat. Bei uns wäre nie in der Küche gegessen worden - das mache ich inzwischen mit meiner Familie sehr gerne, aber ich decke zumindest auf. Ein gewisses Savoir-vivre, das sie uns mitgegeben haben. Und weil es bei uns nie soviel Geld gab, haben wir gelernt, dass man auch mit wenig Geld auskommen und zufrieden sein kann.

Uschi: Das ist jetzt aber sehr relativ.

Maresi: Natürlich, das ist relativ. Aber ich glaube, dass bei uns wirklich nicht viel da war, weil mein Vater mit seinem Universitätsgehalt Alleinverdiener war und wir sechs Kinder waren.

Uschi: Aber du hast erzählt, dass ihr mit Perserteppichen, Silberbesteck und Kindermädchen verreist seid - das geht ja wohl gar nicht zusammen.

Maresi: (lacht laut und herzlich). Ja unglaublich, das geht auch nicht zusammen. Als meine Eltern ganz jung waren, sind wir für ein Jahr nach Triest übersiedelt. Die Teppiche hatten sie von ihren Eltern und das Silberbesteck haben sie zur Hochzeit bekommen. Meine Mutter hat erzählt, dass sie nicht wussten, woher sie das Essen bekommen sollten, aber sie haben ein Kindermädchen gehabt. Und mein Vater hat sich in Italien einen Flügel zum Klavierspielen gemietet, aber meine Mutter wusste nicht, wie sie Nahrungsmittel kaufen sollte. Meine Eltern waren schon schon ein bissl lebensunfähig. Sie waren sowas von unvorbereitet auf das Leben.

Über Geld spricht man nicht

Maresis Familie verbrachte ein Jahr in den USA, ein Jahr in Italien und ein halbes Jahr in der Schweiz, weil der Vater dort Lehraufträge bekam.

Maresi: Ich weiß nicht, ob wirklich so wenig Geld da war, ich habe das nie hinterfragt. Mein Vater war sehr patriarchalisch, aber positiv besetzt. Über Geld ist nie gesprochen worden. Es heißt ja immer: „Geld hat man und spricht nicht darüber“, bei uns hieß es immer: „Geld hat man nicht und spricht auch nicht darüber“.

Maresi Bretschneider

Uschi: Was meinst du damit, dass dein „Vater sehr patriarchalisch, aber positiv besetzt“ war? Kann „patriarchalisch“ positiv besetzt sein?

Maresi: Ich finde schon, er war einfach ein Papi. Wir haben ihn heiß geliebt und ich vermisse ihn entsetzlich. Nach einem Jahr ist es immer noch unglaublich, dass er nicht mehr da ist. Er hat nie etwas mit uns gemacht oder auf uns Kinder aufgepasst oder uns unterstützt, aber irgendwie war er einfach da.

Uschi: Waren deine Eltern streng?

Maresi: Ja, das war damals so. Aber sie waren auch liebevoll. Sie haben es geschafft, sehr viel von uns fernzuhalten. Es ist ja nie was besprochen worden. Wir haben alles selbst gemacht. Wir haben uns einfach selber erzogen.

Uschi: Das mag auch der Grund dafür sein, dass ihr Geschwister untereinander jetzt ein sehr gutes Verhältnis habt.

Maresi: Ja, bei aller Kritik muss man sagen, sie haben es hingekriegt, dass sich diese Familie wirklich gut versteht. Wir fahren miteinander auf Urlaub, machen viel gemeinsam.

.....und außerdem:

Uschi: Welche Menschen haben dich am meisten beeinflusst?

Maresi: Der Herbert Tichy (Reiseschriftsteller, Journalist, Fotograf und Bergsteiger). Der hat mir sehr viel bedeutet. Er war ein ganz toller und für mich sehr wichtiger Mensch. Er hat mir viel geholfen. Ich war sehr oft bei ihm. Er hätte so gerne gehabt, dass ich ihn auf seiner letzten großen Reise zum Victoriasee begleite, aber ich konnte nicht, meine Eltern hätten mich rausgeworfen. Er hat mir Ratschläge gegeben, er war mir wirklich wichtig und ich war entsetzlich unglücklich, als er gestorben ist. Heinrich Böll war mir auch sehr wichtig, den habe ich natürlich nicht gekannt, aber er hat mich so beeindruckt. Seine Art, ohne Anklage diese ganzen schrecklichen Sachen zu schreiben. Den habe ich sehr verehrt. Ihn und Leonard Cohen.

Chaos mit Tieren

Uschi: Deine Söhn sind bereits erwachsen. War immer klar für dich, dass du Kinder bekommen würdest?

Maresi mit Voliere

Maresi: Nein, ich habe das nicht geplant. Ich war einfach schwanger. Dann sind wir mit dem Kleinen, der gerade ein Jahr war, nach Hamburg übersiedelt und dort habe ich keine Arbeitsgenehmigung gehabt, also hat es gut gepasst, ein zweites Kind zu bekommen. Wir sind da sehr pragmatisch. Ein drittes Kind wäre sich dann neben der Arbeit nur schwer ausgegangen.

Uschi: Dafür hast du drei Katzen, zwei Papageien, einen Hasen. Ist das Tierliebe oder hast du es gerne ein bisschen chaotisch?

Maresi: Ich glaube, das Chaos ergibt sich von ganz allein, aber ich habe Tiere immer schon gern gehabt.

Uschi: Ich finde das ja seltsam. Du erzählst von deiner bürgerlichen Herkunft, den konservativen Werten, die dir wichtig sind und dass der Tisch immer schön gedeckt sein muss. Und dann hast du zerkratzte Möbel, einen zerrissenen Fauteuil, Vorhänge, an denen die Katzen raufklettern, Schränke, an denen die Papageien knabbern und das alles in einer schönen Altbauwohnung.

Maresi: Da setzte ich Prioritäten. Eine Katze kratzt eben, das ist so, sonst darf ich keine Katze haben.

Warum tu ich mir das an? 

Uschi: Bist du ein mütterlicher Mensch?

Maresi: Nein, überhaupt nicht.

Uschi: Sicher? Du hast doch etwas Sorgendes. Du nimmst Essen für alle mit, wenn ihr mit der Band, in der du spielst, probt…

Maresi: Ja, ich gehe auch in der Früh einkaufen, wenn ich in die Werkstatt gehe, damit für alle zu essen da ist. Wenn man das als mütterlich bezeichnet, dann schon. Aber ich bin nicht mütterlich in dem Sinn, dass ich meine Kinder nicht loslasse.

Maresi mit Papagei

Uschi: Du hast ja auch ohne Kinder genug zu tun. Dein Mann ist Orthopäde und bei unserem ersten Gespräch hast du mehrere Male das Telefon abgehoben und dich mit „Ordination Dr. Bretschneider“ gemeldet.

Maresi: Ich kümmere mich um die Termine für die Patienten in der Ordination. Das funktioniert gut, denn die Patienten fühlen sich betreut, wenn ich das mache.

Uschi: Dabei hättest du ja genug zu tun. Die Tischlerei, du hast die Tiere, du brauchst zum Beispiel zwei bis drei Stunden wöchentlich zum Reinigen der Voliere, du malst, du machst Musik. Findest du nicht, dass das sehr viel ist?

Maresi: Ja, das ist es. So war es immer. Ich habe zum Beispiel während meines Studiums und meiner Lehrzeit bei meinem Onkel im Bereich der gynäkologischen Pathologie gearbeitet. Da ich sehr geschickt war, habe ich mikroskopische Schnitte gemacht. Später habe ich für den Salzburger Andreas Verlag ein neunbändiges Werk über die Geschichte der Medizin Korrektur gelesen. Und weil ich dann im Thema drinnen war, habe ich den letzten Band gleich selbst geschrieben. Das war ein Index mit zwanzigtausend Stichworten und einem Lexikonteil mit Begriffserklärungen. Das war die Hölle. Warum ich so blöd war, mir das anhängen zu lassen und warum die so blöd waren, mir das als unerfahrener, junger Frau zu geben, weiß ich nicht. Es war ein Wahnwitz so etwas während meiner Vollzeitlehre zu machen. Aber so habe ich Geld verdient um meine erste Wohnung zu renovieren.

Uschi: Warum machst du solche Sachen?

Maresi: Das weiß ich wirklich nicht. Ich hatte eine sehr schöne und sehr böse Tante und die hat zu mir gesagt: „Das kannst du doch nie!“ Vielleicht war das ein Motor und ich war halt sehr gut in Deutsch, ich war eine Institution an meiner Schule wenn es um Deutschfragen gegangen ist. Damals gab es keine Computer, ich habe das alles auf Kärtchen aus Karton auf einer riesigen alten Schreibmaschine getippt.

Uschi: Meine Frage bezieht sich nicht nur auf dieses Buch, sondern darauf, dass du immer so viel machst. Warum ist das so?

Maresi: Ich weiß es nicht. Das ist eine gute Frage die ich mir noch nie gestellt habe, - aber ich glaube, mein Mann stellt sich diese Frage schon manchmal (lacht).

Uschi: Was treibt dich?

Maresi: Vielleicht die Angst etwas zu verpassen…. nein, ich glaube, ich denke einfach zu wenig nach. Ich tu mir so schwer damit, einen Auftrag abzulehnen.

Uschi: Vielleicht hast du zu viele Talente?

Maresi: Das kann sein und dann wundere mich mich, warum etwas nicht so perfekt wird, wie ich möchte. Es wäre klüger man würde sich spezialisieren und nicht so vieles versuchen. Aber wahrscheinlich werde ich das nicht mehr ändern… es gibt so viele spannende Sachen, das ist ja das Blöde.

Späte Liebe

Uschi: Eine späte Liebe von dir ist die Musik. Du spielst Mundharmonika und ein bisschen Akkordeon.

Maresi: Die Band ist die Liebe meines Lebens. Ich spiele schon lange Mundharmonika im stillen Kämmerlein. Ich habe versucht, meinen Mann, der Geige studiert hat, zu bezirzen, aber der wollte nicht gemeinsam musizieren. Vor sechs Jahren habe ich ehemalige Schulkollegen, die eine Band hatten, für mein jährliches Werkstattfest engagiert und dann eher zum Spaß mit der Mundharmonika mitgespielt. Daraus ist eine sehr schöne Zusammenarbeit geworden.

Plakat der Band

Uschi: Ihr spielt unter dem Bandnamen „Sgt.Potschka’s Lonely Hearts Club Band“ Songs der Beatles nach. Der Autor und Journalist Stefan May bringt dazu eigene Texte. Das muss dir schon sehr wichtig sein, wenn du trotz deiner anderen Interessen so viel Zeit investierst.

Maresi: Das ist etwas, was ich immer machen wollte. So etwas haben nicht viele Leute, es gibt so Dinge, die kann man sich nicht kaufen. Man kann einen Auftritt kaufen, aber so etwas muss wachsen, die Band und Stefan, der mit uns auftritt, - das ist einfach genial.

Wer lange fragt, geht weit irr

Uschi: Wo lagen denn die wichtigsten Wendepunkte in deinem Leben?

Maresi: Naja, es ist immer schon alles ein schöner, konstanter Fluss gewesen. Sicherlich war es ein Wendepunkt, von der Medizin auf die Tischlerei umzusteigen, aber ich halte mich oft an den Grundsatz „wer lange fragt, geht weit irr“. Bevor ich langwierige Planungen anstelle, handle ich lieber und schaue dann, was daraus wird. Vielleicht neige ich auch aus einer gewissen priviligierten Position heraus dazu. Meine Eltern haben uns mitgegeben, dass man mit gegebenen Ressourcen gut umgehen und etwas daraus machen kann.

Uschi: Wenn wir in fünf Jahren noch einmal so ein Gespräch führen würden - wo siehst du dich in Zukunft?

Maresi: Eigentlich da, wo ich jetzt auch bin, Wenn ich nicht aus irgendwelchen Gründen muss, möchte ich nichts anders machen. Meine Werkstatt, meine Tiere, Musik…. es sollte sich nicht viel geändert haben.

Die Gespräche wurden im Juli und August 2017 in Wien geführt.