Ob Rikschafahrer in Indonesien oder die Bücher von Hannah Arendt Auslöser für ihr Engagement bei Amnesty International waren, weiß Sylvia nicht genau. Sie findet, dass Selbstmord dekadent sein kann, auch wenn sie, nach dem Verlust ihres Lebenspartners, den Wunsch danach grundsätzlich verstehen kann. Aber zur Zeit ist sie mit ihrem Leben, auch dank der Möglichkeit viel zu reisen, sehr zufrieden.


Sextourismus und Menschenrechte

Sylvia und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kamen im selben Jahr zur Welt: 1961. Der Einsatz für Menschen, die zu Unrecht im Gefängnis sind, gefoltert oder hingerichtet werden, hat sie schon als Teenager interessiert. Sie fand allerdings, dass ihre Arbeit in einem Reisebüro, die sie schon mit 17 Jahren begann, nicht mit einer Arbeit für Amnesty International vereinbar gewesen wäre. Sie hatte Angst in ihrer Reisetätigkeit, die ja Teil ihres Berufs war, eingeschränkt zu werden. Damals gab es zum Beispiel für Amnesty-Mitglieder noch oft Probleme mit Visa für bestimmte Länder. Andererseits kam sie gerade durch die Arbeit im Reisebüro mit dem Unrecht, das weltweit passiert, in Berührung.

Sylvia beim Interview

Sylvia: Ja und ich war sogar in gewisser Form beteiligt daran. Wenn ich zum Beispiel jemanden nach Thailand gebucht habe, dann wusste ich bei manchen Kunden natürlich genau, dass sie Sextouristen waren und ich habe mich in gewisser Weise schuldig gefühlt. Andererseits hat mich die Arbeit im Reisebüro aber auch in meinem Wunsch bestärkt irgendwie aktiv zu werden. So war ich für Visa zuständig und habe da erlebt, wie Menschen, die Verwandte in der damaligen DDR besuchen wollten, der Willkür bei der Visa-Erteilung ausgesetzt waren. Wenn etwa in der Anfrage „Ostberlin“ statt „Berlin, Hauptstadt der DDR“ stand, gab es überhaupt keine Antwort.
Außerdem hatte ich zu dieser Zeit auch Erlebnisse auf Reisen, die mir zeigten, wie sehr Politik eines Landes das Leben beeinflusst. In Jakarta in Indonesien habe ich Rikschafahrer kennengelernt, die mir erzählt haben, dass die Polizei Rikschas, also ihre Lebensgrundlage, in Massen in den Fluss geworfen hat. Einfach so, nur um Macht zu demonstrieren. Es gab so viele Gespräche mit Menschen, die mir von Willkür oder Ausbeutung erzählt haben.

Uschi: Das muss aber wohl auch an dir gelegen sein. Denn es gibt viele Menschen, die ihren Horizont durch Reisen nicht erweitern. Und deine Aufgabe war es ja vor allem, dir die Schönheiten des jeweiligen Landes, die Apartments und Hotels anzuschauen, die du ja dann auch anpreisen solltest.

Sylvia: Dass Reisen bildet, gilt sicher nicht für jeden. Und da frage ich mich auch selbst, woher das kommt, dass ich unterwegs immer versucht habe, mehr zu sehen und zu erfahren. Aber trotzdem muss ich zugeben, dass die Lust am Reisen größer war, als meine Vorbehalte gegen die Arbeit im Reisebüro. Ich hatte schließlich die Möglichkeit, mir in sehr jungen Jahren die Welt anzuschauen und ich habe ja nicht nur gesehen, wie viel Armut, sondern auch welchen Luxus es gibt. Wir haben bei Studienreisen oft toll gewohnt, wurden hofiert und so habe ich den tiefen Spalt zwischen Armut und Dekadenz gesehen.

Sylvia Pumberger

Geboren in Linz 1961

Arbeitete in den 80er Jahren in einem Reisbüro, seit 1998 ist sie in der Kundenberatung in einem oberösterreichischem Verlag tätig.

Mitglied von Amnesty International. Aktiv in der Linzer Gruppe 8. Vier Jahre lang Vorstandsmitglied von AI-Österreich.

Reisen unter anderem nach Benin, Bhutan, Indonesien, Dominikanische Republik, Kuba, Nicaragua, Mexico und Thailand. Viele Reisen innerhalb Europas.

Lebt nach dem Tod ihres Lebenspartners allein.

Die Wende 89

Fernsehbilder, die Menschen zeigten, die nach dem Mauerfall in den Westen zogen und in ein neues Leben aufbrachen, beeindruckten Sylvia so sehr, dass sie spontan im Reisebüro kündigte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass man in seinem Leben etwas ändern kann. Sie ließ sich vom Schwung einer neuen Zeit mitreißen. Heute meint sie, dass auch viel Naivität und die Kraft der Jugend dabei waren. Sie wollte nichts weniger als „die Welt verbessern“, begann in einem Verlag zu arbeiten und kurz darauf auch mit der Arbeit für Amnesty International. Später war sie dann auch im Vorstand von ai, schrieb Artikel, moderierte und beschäftigte sich mit Themen, an die sie nie gedacht hätte. Es waren Bereiche wie sexuelle und reproduktive Rechte, in die sie sich einlesen musste. Oft genug spät abends in englischer Sprache. Und immer wieder lernte sie Menschen kennen, die sich unter Lebensgefahr für andere einsetzten. Der Beginn ihrer Arbeit war allerdings klassisch: Briefe an Regierungen schreiben, Briefmarken kaufen und kleben. Kleinarbeit. Ein sehr praktisches Tun.

Unter dem Amnesty-Plakat

Sylvia: Eine eher mühsame Arbeit, bei der die Erfolgserlebnisse rar sind, da man ja auch nie genau sagen kann, ob es wirklich die eigene Arbeit war, die einen Gefangenen befreit hat. Aber irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass meine Arbeit Teil eines großen Ganzen ist und ich habe halt auch ständig dabei gelernt.

Uschi: Ich frage mich, ob es unbedingt Amnesty sein musste. Hätte es damals auch eine andere Organisation sein können, für die du gearbeitet hättest? Caritas, Volkshilfe oder irgendeine gemeinnützige Organisation?

Sylvia: Nein, das war einfach klar. Mir war wichtig international zu arbeiten, mir war das Politische an dieser Arbeit wichtig und die parteipolitische Unabhängigkeit von Amnesty, auch wenn Amnesty damals als „links“ galt. Amnesty war zwingend. Ich überlege auch oft, warum das so war. Ich weiß nicht, warum ich plötzlich mit 16 Solschenizyn zu lesen begann oder Hannah Arendt „Macht und Gewalt“.

Uschi: Die Arbeit bei so einer Organisation ist, wie vermutlich jede ehrenamtliche Arbeit, auch mit einem Gefühl der Zufriedenheit verbunden. Sie ist damit nicht rein altruistisch.

Sylvia: Nein und ich opfere mich ja auch nicht auf. Das würde mein Gegenüber, das ich unterstütze, klein machen, das hätte etwas mit Mitleid zu tun, aber ich bin auf Augenhöhe mit den Menschen, für die ich arbeite. Es geht mir ja nicht schlecht bei dem, was ich tue. Es ist befriedigend. Sinn stiftend. Außerdem ist die Arbeit ja nur ein Teil meines Lebens, ein wichtiger Teil, aber nicht mein alleiniges Leben. Säße ich selbst im Gefängnis wäre es ein schrecklicher Gedanke für mich, dass sich da draußen jemand für mich aufopfert.

Eigenes Geld verdienen oder studieren

Sylvia hat immer wieder Freunde in verschiedenen Kontinenten. Es fasziniert sie zu erfahren, wie Menschen anderswo leben. Auch um ihr eigenes Leben dazu in Relation zu bringen. Um zu sehen, dass es nicht nur einen Weg, sondern verschiedene Wege gibt. Aber wenn es darum geht, welche Menschen sie in ihrem Leben beeinflusst haben, kommt sie nicht auf ihre Freunde, sondern auf ihre Familie zu sprechen. Sie erzählt von einer glücklichen Kindheit und davon, dass sie sich als sehr freies Kind empfand. Bildung allerdings spielte dabei keine große Rolle. Nach der Handelsschule begann sie zu arbeiten. Die Eltern legten Wert darauf, dass keine der vier Töchter von einem Ehemann abhängig würde, dass jede bald ihr eigenes Geld verdiente. Das prägte ihr Frausein. Auf die Frage, ob sie sich als Feministin bezeichnen würde, kommt ein klares „Ja“.

Sylvia: Ich bin mir sehr bewusst, dass ich die Vorteile genieße, die andere Frauen erkämpft haben. Dass ich arbeiten kann, dass ich etwas fordern kann. Sowohl in meiner Arbeit als Betriebsrätin als auch bei Amnesty war und ist mir der Einsatz speziell für Frauen wichtig. Wobei ich nicht finde, dass ein selbstbestimmtes Leben mit Karriere zu tun hat, - die habe ich ja auch nicht gemacht. Obwohl ich rückblickend schon mehr erreichen hätte können, wenn ich schon in jüngeren Jahren studiert hätte.

Uschi: Du hast dann Ende dreißig die Berufsreifeprüfung abgelegt. Worum ging es dir dabei?

Sylvia: Ich wollte studieren. Ich habe immer versucht etwas aufzuholen. Ich habe Französisch gelernt, mein Englisch ist mittlerweile recht gut, ich habe viel gelesen und versucht mich weiterzubilden. Aber dann wollte ich mehr und habe diese Prüfung gemacht, damit ich Sozialwissenschaften studieren konnte und habe das Studium auch begonnen. Kurz darauf wurden die Studiengebühren eingeführt. Für mich waren 350 Euro pro Semester viel Geld, ich habe damals für meinen Partner und mich finanziell gesorgt. Ich war damals 40 und wusste, dass ich wohl relativ lange brauchen würde um das Studium neben der Arbeit zu beenden. Beruflich hätte ich mit einem Studium kaum dazu gewonnen, nachdem ich Kosten und Nutzen abgewogen hatte, habe ich mich entschieden aufzuhören.

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