Ihr Lebensthema war Gewalt. Sich zu beweisen wurde zu einer starken Triebfeder in ihrem Leben. Dass Maria der sozialen Kontrolle im engen Dorf entfliehen konnte, war ein wichtiger Schritt für sie. Als Sozialarbeiterin, Juristin und Psychotherapeutin suchte sie immer neue Herausforderungen, dabei wurde ihr Privatleben oft von Arbeit überdeckt. Beim Interview, das wir 2014 führten, hatte sie das Gefühl bei sich angekommen zu sein, Viereinhalb Jahre später starb Maria nach schwerer Krankheit.
Flucht vor dem Landleben
Uschi: Sekretärin, Sozialarbeiterin, Psychotherapeutin, Juristin, - du hast dich in deinem Leben auffallend oft beruflich verändert. Deutet das auf Unbeständigkeit hin, auf Ruhelosigkeit, auf Unzufriedenheit oder bis du sehr neugierig und suchst immer neue Herausforderungen?
Maria: Ich glaube eher Letzteres. Ich war immer sehr neugierig und hatte nie das Gefühl, dass das, was ich gerade machte, auf längere Zeit das Erfüllende wäre. Dieses Gefühl habe ich erst jetzt. Seit circa 16 Jahren bin ich sehr beständig, (seit 1998 ist Maria Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums OÖ), aber früher war da eine gewisse Unzufriedenheit, ein Streben nach etwas Neuem. Da war ich auch irgendwie mutig und gar nicht scheu.
Uschi: Du hast immer etwas gesucht, das dich noch mehr forderte. Warum?
Maria: Vielleicht kann man das aus meiner früheren Geschichte erklären. Ich bin am Land auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ich war dort sehr abgeschottet, in einem fast rigiden System, in einem kleinen Dorf, in einer Familie, die sehr patriarchal geführt war. Da gab es nicht viele Möglichkeiten. Als drittes von sechs Kindern konnte ich nur herauskommen, indem ich in der Volksschule als sehr gute Schülerin auffiel. Schließlich meinte dann ein Lehrer, „das Dirndl gehört aufs Gym“. Der Segen der Zeit damals waren Schülerfreifahrt und Gratisbücher, so dass meine Eltern das auch zuließen, obwohl sie es mir gar nicht zutrauten.
Den Wunsch nach einem anderen Leben, spürte Maria schon früh. Sie träumte von einem Leben in der Stadt, wollte weg von der sozialen Kontrolle am Land.
Maria: Dazu kam, dass die Familiensituation sehr angespannt war, der Vater war schwierig, die Mutter - als uneheliches Kind einer Landarbeiterin, die vom Vater als nicht ebenbürtig betrachtet wurde - war dadurch sehr belastet. Die Arbeit am Bauernhof war ausgesprochen mühsam. Wir haben als Kinder sehr frühzeitig am Hof zu arbeiten begonnen. Erdäpfel klauben, Gras einbringen, … - sämtliche Arbeiten waren so gedacht, dass Kinder dafür eingespannt werden konnten. Ich durfte nicht irgendwo nur sitzen und lesen, denn es war ja immer so viel Arbeit, die getan werden musste, und dann war da auch die emotionale Belastung. Ich hatte immer das Gefühl, wir werden unterdrückt - sowohl die Mutter als auch die Kinder. Wir wussten nie, wann wieder irgendetwas eskaliert. Der Vater war sehr jähzornig und man wusste nie, wen die Schläge treffen. Es war schon eine Flucht, als ich mit 17einhalb nach Salzburg ging. Das war dann sicher auch eine Bewährungsprobe.
Kommunenleben und Gesellschaftskritik
Als Maria nach Salzburg ging, hatte sie gerade mit der Mittleren Reife im deutschen Neuhaus nahe Schärding einen Abschluss erworben. Das Gymnasium hatte sie abgebrochen, weil sie es in der schwierigen Familiensituation und der Atmosphäre von Angst nicht schaffte, sich zu konzentrieren. Sie fand kleinere Jobs, arbeitete als Sekretärin bei einem Rechtsanwalt und später bei der Österreichischen Hochschülerschaft. Dann wollte sie Sozialarbeiterin werden. Diese Entscheidung wurde auch vom Familienkontext beeinflusst.
Maria: Ich hatte das Bedürfnis mir selbst zu helfen und alles aufzuarbeiten und zu verstehen. Mir ging es darum, wie man so schwierige Situationen angehen und bewältigen kann. Sozialarbeit hatte damals so einen Charakter von Gesellschaftskritik und war eine Herausforderung für neue berufliche Wege. Es war damals ja fast ein Modeberuf, der sich gerade von der Fürsorge weg, hin zur eigentlichen emanzipatorischen Sozialarbeit entwickelte.
Uschi: Mitte der 70er Jahre passte das auch politisch, genauso wie die Wohngemeinschaften, in denen du damals oft gelebt hast.
Maria: Das geht allerdings noch weiter zurück. Als ich 14 war, gab es im Bezirk Schärding eine demokratische Initiative, das waren junge Menschen, vor allem Künstler, die sich auf einem Bauernhof im Dorf Einburg zu einer Kommune zusammengeschlossen hatten. Auf der „Einburg“ gab es tolle Feste und ich bin immer wieder von zu Hause unerlaubt weggeblieben und habe dort einige Tage verbracht. Da gab es den Anspruch, dass alle irgendwie politisch arbeiteten, bei den Treffen und bei der Kommunenzeitschrift „Der Landbote“. Ich war damals noch viel zu jung, wollte aber unbedingt dabei sein, da wurde mir z.B. aufgetragen, etwas über Nixon zu schreiben (lacht) da hatte ich natürlich keine Ahnung…
Uschi: War diese Kommune so etwas wie eine friedlichere Ersatzfamilie?
Maria: Eher Jugendfreunde. Ich habe da eine gewisse Akzeptanz erfahren. Es war ein stressfreier Ort, an dem man miteinander Musik machte und diskutierte. Die Menschen dort waren beeindruckend und haben auch später Interessantes gemacht; einer wurde Direktor des Schiele-Museums in Krumau, ein anderer innovativer Musiker, einer Dozent beim Politikwissenschafter Anton Pelinka an der Uni in Innsbruck. Also die hatten schon was drauf und ich hatte ja wenig Selbstbewusstsein und für meine Persönlichkeitsentwicklung war die Anerkennung, das Geschätzt-werden von diesen Menschen sehr wichtig. Das hat mich beflügelt und bestärkte mich darin, etwas anders zu machen, als ich es daheim gesehen hatte.
Maria Schwarz-Schlöglmann
Geboren 1958 im Innviertel
Landesakademie für Sozialarbeit, Abschluss DSAin
Ausbildung zur Psychotherapeutin
Studium der Rechtswissenschaften, Abschluss Mag.iuris
Diverse berufliche Zusatzqualifikationen
Sekretärin bei ÖH Salzburg
Sozialarbeiterin bei
- Pro mente
- Verein für prohylaktische Sozialarbeit
- Verein für Bewährungshilfe
- Berufliches Bildungs-und Rehabilitationszentrum BBRZ Linz
Rechtspraktikum Bezirksgericht Linz
Kinder-und Jugendanwältin des Landes OÖ
Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum OÖ bis Februar 2018
Unterricht an Fachhochschule für Soziale Arbeit Linz
Vorträge „Gewalt in der Familie“
Etliche Publikationen zum Thema „Gewaltschutz“
Ein Sohn, geschieden
Maria ist am 21. Oktober 2018 nach schwerer Krankheit gestorben.
Einzelkämpferin ohne Selbstbewusstsein
Obwohl Maria oft in WGs lebte und einen großen Freundschaftskreis hatte, bezeichnet sie sich selbst als starke Einzelkämpferin und nicht als Gruppenmensch.
Maria: Das ist seltsam. Ich komme sehr gut alleine zurecht, aber andererseits sind Beziehungen und Freundschaften für mich sehr wichtig. Speziell bei der Arbeit merke ich, dass ich gerne alles alleine regle. Auch jetzt bei meiner Arbeit als Geschäftsführerin.
Uschi: Das lässt auf eine gewisse Selbstsicherheit schließen, die du mit den Jahren bekommen hast.
Maria: (lachend) ja…. ja das darf schon sein. Ich bin da wirklich gewachsen. Ich hatte einen unglaublichen Aufholbedarf, ich hatte mich so klein, verletzlich und ausgesetzt gefühlt, hatte ein sehr schlechtes Selbstbild. Und gerade deshalb war mein Motto „was ich will, das erreiche ich auch“. Die Tatsache, dass ich zuhause so wenig Förderung bekommen hatte, konnte ich damit kompensieren, dass ich mir ständig neue Aufgaben setzte. Mich beweisen zu müssen wurde zu einer starken Triebfeder.
Uschi: Gab es auch von außen Einflüsse, die das befördert haben?
Maria: Als ich circa 12 war, lernte ich Marlene, die ältere Schwester einer Schulfreundin kennen, die mich sehr unterstützt und aufgebaut hat. Sie war ein Segen für mich! Eine mütterliche langjährige Freundin und ein bestimmender Mensch für mein Leben. Im Austausch mit ihr habe ich mich erfangen. Ich bin nach dem Abbruch des Gymnasiums in die Schule gegangen, die auch sie besucht hatte, sie hat mir vom Beruf Sozialarbeiterin erzählt, auch in den folgenden Jahren war sie eine Leitfigur. Sie zu kennen war sicherlich so etwas wie eine Wende in meinem Leben, vor ihr war ich orientierungslos, bis heute frage ich sie gerne um Rat. Ohne ihre Anregungen hätte ich vieles im Leben nicht geschafft.
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