Armut, Krankheit, Alkoholismus als Herausforderung

Die Umbrüche in Marias Leben waren von den zahlreichen Jobwechseln bestimmt. Sie wechselte oft schon nach relativ kurzer Zeit die Arbeit.

Maria: Das war oft sehr anstrengend. Ich dachte manchmal gar nicht so darüber nach, habe wenig reflektiert. Meine Berufsfelder waren immer ganz eigene Welten. In der Psychiatrie habe ich ein halbes Jahr mit chronisch psychisch Kranken gearbeitet. Die meisten von ihnen hatten die Diagnose Defektschizophrenie; diese triste Welt, in der sich Menschen nicht mehr spüren konnten, habe ich bald verlassen und im Barackenlager Semmelweißstraße in Linz angefangen. Das war auch so ein Multiproblembereich, da lebten Familien, bei denen es hinten und vorne nicht passte. So hat sich das fortgesetzt mit Berufsfeldern, in denen ich immer ganz anderes Arbeiten hatte.Maria ist eine Sammlerin

Uschi: Dass du von einem Multiproblembereich in nächsten kamst, war wohl kein Zufall. Hat dich das nie erschreckt? Du wusstest ja, was auf dich zukommt, warst ja informiert.

Maria: Naja, so überlegt war ich gar nicht. Ich war so begeisterungsfähig für vieles. Die Psychiatrie war eher Zufall, aber das Barackenlager bedeutete die Möglichkeit Gemeinwesenarbeit zu betreiben. Das war ein hochmoderner Ansatz in der Sozialarbeit, etwas ganz Neues. Der Verein, bei dem ich angestellt war, bot so viel Gestaltungsmöglichkeit. Das hat mich gereizt. In der Praxis war es dann schon schlimm. Familien, bei denen Kinder kaum Chancen hatten, Armut, Alkoholismus,….

In ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin vermisste Maria bald das rechtliche Know-how um so effizient arbeiten zu können, wie sie es sich vorstellte. Sie legte die Berufsreifeprüfung ab und studierte Jus. Die vielen Ausbildungen waren zum Teil sehr anstrengend. Mit 35 bekam Maria einen Sohn.

Maria: Da war viel Planung dahinter. Mit 30 hatte ich den ersten Studienabschnitt zur Hälfte fertig, ich lebte in einer guten Beziehung und sagte mir, ich mache zuerst das Jus-Studium fertig und dann kommt die Familie. Und das war dann auch so. Ich beendete das Studium, wurde bei der Reise nach Namibia, die mir mein späterer Ehemann zum Abschluss schenkte, planmäßig schwanger und ging dann, nach dem Rechtspraktikum, zwei Jahre in Karenz.

Gewalt als Lebensthema

Maria arbeitete im Laufe ihres Berufslebens mit psychisch Kranken, mit von Armut Gezeichneten, Alkoholikerfamilien, straffällig gewordenen Jugendlichen, mit „Wiedereinstiegsfrauen“ und mit misshandelten Frauen und Kindern. Der Bereich, der ihr am meisten nahe ging, war Gewalt.

Maria: Der Bereich „Gewalt an Frauen und Kindern“ war auch aus eigenem Erleben wichtig für mich. Im Rahmen meiner Ausbildung zur Sozialarbeiterin und später zur Psychotherapeutin hatte ich Gelegenheit, dieses Thema für mich aufzuarbeiten. Es ist kein Zufall, dass ich in diesem Bereich arbeite. Und ich bin auch sehr froh, dass es jetzt gesetzliche Handhaben gibt. Maria vor ihrem Lieblingsbild

Uschi: Natürlich bekommt man, wenn man in solchen Bereichen arbeitet, Supervision, lernt damit professionell umzugehen, aber so eine Arbeit prägt doch auch die Sicht auf das Leben im Allgemeinen und auf das eigene Leben im Besonderen.

Maria: Ich betrachte es als Privileg, zum Beruf machen zu können, was mich im Innersten bewegt und geprägt hat. Es ist in diesem Zusammenhang so vieles möglich und ich mache die Arbeit täglich gerne und habe nicht das Gefühl, dass ich damit belastet werde. Ich habe einen Beruf, der sich mit höchstpersönlichen Lebensfragen beschäftigt. Für mich ist das so positiv besetzt, ich habe das Gefühl, wir können viel tun.

Uschi: Nicht nur der Tropfen auf dem heißen Stein? Gibt dir dein Tun auch Befriedigung?

Maria: Ja, es ist zwar getrübt durch die wiederkehrenden Geschichten, wenn dieselbe Frau mehrmals kommt, oder wenn man wenig ausrichten kann und weiß, es wird in der Gewaltbeziehung so weitergehen, aber die Erfolgserlebnisse wiegen das auf. Natürlich drückt die Schwere des Themas, trotzdem habe ich den Eindruck, dass ich und auch meine Kolleginnen arbeitszufrieden sind. Im Wesentlichen arbeiten wir - wir sind 16 Frauen - alle gerne im Gewaltschutzzentrum.

Zu viel Arbeit zu wenig Beziehung

Maria ist geschieden. 26 Jahre lebte sie mit ihrem Mann zusammen, 17 Jahre davon verheiratet.

Maria: Die Scheidung war schon eine starke Zäsur, denn das war in meiner Planung wirklich nicht drinnen (lacht). Obwohl die Beziehung gegen Ende nicht mehr so belebt war, hatte ich trotzdem die Vorstellung, dass ich mit meinem Mann alt werden wollte. Im Alltag waren wir gut miteinander ausgekommen, ich wäre auch nicht initiativ für ein Ende gewesen. Die Unzufriedenheit war zwar da, aber überdeckt von unserer jeweiligen Arbeit. Wobei auch er Interessen außerhalb der Arbeit nachgegangen ist und mich gern dabei gehabt hätte, aber ich war immer so beschäftigt.

Uschi: Wirfst du dir im Nachhinein etwas vor?

Maria: Ja, das Gleichgewicht stimmte nicht. Wir haben so viel Energie in die Arbeit gelegt. Wir haben den Alltag rund um die Erziehung unseres Sohnes gut organisiert. Für mich war es ein hoher Wert, dass ich unserem Sohn Geborgenheit in unserer Beziehung bieten kann. Im Bemühen ihm ein gutes Leben mit uns zu gestalten, haben wir uns zu sehr auf ihn konzentriert und zu wenig auf uns als Paar. Die Initiative zur Trennung ging von meinem Mann aus. Es war eine schlimme Erkenntnis für mich, weil ich eben nie so genau hingeschaut habe. Für mich war es total wichtig, die Arbeit auf die Reihe zu bekommen, das mit der Familie habe ich immer ein bisschen geschoben….. Das Ende war kein Schock, aber ich habe einsehen müssen, dass es nicht mehr geht.

Uschi: Bei deinem Sohn hast du schon hingeschaut?

Maria: Ich hatte das Gefühl alles bestmöglich zu machen. Nicht so viele Grenzen setzen und fördern, wo es nur geht, auf jeden Fall anders, als ich es erlebt habe. Rückblickend bemühten wir uns vielleicht zu viel um Schutz und Behütung. Auch die weiten Grenzziehungen können für ein Kind schwierig sein. Das hat ja nicht nur unser Kind erlebt, sondern haben auch andere in dieser Generation erlebt, das war damals Standard. Wird es uferlos, kann es für junge Menschen schwer werden, für sich Orientierung und Ziele zu finden.

.....und außerdem:

Vernetzung: Ich kann gut in Kontakt mit Menschen kommen. Ich staune oft selbst darüber, wie gut ich vernetzt bin, weil das gar nicht so sehr meinem Selbstbild entspricht. Es gelingt mir, da und dort anzuknüpfen, obwohl ich gar nicht die Absicht dazu habe. Immer wieder tut sich etwas auf.

Lebenserfahrung: Ich konnte vielfältige, reichhaltige Lebenserfahrung sammeln, habe über den Tellerrand hinausgeschaut, habe viel erlebt, viel erfahren, habe viele gute Beziehungen und eine gute, sinnstiftende Arbeit, aber genüge mir auch selber. Ich bin in einem guten Einvernehmen mit mir selbst und spüre eine große Zufriedenheit. Ich habe das Gefühl, dass ich bei mir selbst angekommen bin.

Ehrgeiz: Ich war immer sehr ehrgeizig, wollte immer etwas Großes. Es gab eine große Kluft zwischen dem, was ich ständig erlebte und dem, wo ich hinwollte. Das waren einfach überhöhte Erwartungen. Ich habe dann gelernt, mich zu bescheiden. Habe Schritt für Schritt gemacht und da ist mir dann viel gelungen und ich war dann immer zufriedener, mit dem, was ich mir erarbeitet habe.

Uschi: Auf einer Zufriedenheits-Skala von 1 bis 10 betrachtet. Wie zufrieden bist du zur Zeit mit deinem Leben?

Maria: 9 (10 wäre ja Nirwana, oder?)

Täterbetreuung und Opferbetreuung

Uschi: Du bist jetzt mit einem Mann zusammen, der mit männlichen Straftätern arbeitet. Du siehst jeden Tag im Rahmen deiner Arbeit, was diese Männer angerichtet haben. (Marias Partner ist Leiter des Sozialen Dienstes in der Justizanstalt Garsten.) Ist da das Gespräch nicht schwierig?

Maria: Naja, das ist schon zeitweise recht konträr im Zugang. Mein Partner arbeitet hauptsächlich mit Männern im Maßnahmenvollzug. Das heißt mit sogenannten geistig abnormen Straftätern, die schwere Verbrechen begangen haben, vor allem Gewaltverbrechen. Die Männer haben oft Kinder oder Frauen missbraucht, haben Frauen lange leidvolle Jahre beschert, auch Mörder sind unter ihnen. Es kommt vor, dass ein Mann einsitzt, dessen misshandelte Frau bei uns in Betreuung ist. Mein Partner und ich können da nur professionell damit umgehen, es ist schon ein starker Gegensatz. Ich muss akzeptieren, dass da jemand zwar nicht parteilich für Täter arbeitet, sich aber für ihre Interessen verwendet: Dass sie einen Entlassungsvollzug bekommen, dass sie freigehen können, dass sie ihre Rechte wahrnehmen können und so weiter und das ist natürlich in Ordnung so. Maria mit Katze Kamala

Uschi: Im Gewaltschutzzentrum arbeitet ihr ja parteilich für die Frauen.

Maria: Ja, wir arbeiten parteilich für die betroffenen Frauen. Es ist ganz klar, dass wir nicht versuchen, die Sicht der Gewalttäter einzunehmen. Manchmal kommen Täter zu uns und wollen ihre Version der Dinge darlegen. Da wird dann erzählt, die Frau hätte dieses und jenes getan und dann sei er eben ausgezuckt oder Ähnliches. Aber wir haben einen klaren Auftrag und sind von der Prämisse geleitet, dass es keine wie immer geartete Rechtfertigung für Gewalt gibt. Die Polizei informiert uns von einem Gewaltvorfall, bei dem es Opfer und Täter gegeben hat und wir arbeiten für Opfer. Das ist eine sehr klare Abgrenzung. Wenn die Frau mit dem Täter ins Gespräch kommen will, ist das ihre Entscheidung. Wir stärken die Frauen in dem, was sie wollen. Wir unterstützen sie in der Perspektive, die sie entwickeln, weil das unsere Aufgabe ist.

Das Gespräch wurde am 4.März 2014 in Linz geführt.

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