Ihr Lebenswunsch waren viele Kinder. Erst mit 36 Jahren begann sie in ihrem Beruf als Lehrerin zu arbeiten. Ihre eigentliche Karriere machte Erika im kirchlichen Ehrenamt, in dem sie als Feministin viel bewegte und immer wieder am Patriarchat der Katholischen Kirche aneckte.


Große Familie

Erika Kirchweger

Uschi: Von all den Frauen, mit denen ich bisher Gespräche für frauenleben.eu führte, bist du die erste, die vier Kinder hat.

Erika: Wirklich? Für mich ist das nicht so außergewöhnlich, viele meiner Verwandten und Bekannten haben drei oder vier Kinder. Manche sogar sechs oder acht.

Uschi: Wobei ich nicht glaube, dass das jetzt ein Gespräch über Kindererziehung und Haushalt wird. Ich habe lange nicht einmal gewusst, dass du vier Kinder hast. Ich habe dich vor allem durch deine Arbeit in der Katholischen Frauenbewegung und als Feministin gekannt.

Erika: Ja, das ist das, was in der Öffentlichkeit wahrgenommen worden ist. Aber ich glaube, dass Frauenleben aus viel mehr besteht, als das, was in der Öffentlichkeit gesehen wird.

Entwicklung von Urvertrauen

Uschi: Du stammst aus einer Bauernfamilie, bist im Traunviertel aufgewachsen. Wenn du von deiner frühen Kindheit erzählst, klingt das sehr schön, vor allem die Zeit bei deiner Großmutter.

Erika: Das schönste war, dass sich meine Großmutter Zeit genommen hat, obwohl sie selbst Bäuerin war. Ich habe ihr bei der Arbeit helfen können, wir waren im Wald und im Gemüsegarten und haben gemeinsam Krapfen gebacken. Vor allem hat sie mir Geschichten erzählt und mir vorgesungen. Bei ihr habe ich Urvertrauen entwickeln können.

Uschi: Deine Mutter hat innerhalb von 7 Jahren 6 Kinder bekommen. Das muss doch hart für sie gewesen sein. Schließlich musste sie ja auch auf dem Hof arbeiten.

Erika: Die Mama war immer mit den kleineren Kindern beschäftigt, und ich habe schon sehr früh auf meine Geschwister aufpassen müssen. Da ist mir viel zugemutet worden, als sich zum Beispiel mein Bruder einmal verletzt hat und ich dafür geschimpft wurde. Aber grundsätzlich haben wir als Kinder jede Menge Freiheiten gehabt, haben viel in der Natur gespielt. Diese Naturverbundenheit prägt mich bis heute.

Uschi: Dein Vater war sehr streng.

Erika: Er war der Meinung, dass man Kinder züchtigen muss. Wenn wir etwas angestellt haben, wurden wir gehaut, das war halt so. Man hat das als Kind hingenommen, war nur manchmal zornig, wenn man das Gefühl hatte, es war ungerechtfertigt.

Erika Kirchweger

Geboren 1961 in Grünburg

1975 - 1980 HBLA (Höhere Bundeslehranstalt für Landwirtschaft und Ernährung)

1980 - 1981 Bundessminar für das land-und forstwirtschaftliche Bildungswesen Wien

1985 Ausbildung zur Ordinationsgehilfin

Ab 1990 Theologiestudium an der Kath.-Theol. Hochschule Linz

1998 - 1999 Bundesseminar für das land-und forstwirtschaftliche Bildungswesen

1999 Lehramts-und Befähigungsprüfung

1997 - 2017 Lehrerin an der LWBFS (Landwirtschaftliche Fach-und Berufsschule) Kirchschlag

2000 - 2015 Fachvorständin an der LWBFS Kirchschlag

Seit 2017 Fachvorständin ABZ (Agrarbildungszentrum) Hagenberg

2006 - 2007 Vorstand der Katholischen Frauenbewegung in Oberösterreich

2007 - 2017 Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung in Oberösterreich

2011 - 2018 Vizepräsidentin der Katholischen Aktion Oberösterreich

Erika ist verheiratet und hat vier Kinder

Gymnasium nur für "besondere" Kinder

Uschi: Du bist relativ bald, mit 14 Jahren, weg von der Familie, auf ein Internat gekommen. Du hast die HBLA Elmberg (Höhere Bundeslehranstalt für Landwirtschaft und Ernährung) besucht. Das heißt, dass auf deine Ausbildung Wert gelegt wurde.

Erika: Mein Vater hat diesen Schultyp für mich ausgesucht. Ich wäre gerne auf ein Gymnasium gegangen, aber das ist überhaupt nicht in Frage gekommen. Das war so weit vom Denken meiner Eltern entfernt und ist auch mir unerreichbar erschienen. Ich habe damals geglaubt, dass nur Kinder auf das Gymnasium dürfen, die etwas Besonderes sind, also aus einer Eisenbahnerfamilie oder einer Beamtenfamilie kommen, aber nicht ein Bauernkind. Die Bauerndirndln in der Umgebung haben gleich nach der Pflichtschule in einer Fabrik angefangen, die Burschen oft eine Lehre gemacht.

Uschi: Dabei reden wir von einer Zeit, in der viel aufgebrochen ist. Die Bildungspolitik unter Bundeskanzler Bruno Kreisky war damals prägend.

Erika: Ja, ich habe auch die Schulbücher gratis bekommen. Ohne Schulbeihilfe und Heimbeihilfe hätten sich das meine Eltern nie leisten können. Wir hatten eine kleine Landwirtschaft, die kaum das Geld eingebracht hat, das man für einen Stallbau aufgenommen hatte. Für mich war die finanzielle Unterstützung ein Segen.

Religionsunterricht verweigert

Uschi: Bist du in dieser Schule glücklich geworden?

Erika: Ich habe dort rasch Anschluss gefunden und wir hatten in unserer Klasse sehr kritische, rebellische Geister, die mich beeinflusst haben. So haben wir zum Beispiel den Religionsunterricht verweigert. Ich war zwar damals sehr religiös, aber mit dem katholischen Religionsunterricht konnte ich nichts anfangen. Da sind wir dann in den evangelischen Unterricht gegangen (lacht).

Uschi: Dein Vater war immer aktiv in der Pfarre, deine Familie traditionell katholisch, wie wichtig waren dir damals die Religion, der Glaube?

Erika und Uschi im Gespräch

Erika: Damals hatte Schloss Klaus, ein christliches, evangelisches Freizeitzentrum und Bildungshaus großen Einfluss auf die Jugend im Steyrtal. Das ging bis in die katholischen Pfarren hinein.

Uschi: Welcher Art war deine Religion?

Erika: Es war ein Religionsverständnis, das eine sehr persönliche Gottesbeziehung im Mittelpunkt gehabt hat. Das war diese „Jesus liebt dich-Bewegung“.

Landleben im Herzen

Uschi: Deine Schule hatte die Schwerpunkte Kochen, Nähen und ähnliches. Gefiel dir das?

Erika: Ich war nicht besonders geschickt, habe aber diese Tätigkeiten gelernt und später damit weitergemacht. Ich habe in meinem Leben viel genäht.

Uschi: Prägt dich diese Schule heute noch?

Erika und Uschi im Gespräch

Erika: Naja, es war eine landwirtschaftliche Ausbildung und ich bin heute eine, die sowohl in der Stadt, als auch am Land zuhause ist. Ich lebe in der Stadt, trage aber das Land im Herzen. Heute unterrichte ich hauptsächlich Jugendliche, die aus der Landwirtschaft kommen, da ist es gut, beides zu kennen.

Uschi: Kannst du dir vorstellen, wieder am Land zu leben?

Erika: Das wäre durchaus möglich, wobei ich mit zunehmendem Alter feststelle, dass es sehr angenehm ist, in der Stadt zu leben. Weil ich Kultur in der Nähe habe, medizinische Versorgung, so viele Möglichkeiten, die mir den Alltag erleichtern. Am Land brauche ich für alles ein Auto.

Uschi: Würde dir vielleicht ein kultureller Austausch fehlen?

Erika: Nein, es gibt durchaus gescheite, gebildete Frauen, die am Land leben. Ich finde auch, dass am Land oft interessante tolle Dinge entstehen, spannende Kulturinitiativen zum Beispiel.

Alkoholkranker Vater

Uschi: Wenn wir darüber sprechen, was dein Leben beeinflusst hat, gehört auch die Krankheit deines Vaters dazu, der dem Alkohol verfallen war.

Erika: Mein Vater hat zu trinken begonnen, als ich in der Hauptschule war. Das ist am Land vielleicht anders als in der Stadt. Dass Väter nach einem Fest oder nach dem Frühschoppen am Sonntag angetrunken nach Hause gekommen sind, war nicht sehr ungewöhnlich. Bei ihm wurde das aber immer ärger und hat mich sehr getroffen, weil ich mit meinem Vater immer weniger Gesprächsbasis hatte. Später, als er immer mehr trank, war auch auf der gefühlsmäßigen Ebene keine Verbindung mehr möglich. Mir hat mein Vater in meiner Jugend gefehlt.

Zum Alkohol kam bei Erikas Vater noch eine psychische Erkrankung dazu. Die Diagnose lautete: manisch-depressiv. Es begann eine schwierige Zeit für die ganze Familie.

Erika: Ich war damals im Internat und sehr froh, dass ich nicht die ganze Woche daheim sein musste. Mein Vater war entweder aggressiv oder ganz zurückgezogen. Noch heute halte ich verbale Aggression gegen mich ganz schlecht aus. Da ziehe ich mich sofort zurück.

Uschi: Und du, hast du auch Aggressionen?

Erika: Ja, habe ich auch. So etwas begleitet einen ja ein ganzes Leben lang. Dieses Verhalten von Aggression und Rückzug ist heute noch ein Lernfeld für mich. Diese Lernschritte sind oft nur minimal und mühsam. Und es gibt immer wieder Rückschläge, aber ich fange immer wieder von vorne an.

Uschi: Du bist zäh.

Erika: (lacht). Ja, ich bin zäh.

Bis Erikas Vater mit dem Trinken aufhörte, vergingen viele Jahre, die geprägt waren von religiösem Wahn und Suizidankündigungen.

Erika: Erst als er zu Rauchen und zu Trinken aufhörte, in den letzten drei Jahren vor seinem Tod, wurde er ein anderer Mensch. Ein Vater, der zum ersten Mal stolz auf seine Kinder war.

Uschi: War so etwas wie eine Versöhnung zwischen euch möglich?

Erika: Ja und das hat mir sehr gut getan. Ich habe erkannt, dass er sein Leben gelebt hat, dass sich das zwar auf mein Leben ausgewirkt hat, aber meine Sache war. Damit zurechtzukommen ist meine Lebensaufgabe. Die wird nicht leichter, wenn ich ihm nicht verzeihen kann, dass er für mich nicht da war und mich geschlagen hat. Und er hat mir auch Gutes mitgegeben. Das Leben besteht eben aus unterschiedlichen Facetten.

Uschi: Hat dich das in Bezug auf die Erziehung deiner Kinder beeinflusst?

Erika: Vor allem hatte ich riesige Angst, dass ich von seiner psychischen Erkrankung etwas an meine Kinder weitergebe, die Disposition zu einer bipolaren Störung oder zu Alkoholismus. Diese Angst hatte ich so lange, bis mir eine Ärztin gesagt hat, dass es zwar tatsächlich eine Disposition geben kann, dass es aber durch die Lebensweise bedingt ist, ob so etwas ausbricht oder nicht.

Lebenswunsch: Viele Kinder

Nach der Schule begann Erika die akademische Ausbildung für Landwirtschaft in Wien, wurde aber schwanger, bevor sie die Ausbildung beenden konnte.

Erika im Garten

Uschi: Du hast geheiratet, als du schwanger wurdest. War das so unter dem Motto: „Dann heiraten wir halt?“

Erika: Ich war sehr verliebt und habe mir gedacht, ich wage es. Obwohl ich schon eine gewisse Zukunftsangst gehabt habe.

Uschi: Der Vater des Kindes studierte damals in Graz Medizin, später machte er in Linz den Turnus und die Facharztausbildung zum Radiologen. Du hast deine Ausbildung abgebrochen und nach dem ersten Kind sind relativ bald noch zwei weitere gekommen - warum?

Erika: Wir wollten mehrere Kinder. Außerdem glaube ich, dass uns unser Umfeld beeinflusst hat. Fast alle Geschwister meines Mannes haben zu dieser Zeit geheiratet und mehrere Kinder bekommen. Unsere Bekannten und Freunde in Linz waren junge Eltern und hatten mindestens zwei Kinder. Außerdem war eine Familie mit mehreren Kindern immer mein Lebenswunsch.

Abhängig als Hausfrau

Uschi: Du hast in relativ kurzer Zeit drei Kinder bekommen, bist daheim geblieben, hast gekocht, gewaschen, viel genäht - wie empfindest du dieses Leben in der Rückschau und wie war es damals für dich?

Erika: Haushalt, am Spielplatz sitzen, nähen und viel warten. Warten bis mein Mann von der Arbeit nach Hause kam, warten auf die Kinder nach dem Kindergarten oder von der Schule, aber sehr bald habe ich ehrenamtlich zu arbeiten begonnen.

Erika fasste in der Pfarre Fuß und gemeinsam mit ihrem Mann schloss sie dort viele Freundschaften mit jungen Eltern. Sie arbeitete in der Kinderliturgie mit und war im Pfarrgemeinderat tätig.

Erika: Ich habe dort Selbstbewusstsein entwickelt, denn ich habe in der Kindermesse gepredigt, ohne dass ich Theologie studiert hatte. Das hat mir Mut gemacht. Es war eine Möglichkeit aus meinem Hausfrauendasein herauszukommen. Mein Mann hat zwar im Haushalt mitgeholfen, aber weil er das Geld verdient hat und viel gearbeitet hat, waren die Rollen schon klar verteilt.

Uschi: Ist dir in dieser Zeit nicht, so wie vielen anderen Frauen in ähnlichen Situationen, die Decke auf den Kopf gefallen?

Erika: Doch, nach dem drittem Kind schon. Für eine Erwerbstätigkeit hatte ich mit drei Kindern zu wenig Zeit, beim Ehrenamt fehlte mir ein Ziel. Ich habe also begonnen Theologie zu studieren und daneben für das Studium Latein und Griechisch nachgeholt, aber dann bin ich wieder schwanger geworden.

Uschi: War dir damals bewusst, dass das genau der richtige Weg war, um in die Armutsfalle zu tappen? Zum Beispiel, wenn dein Mann dich samt Kindern verlassen hätte. Es hätte auch ein direkter Weg in die Altersarmut sein können.

Erika: Altersarmut war für mich kein Thema. Das war im gesellschaftlichen Kontext nicht so sehr in Diskussion. Als dann im Bekanntenkreis die ersten Ehen auseinandergegangen sind, haben mein Mann und ich uns damit im Hinblick auf unsere Beziehung auseinandergesetzt. Aber ich hatte damals noch wenig Bewusstsein von der Abhängigkeit, in der ich eigentlich war. Ich war mir sicher, dass wir das schaffen würden.

Uschi: Naja, das glauben ja alle.

Erika: Aber wir wollten unsere Beziehung sehr bewusst erhalten und haben immer etwas dafür getan. Wir haben regelmäßig gemeinsam Paarwochenenden verbracht, viel miteinander geredet und übereinander gelernt. Wir sind aus Bauernfamilien, in denen nicht viel miteinander geredet wird, in denen viel vorausgesetzt wird, dass der andere das so und so macht. Sich auszutauschen, zu sagen, was einen stört, was man sich wünscht - das war ein langer Lernprozess.

Uschi: Warum habt ihr diesen Prozess angestoßen? Das machen ja nicht alle?

Erika: Da gab es in der Diözese Angebote, die wir genützt haben. Das lag wohl auch an unserem Umfeld.

Der Schritt in die Unabhängigkeit

Noch bevor Erika mit dem Studium der Theologie fertig war, wurde sie wieder schwanger.

Erika: Mit diesem Kind wollten wir unsere Familienplanung abschließen. In der Stadt wäre es mit noch mehr Kindern doch zu kompliziert geworden. Weil ich wusste, dass dieses das letzte Kind sein würde, habe ich es sehr genossen, habe mich ganz auf dieses Dasein mit dem kleinen Kind eingelassen.

Erika

Schließlich wollte Erika wieder Theologie studieren, bekam aber das Angebot, ein paar Stunden an einer Landwirtschaftsschule zu unterrichten. Die akademische landwirtschaftliche Ausbildung, die sie als junge Frau abgebrochen hatte, holte sie als externe Studentin nach. Daneben unterrichtete sie bereits einige Stunden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie vier Kinder im Alter zwischen 5 und 14. Das erforderte viel Kraft.

Erika: Ja, ich habe Energie gehabt und sie in die Ausbildung gesteckt Außerdem haben wir uns die Arbeit zu Hause mehr aufgeteilt und ich hatte eine Nachbarin, die mir mit den Kindern geholfen hat.

Uschi: Als du den Abschluss geschafft und die Lehrbefähigungsprüfung sogar mit Auszeichnung bestanden hast, muss das viel für dich bedeutet haben.

Erika: Sehr viel. Ich hatte davor eine halb fertige Ausbildung und ein nicht abgeschlossenes Theologiestudium. Ich wollte endlich einmal etwas fertig machen. Dieser Abschluss war sehr wichtig für mich und bedeutete auch ein Stück Freiheit.

Das Familieneinkommen

Uschi: Als du deine Ausbildung beendet hast, warst du 38 Jahre alt. Hat damals für dich ein neues Leben begonnen?

Erika: Naja, das neue Leben hat sich eingeschlichen, weil ich schon vor bestandener Prüfung zu arbeiten begonnen habe. Ich habe ausprobiert, ob das etwas für mich ist, und festgestellt, dass mir die Arbeit mit den jungen Leuten Freude machte. Als mir aber bei der Möglichkeit, einen fixen Vertag zu bekommen, ein männlicher Kollege vorgezogen wurde, habe ich gemerkt, dass ich mich auf die Füße stellen muss. Das habe ich dann auch getan.

Uschi: Es war nach langen Jahren das erste Mal, dass du dein eigenes Geld verdient hast. Was hat das mit dir gemacht? Hat das etwas verändert?

Erika: Es hat mein Selbstbewusstsein gestärkt. Wir haben uns zwar immer als Familie gesehen, haben gemeinsam über unser Geld verfügen können, und ich habe es immer so verstanden, dass ich etwas zum Familieneinkommen beigetragen habe. Meine Arbeit zu Hause und die Kindererziehung waren mein Beitrag. Aber es macht trotzdem einen Unterschied.

Uschi: Warum?

Erika: Diese Versorgungsarbeit, die Frauen meist nebenher leisten, hat so wenig Wert.

Uschi: Würdest du im Rückblick sagen, es wäre gescheiter gewesen, du wärst immer erwerbstätig gewesen?

Erika: Heute würde ich sagen, es wäre gescheiter gewesen, ich hätte wesentlich früher zu arbeiten begonnen. Das ist allerdings bei drei oder vier Kindern schwierig. Erwerbstätigkeit und Kindererziehung gleichzeitig sind eine riesige Anstrengung. Ich glaube, dass beide Elternteile reduzieren müssten, um die Kindererziehung gut bewältigen zu können. Also Reduktion von Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung müsste für beide sein, vielleicht bei vollem Lohnausgleich.

Die große Herausforderung

Erika wurde bald Fachvorständin an der landwirtschaftlichen Fachschule Kirchschlag. In der Fachrichtung ländliches Betriebs- und Haushaltsmanagement war es ihre Aufgabe den Schwerpunkt "Gesundheit und soziale Berufe" aufzubauen. Das bedeutete auch ein ganz neues Fachgebiet zu erlernen, um schließlich Sozialfächer selbst unterrichten zu können.

Uschi: Nach zehn Jahren in der Schule kam in der ehrenamtlichen Arbeit eine weitere Herausforderung auf dich zu. Du hast immer ehrenamtlich in der Pfarre und im Pfarrgemeinderat gearbeitet, bist 2006 für den Vorstand der kfb Oberösterreich (Katholische Frauenbewegung) angefragt worden und wurdest ein Jahr später Diözesanvorsitzende. Woher hast du Sicherheit genommen, dass du das kannst? Ganz abgesehen davon, dass du ja vier Kinder hattest.

Erika: Ich war gar nicht sicher, ich hatte sogar große Bedenken, ob ich das kann. Meine Kinder waren damals schon sehr selbständig, der Kleine war schon 15 Jahre. Ein mulmiges Gefühl war da schon dabei, aber es hat mich so sehr gereizt.

Erika

Uschi: Warum?

Erika: Es war mir klar, dass ich in der Schule keine Leitungsposition mehr übernehmen würde. Ich habe einfach zu spät zu arbeiten angefangen und hatte zu wenig Ausbildung. Ich war in der Schule Fachvorständin, aber halt immer in der zweiten Reihe. Im Ehrenamt Vorsitzende zu sein, war hingegen eine Leitungsposition. Außerdem hat mich dieses Umfeld mit Frauen sehr interessiert. Ich hatte unheimlichen Spundus davor, auch weil eine meiner tatkräftigen Vorgängerinnen noch immer in verschiedenen kirchlichen Ehrenämtern präsent war. Bei der Wahl haben mich dann die Frauen sehr unterstützt, da habe ich so viel an Rückenwind gespürt, dass ich große Zuversicht bekam.

Uschi: Aber warum wolltest du diese Leitungsposition? Manche antworten auf solche Fragen: „Ehrgeiz“, andere sprechen von Gestaltungswillen….

Erika: Neugier…. Von allem ein bisschen was…

Uschi: Bestätigung…?

Erika: Ja, sicher auch und vor allem in dem Umfeld Arbeit für Frauen zu leisten.

.....und außerdem:

Ehrenamt: Ich bin mir sehr bewusst, dass ich in meinem Leben in einer privilegierten Situation bin. Ich habe schöne Beziehungen, meine Familie, meine Freundinnen und Freunde. Ich habe ein so gutes Leben und dafür bin ich unendlich dankbar. Als religiöser Mensch bin ich auch Gott dankbar dafür. Diese Dankbarkeit umzusetzen, ist ein wesentlicher Grund dafür, dass ich das Ehrenamt der Vorstandsvorsitzenden der kfb angenommen habe. Ich finde, es ist eine Verpflichtung, dass ich nicht nur an mich denke. Vor allem wenn es um Frauen geht.

Familie: Ich habe drei Enkelkinder und dieses junge Leben ist einfach ein Geschenk. Ich sehe, wie sich die Kleinen oft von Woche zu Woche verändern und ich möchte auch meine Töchter unterstützen. Sie müssen ihr eigenes Leben leben, aber wenn sie mich brauchen, möchte ich für sie da sein.

Oma: Ich möchte auch in Pension nicht hauptberuflich Oma sein. Ich lebe mein Leben und das besteht nicht nur aus Oma-Sein. Die Energie, mit der ich mich im Alter zwischen 47 und 57 hineingelegt habe, habe ich nicht mehr, aber ich schaue schon genau hin, was da noch kommt.

Feminismus und Kirche

Uschi: Du hast in der Pfarre schon früher mit Frauen gearbeitet. Hatte das für dich immer einen feministischen Aspekt?

Erika: Am Anfang kaum. Der feministische Aspekt ist durch meine Lebenserfahrung dazugekommen, wenn zum Beispiel Ehen auseinandergegangen sind und ich die Folgen der Scheidungen für die Frauen beobachtet habe. Dazu kam, dass ich aufmerksam war. Ich war viel im EZA-Laden (Geschäft für fairen Handel), und wurde dort auf feministische Vorträge aufmerksam gemacht. Immer wieder ist etwas passiert, das mich zum Denken angestoßen hat. Als wir zum Beispiel unser Haus gekauft haben, bekam ich vom Finanzamt ein Schreiben. Ich sollte angeben, woher ich das Geld hatte, die Hälfte des Hauses zu bezahlen. Ich musste das als Geschenk meines Mannes angeben. Das war es aber nicht. Wenn ich nicht bei den Kindern zu Hause geblieben wäre, hätte er das Geld nicht verdienen können.

Erika

Uschi: Das hat dich so geärgert, dass du bei einer Frauenmesse in Linz die damalige Frauenministerin Barbara Prammer darauf angesprochen hast.

Erika: Ja, aber die sagte ganz cool zu mir: „Sie haben ja nichts gearbeitet.“ Das hat mich sehr getroffen, denn ich habe ja gearbeitet. Später habe ich Prammer dann als ganz tolle Frau kennengelernt. So richtig feministisch jedenfalls war ich zu dieser Zeit nicht, das ist erst später gekommen. Der Feminismus der 70er Jahre ist spurlos an mir vorübergegangen. Feministisches Bewusstsein hat sich bei mir erst nach und nach entwickelt.

Uschi: Die Katholische Frauenbewegung definiert sich als Gemeinschaft von Frauen, die sich in Kirche, Politik und Gesellschaft für Frauen einsetzt. Allerdings ist die kfb Teil einer Kirche, die das Priesteramt für Frauen verbietet und auch sonst nach wie vor sehr patriarchalisch geprägt ist. Wie geht es dir damit?

Erika: Das ist eine äußerst schwierige Situation. Ich glaube, dass die Leitung der katholischen Kirche gar nicht wahrnimmt, wieviele Frauen deshalb schon aus der Kirche ausgetreten sind. Es ist eine patriarchale Gesellschaft. Manchmal denke ich mir bei meiner Arbeit in der Kirche schon, dass ich Systemerhalterin bin. Aber andererseits habe ich Möglichkeiten kennengelernt, wie man manches umschifft und gute, spirituelle Gemeinschaften bilden kann.

Gegenwind im Ehrenamt

Die kfb ist zwar Teil der katholischen Kirche, allerdings relativ selbständig. Die Frauen, die Mitglieder sein wollen, müssen einen finanziellen Beitrag leisten. In Oberösterreich sind das zur Zeit circa 45.000.

Erika: Ich habe gemeinsam mit dem hauptamtlichen Team versucht, die kfb weiter zu entwickeln und zu positionieren. Dass die Frauen Mitgliedsbeiträge zahlen, heißt, dass sie sich bewusst zur kfb bekennen. Umgekehrt ist es passiert, dass Frauen aus der kfb ausgetreten sind, wenn ich zum Beispiel etwas zum Thema „Schutz der Ungeborenen“ gesagt habe, was nicht der konservativen Linie der katholischen Kirche entsprach.

Uschi: In deiner Zeit als Vorstandsvorsitzende hat sich in der kfb einiges verändert. Unter anderem warst du maßgeblich daran beteiligt, ein Papier zum Thema Homosexualität zu entwickeln. Darin habt ihr euch ganz explizit gegen jede Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Menschen gestellt und Frauen ermutigt „ihre Geschlechtlichkeit bewusst wahrzunehmen, als Bereicherung zu erfahren und zu leben“ - unabhängig von der sexuellen Orientierung.

Erika: Das haben wir damals auf unsere Homepage gestellt, was sich andere Organisationen der Kirche nicht getraut haben. Da gab es viel Gegenwind. Oder wenn ich öffentlich gesagt habe, dass ich für die Weihe von Priesterinnen eintrete, hat mich der Bischof wieder einmal angerufen. Das war aber für mich nicht schwierig, ich war ja nicht angestellt in der Kirche, ich hatte ein Ehrenamt. Außerdem wusste ich, dass viele Frauen hinter mir standen. Wir waren viel in der Pfarren und haben uns Feedback von den Frauen geholt.

Uschi: Aber ich finde schon, dass du da mutig warst.

Erika: Ja,… eh…

Stärkende Frauenliturgien

Erika stürzte sich in die Arbeit. Es kam oft vor, dass sie am Abend nach der Schule noch zu einem Vortrag ins Innviertel oder ins Salzkammergut fuhr und erst um Mitternacht wieder zurückkam. Zehn Jahre lang stand Erika der kfb Oberösterreich vor und lernte dabei viele Menschen kennen, vor allem viele interessante Frauen.

Erika: Außerdem habe ich das kirchliche System von innen kennengelernt. Das war eine Bereicherung für mich. Die Frauen haben mir so viel Vertrauen entgegengebracht, bei Festen, bei Vorträgen, ich war ja sehr viel im Land unterwegs und diese Gespräche mit den Frauen waren so interessant.

Uschi: Du bist schon sehr kommunikativ…

Erika: Ja, das ist mein Naturell. Ich muss mich da nicht bemühen. Diese Verbindung mit den Frauen war auch kraftspendend und vor allem die spirituellen Feiern, Frauengottesdienste und Frauenliturgien waren für mich sehr stärkend.

Uschi: Der religiöse Aspekt war dir sehr wichtig?

Erika: Ja, ich bin eine religiöse Frau und diese herkömmlichen Liturgien, die ich zum Beispiel jetzt im Dom mitfeiere, sind nicht vergleichbar mit den Frauenliturgien. Die sind sehr frei und da werden auch frauenspezifische Texte ausgewählt, in einer frauengerechten Sprache. Religion und Kirche waren mir immer wichtig, nicht die große Kirche und nicht das Diözesane, sondern die Gemeinschaft in der Pfarre. Da habe ich Menschen kennengelernt, die mich gefördert haben. Das war ein guter Boden für mich und so konnte ich Selbstbewusstsein entwickeln. Ich habe das immer als Bereicherung empfunden.

Meine Aufgabe

In den letzten Jahren hat Erika als Fachvorständin viel Energie in die Veränderungen des Schultyps LWBFS (Landwirtschaftliche Berufs-und Fachschule) gesteckt.

Erika: Da waren vor allem zwei Dinge: Die Schule ist mit bestimmten Ausbildungsschwerpunkten von der Zweijährigkeit in die Dreijährigkeit gegangen. Das habe ich mitgestaltet. Das Zweite war die Zusammenführung von drei Schulen zu einer und daran war ich maßgeblich beteiligt.

Erika mit Uschi beim Interview

Uschi: Woher kommt dieses Engagement? Warum willst du so stark mitreden?

Erika: Ich glaube, dass jeder Mensch im Leben Aufgaben hat, und ich bin gerade zu dieser Zeit an diesem Platz gestanden. Das war dann einfach meine Aufgabe.

Uschi: Naja, du hättest ja auch sagen können: „Macht ihr mal!“

Erika: Nein, man lebt ja auch von den Aufgaben, die man hat. Diese Aufgabe hat mich Energie gekostet, mir aber auch Energie gebracht. Das war mein Leben und ich lebe mein Leben.

Uschi: Du hast noch einige Zeit zur Pension. Macht dir der Beruf noch Freude?

Erika: Ich habe im beruflichen Leben und in der kfb Veränderungsprozesse mitgestaltet, das war eine spannende Zeit. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich das nicht mehr möchte. Ich stehe gerne in der Klasse, baue Beziehungen mit den Schülerinnen auf, vermittle ihnen gerne Interessantes. Das macht mir Freude, aber nicht mehr so sehr dieses große Drüberschauen und Weiterentwickeln.

Alt werden und Neues entdecken

Uschi: Du machst seit vielen Jahren Nachtdienste im Internat deiner Schule. Das ist doch sehr anstrengend. Spürst du das Alter?

Erika: Ja. Ich spüre den Wechsel, ich spüre, dass ich längere Phasen brauche, mich zu erholen, wenn ich mich angestrengt habe. Ich brauche mehr Zeit für mich selbst, bin gerne mit mir allein. Ich bin ja ein geselliger Typ, aber in den letzten Jahren wird die Zeit, in der ich gerne mit mir allein bin, mehr. Ich bin nicht mehr so belastbar. Die Nachtdienste machen mir zu schaffen. Ich brauche dazwischen immer wieder Erholungsphasen und Bewegung, damit es mir gut geht.

Uschi: Hast du ein Bild davon, wie es in deiner Pension weitergehen wird?

Erika: Nein, noch nicht. Momentan habe ich das Gefühl, dass ich mich ausleeren muss. Das, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, lasse ich jetzt hinter mir. Ich finde, es muss eine gewisse Leere entstehen, damit wieder etwas Neues kommen kann.

Uschi: Aber du hast das Gefühl, dass du noch einmal etwas angehen musst?

Erika: Ja, mein Leben ist ja nicht zu Ende. Ich kann das Leben nicht so einfach vorübergehen lassen. Ich will es gestalten, möchte Möglichkeiten erkennen und ergreifen.

Die Gespräche wurden im August und September 2019 in Linz geführt.