Ungerechtigkeit erträgt sie nur schwer. Ihr Engagement in der Behindertenbewegung war immer ein sehr wichtiger Teil ihres Lebens, auch wenn es sie stört, dass Feminismus dort oft als Luxus betrachtet wird. Mutter eines Pflegekindes zu sein war eine große Herausforderung für sie, da sie querschnittgelähmt ist.


Schwieriger Start

Uschi: In den FRAUENLEBEN-Gesprächen geht es um Wendepunkte im Leben von Frauen. Du hattest gleich zu Beginn deines Lebens so einen Wendepunkt. Denn die Tatsache, dass du mit einer Querschnittlähmung zu Welt gekommen bist, hat dein Leben von Anfang an doch sehr bestimmt.

Klaudia: Ja, das hat mein Leben auf jeden Fall in eine Richtung gelenkt und diese Richtung war sehr eingegrenzt. Als ich zur Welt kam, hat es für Kinder mit Behinderung nur einen Weg gegeben und keine Möglichkeit nach links oder rechts abzuzweigen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind Kinder mit meiner Form der Behinderung von dem System, das damals vorherrschte, einfach einkassiert worden. Klaudia

Uschi: Du warst das dritte von insgesamt sechs Kindern in einem konservativen Elternhaus in Gmunden, hast deine ersten drei Monate im Krankenhaus verbracht, deine Eltern haben dich in dieser Zeit nur durch eine Fensterscheibe gesehen. Du hattest bereits mit einem Jahr deine erste Operation - heute weiß man, dass so ein Lebensstart für die Psyche wirklich schlimm sein kann.

Klaudia: Ja durch diesen Start ist mir viel verloren gegangen, abgesehen davon, dass ich ein unheimliches Trauma davon bekommen habe, was Ärzte und Krankenhäuser betrifft. Und mit diesem Trauma lebe ich bis heute. Das bringe ich nicht wirklich weg. Das ist eine Art von Behinderung, die ich quasi zusätzlich abbekommen habe. Ich suche nur, wenn ich unbedingt muss, einen Arzt auf, was bei meiner Behinderung und den diversen Folgeerkrankungen ungewöhnlich ist. Und genau genommen gehe ich nicht zu Ärzten, sondern wenn möglich zu Ärztinnen, weil die mir nichts zuleide getan haben. Damals gab es ja noch kaum Ärztinnen, das waren alles Männer, lauter Götter in Weiß.

Tabu Behinderung

Uschi: Du warst ein kränkliches Kind und hast viel Zeit im Krankenhaus verbracht. Du hattest immer wieder Infekte und hast oft psychosomatisch reagiert. Hast du dich von deinen Eltern angenommen gefühlt?

Klaudia: (…zögert lange) Ich habe mich von meinem Vater immer sehr angenommen gefühlt, der hat allerdings als Familienerhalter damals andere Aufgaben übernommen. Aber das Verhältnis zu meiner Mutter war schon sehr zwiegespalten. Ab und zu hat sie mir das Gefühl gegeben, dass ich eines von ihren Kindern bin und als solches dazugehöre. Aber manchmal habe ich gemerkt, dass ich ihr zur Last falle, dass ihr lieber gewesen wäre, ich wäre wieder im Heim und das hat sie mir dann auch ins Gesicht gesagt. Und da habe ich mir damals schon öfter mal gedacht, dass sie es lieber hätte, ich wäre nicht da.

Uschi: Hast du mit ihr später einmal darüber gesprochen?

Klaudia: Naja, nicht so ganz offen. Wir haben einige Dinge besprochen, zum Beispiel, dass sie selbst noch so jung war, als ich zur Welt kam und schon zwei kleine Kinder hatte. Über ihr eigenes Gefühl den Schwiegereltern gegenüber, die sie nicht angenommen hatten. Bis zu einem gewissen Grad kann ich heute auch verstehen, warum das so gelaufen ist und sie nicht aus ihrer Haut konnte. Das bringt mir jetzt nicht unbedingt bessere Gefühle, aber ich kann es zumindest besser verstehen und bin ein wenig milder geworden.

Klaudia ist sich bewusst, dass die Mutter eines Kindes mit Behinderung in den frühen 1960er Jahren Druck von außen ausgesetzt war. Da wurde auch vieles versteckt oder nicht angesprochen.

Klaudia: Wenn wir bei unseren Verwandten in Kärnten waren, durfte zum Beispiel niemand wissen, dass ich auch als größeres Kind noch gewickelt werden musste. Das war ein totales Tabu. Da wurde immer ein großes Getue darum gemacht, damit das nicht aufkommt. Aber es war dort auch baulich nicht für mich geeignet. Das war schon sehr mühsam für mich und auch für alle anderen.

Auch zu Hause war nichts behindertengerecht. Klaudia hatte bis zum 18. Lebensjahr keinen Rollstuhl. Zeitweise hatte sie ein kleines Wagerl zum Anhalten und Schieben, später Krücken, aber vieles musste sie bewältigen, indem sie einfach auf dem Boden rutschte.

Klaudia: Ich hatte Jeans mit aufgenähten Lederflecken, damit ich mich nicht aufschürfe und so bin ich durch die Gegend gekrochen. Wir wohnten im zweiten Stock ohne Lift, ich bin die Stiegen hinuntergerutscht und habe mich wieder hinaufgezogen. Ja, da hatte ich viel Kraft in den Armen…..das könnte ich heute nicht mehr (lacht…).

DRAKONISCHE STRAFEN IM HEIM

So wie es damals meist üblich war, konnte Klaudia in keine Regelschule in ihrer Heimatstadt Gmunden gehen, sondern musste nach Wiener Neustadt in die „Waldschule“, eine Sonderschule für körperbehinderte Kinder, die aber auch Kinder mit Mehrfachbehinderung und Lernbehinderung besuchten. Zwar erwarb sie dort ein gültiges Volks- und Hauptschulzeugnis, hatte aber immer das Gefühl, im Vergleich zu ihren Geschwistern wesentlich weniger zu lernen. Und nicht nur an den Unterricht dort hat sie schlechte Erinnerungen.Klaudia unterwegs

Klaudia: Es war wirklich schlimm, wie man mit Kindern umging und welches Personal dort arbeitete. Da gab es natürlich auch Ausnahmen, aber viele Erzieherinnen vermittelten mir das Gefühl, sie seien unmittelbar aus dem KZ gekommen und hätten dann bei uns weiter Dienst versehen. Eine gängige Strafe war zum Beispiel, eine Schülerin auszugrenzen. Da durfte dann niemand mit ihr reden. Eine ganze Woche lang. Ich war keine große Esserin und wurde zum Essen gezwungen, und dann bin ich oft bis vier Uhr am Nachmittag vor meinem Teller alleine am Gang gesessen und wenn ich nicht aufgegessen habe, gab es drakonische Strafen. Solche Sachen waren an der Tagesordnung, totaler Drill.

Uschi: In all den Jahren kamst du nur in den Ferien nach Hause. War diese Absonderung, dieses Wegsperren, Motor für dein späteres Engagement in der Behindertenbewegung?

Klaudia: Ja, das ist ganz sicher so. Es kann nicht sein, dass Kinder, nur weil sie eine Behinderung haben, weit weg von den Eltern kommen und als Grund dafür immer die Therapie vorgeschoben wird; da hat sich in der Zwischenzeit ja viel getan.

Uschi: Solche Behandlungen, wie du sie erlebt hast, hinterlassen Spuren im Leben eines Menschen. Oder hat dich das auch stärker gemacht?

Klaudia: Es hat mich schon stärker gemacht, aber in gewisser Weise auch härter. Ich mache zum Beispiel gerne vieles mit mir selber aus und verlasse mich nicht gern auf andere. Dadurch ist es in Beziehungen sicher schwierig mit mir, weil ich sehr eigenständig bin und mich vielleicht nicht hundert Prozent auf jemanden einlasse.

Klaudia Karoliny

Geboren 1960 in Gmunden

Wegen Querschnittlähmung zahlreiche Krankenhausaufenthalte in den ersten Lebensjahren

Hauptschul-und Handellsschulabschluss in der Waldschule für körperbehinderte Kinder in Wiener Neustadt

Ab 1978 beim Land Oberösterreich, zuerst in der Schreibstube, dann in der Sozialabteilung, Bereich Behindertenhilfe

1994 Gründungsmitglied der Selbsbestimmt-Leben-Initiative Linz

Seit 2004 Aktivistin beim Aktionsbündnis „Österreich für Behindertenrechte“

Seit 2008 Mitarbeiterin Empowerment Centre der Selbstbestimmt-Leben-Initiative Oberösterreich (SLI OÖ)

Klaudia Karoliny ist verheiratet und hat einen Sohn

Öffentliche Anerkennungen:

2002: Nominierung für die E.V.A. als bemerkenswerte Frau mit Initiative
2009: Aufnahme in die Bibliothek für Zivilcourage vom Evang. Studentenheim Linz
2010: Preisträgerin des ORF-Greinecker-Preises für Zivilcourage
2014: Elisabeth Wundsam-Hartig Preis

KAMPF UM SELBSTÄNDIGKEIT

Uschi: Du hast Volksschule, Hauptschule und Handelsschule absolviert, warst eine gute Schülerin, hast dann schon früh den Führerschein gemacht und im BBRZ in einer geschützten Werkstätte gearbeitet. War es für dich immer ganz klar, dass du selbständig leben möchtest?

Klaudia: Für mich schon, für meine Eltern nicht. Die rechneten damit, dass ich ihnen bleibe, später konnten sie sich dann vorstellen, dass ich in Gmunden meine eigene Wohnung hätte, am besten gleich nebenan, damit meine Mutter immer putzen kommen kann. Tatsächlich war ich dann die erste von all meinen Geschwistern, die von zu Hause ausgezogen ist (lacht). Das hat mir dann schon gut gefallen. Und meine Mutter ist kein einziges Mal bei mir putzen gewesen! Nie!

1978 begann Klaudia beim Land Oberösterreich zu arbeiten, zuerst in der Schreibstube, dann in der Sozialabteilung. Obwohl sie schon bald die C-Prüfung für Beamte mit Auszeichnung bestand, konnte sie, im Gegensatz zu ihren nichtbehinderten Kolleginnen und Kollegen, beruflich lange nicht aufsteigen.

Klaudia: Ich musste immer um Sachen kämpfen, die für andere selbstverständlich waren. Nachdem mir jahrelang andere vorgezogen wurden, habe ich mich beschwert. Daraufhin hatte ich innerhalb weniger Wochen einen C-Posten. Da habe ich mich dann geärgert, dass ich nicht früher zum Chef gegangen bin.

Uschi: Dieses „sich immer wieder auf die Füße stellen müssen“ braucht viel Kraft. Hast du manchmal auch gedacht, dass du es billiger gibst?

Klaudia: Ich habe mich ohnehin nicht immer gewehrt, es gab oft Situationen, die ich einfach abgehakt habe, weil ich die Energie nicht hatte. Ich denke oft, dass ich noch viel mehr tun und bewegen könnte, aber manchmal schaffe ich es einfach nicht. Aber wenn ich etwas wirklich ungerecht finde, dann melde ich mich auch heute noch und dann ist mir alles wurscht und ich ziehe das durch.

DIE LIEBE

Uschi: 1980 hast du deinen späteren Mann kennengelernt - im Rahmen deines Engagements für den Arbeitskreis „Bewältigung der Umwelt“ dabei ging es um Integration, barrierefreie Wohnungen und ähnliches. Hast du dich in dieser Zeit als attraktive Frau empfunden?

Klaudia: Ich glaube eher nicht. Ich habe schon ab und zu einen Riss bei den Männern gehabt, aber attraktiv habe ich mich nicht gefühlt, ich habe mich ganz kommunikativ und lustig empfunden und das hat wahrscheinlich auch die Männer angesprochen. Klaudia im Büro

Uschi: Du bist aber schon um dein Aussehen bemüht……..

Klaudia: Ich lege vielleicht heute ein wenig mehr Wert darauf. Früher war ich eher alternativ unterwegs.

Uschi: Als du deinen späteren Mann kennen lerntest, hattest du nicht viele sexuelle Erfahrungen - war das schwierig für dich?

Klaudia: Ja, das war schon schwierig. Ich hatte wenige Vorbilder und vor allem keine guten Erfahrungen gemacht. Und so wollte ich auch gleich wieder weg. Wo andere in der ersten Phase der Verliebtheit nicht voneinander lassen können, war ich damit beschäftigt, diesen Typen wieder loszuwerden, bevor noch wirklich etwas passiert war. Aber er war so hartnäckig, dass ich ihn nicht abgeschreckt habe (lacht). Er hat sich nicht abwimmeln lassen. Bis ich nach drei Monaten aufgegeben habe und mir dachte, wenn jetzt was schiefgeht, dann ist es eben so.

Uschi: Er scheint sehr unbefangen gewesen zu sein.

Klaudia: Ja, ganz und gar. Er hatte selbst keine Behinderung und bei manchen Menschen mit Behinderung - auch bei mir - ist in der Sexualität nicht alles 08/15, man muss sich halt was überlegen. Das war kein Problem für ihn. Ihn hat gar nichts gestört. Das hatte ich überhaupt noch nicht erlebt und ich glaube einen zweiten von dieser Sorte gibt es auch gar nicht (lacht).

Uschi: Ihr seid jetzt schon mehr als dreieinhalb Jahrzehnte zusammen. Welchen Stellenwert hat denn diese Beziehung in deinem Leben?

Klaudia: Sehr lange hatte diese Beziehung einen sehr hohen Stellenwert. Unsere Verliebtheitsphase hat wirklich zehn oder fünfzehn Jahre angedauert, in denen wir sehr aufeinander konzentriert waren. Heute…. nun, Beziehungen ändern sich und es ist bei uns viel passiert. Mein Mann ist krank geworden und heute ein Pflegefall. Natürlich ändert sich die Beziehung dadurch, aber ganz abgesehen davon, ist die Beziehung auch abgeflaut. Aber ich würde ihn nie im Stich lassen, ich möchte ihm einfach etwas zurückgeben, denn ich habe schon das Gefühl, dass ich sehr profitiert habe durch ihn. Dadurch, wie er mich angenommen hat und wie selbstverständlich so viele Dinge für ihn waren, die nicht einmal für mich selbstverständlich sind. Es ist sehr viel Dankbarkeit dabei, aber auch ein so großer Schatz von Erlebnissen und Beziehung, die wir uns erobert haben. Die vielen positiven Dinge, die wir miteinander erlebt haben, machen es heute möglich, dass wir miteinander leben, obwohl unsere Liebesbeziehung sich verändert hat.

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