Pipi Langstrumpf rettete ihr Leben. Sie empfindet sich selbst als zu diszipliniert. Die Schule der Zukunft ist für sie nicht nur Lernort, sondern Lebensort. Sie kämpft für offene Unterrrichtsformen, obwohl sie weiß, dass das für Kinder und Lehrerinnen eine Herausforderung ist. Karriere ist ihr wichtig, aber sie hat auch erfahren wie krank Stress machen kann.


Das Lehrerkind

Uschi: Du bist in einem Lehrerhaushalt in Obernberg am Brenner in Tirol aufgewachsen. Das hatte sicher Vor- und Nachteile.

Barbara: Kurze Zeit war mein Vater sogar mein Lehrer in der Schule. Der Vorteil ist, dass ich ein sehr gefördertes Kind war, ich habe schon mit fünf Jahren gelesen und bei meinem Vater in der Schule einmal vorlesen dürfen. Das hat mich zwar unheimlich stolz gemacht, aber am Ende waren die anderen Kinder auf das gescheite Lehrerkind grantig. Für die war das nicht so cool.

Barbara

Uschi: Du warst behütet und gefördert, aber deine Eltern haben auch viel verlangt von dir.

Barbara: Meine drei jüngeren Schwestern und ich haben eine sehr anregende Kindheit gehabt. Mein Vater hat uns sehr viel vorgelesen, wir hatten viele Spiele. Aber auch da war Druck dabei. Ich erinnere mich an eine Art Puzzlespiel, bei dem wir immer eine Rechnung lösen mussten, bevor wir einen Puzzleteil legen durften. Und wenn wir mit dem Rechnen nicht schnell genug waren, ist der Papa immer ungeduldig worden.

Uschi: Waren deine Eltern trotzdem liebevoll?

Barbara: (……zögert lange) meine Mama war später liebevoll, als Kind habe ich das nicht so empfunden. Aber sie hat mir die Welt der Literatur eröffnet. Meine Mama hat mir schon sehr früh zugetraut, schwierige Bücher zu lesen.

Pipi Langstrumpf als Überlebenshilfe

Uschi: Hast du Erinnerungen an deine ersten Leseerlebnisse?

Barbara: Sehr prägend für mich waren die Pipi Langstrumpf-Bücher. Mit Pipi habe ich meine rothaarige Kindheit überlebt. Im Tirol der 1960er Jahre rote Haare zu haben, war nicht leicht. Wirklich nicht. Pipi war meine Rettung. In dieses Buch habe ich flüchten können. Da habe ich mich dann stark gefühlt. Das zweite Buch, das mich besonders fasziniert hat, war „Krabat“ von Otfried Preußler. Das habe ich lange nicht verstanden. Ich habe es zwanzig Mal gelesen und es hat sich immer wieder neu erschlossen.

Barbara mit Pipi-Buch

Uschi: Bücher haben dich durch deine ganze Kindheit begleitet.

Barbara: Weil ich so früh zu lesen begonnen habe, war das immer meine Welt, um aus dem Alltag auszusteigen. Man braucht Bücher, um manche Phasen zu überstehen und nicht zu zerbrechen. So wie ich Pipi gebraucht habe, die mir gezeigt hat, wie man stark sein kann mit diesem „Makel“ von roten Haaren.

Uschi: Und später?

Barbara: Später habe ich Stefan Zweig, Elias Canetti, Herman Hesse gelesen. Zur Zeit lese ich hauptsächlich zur Entspannung. Vor allem Krimis, aber in meinem Elternhaus sind zum Beispiel alle Literaturnobelpreisträger gestanden - natürlich von Donauland (lacht). Oder Gabriel Garcia Marquez - in seine Bücher bin ich hineingefallen.

Barbara Pitzer

Geboren 1964 in Tirol

1983 - 1986 Ausbildung zur Hauptschullehrerin für Deutsch und Geschichte an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Tirol

1986 - 1996 Hauptschullehrerin und Schulbibliothekarin in Telfs, Tirol

1996 Ein Jahr Lehrtätigkeit im Tiroler Auswandererdorf Pozuzo in Peru

1997 - 2005 Hauptschullehrerin in Taiskirchen, Oberösterreich

2005 - 2007 Postgradualer Europäischer Ergänzungsstudiengang European Master in Intercultural Education (M.Ed.)

2005 - 2010 Bezirksschulinspektorin im Bezirk Wels Stadt

2010 - 2015 Gemeinderätin (ÖVP) in Steinhaus bei Wels

2011 - 2015 Landesschulinspektorin für APS (Allgemeinbildende Pflichtschulen) in Oberösterreich

Seit 2015 Im Bundesministerium für Bildung verantwortlich für den Bereich der Neuen Mittelschule

Barbara ist verheiratet

„Reiß dich zusammen!“

Barbara machte als Kind gesundheitlich viel durch. Sie hatte einen sogenannten Schiefhals, musste sich verschiedenen Operationen unterziehen, ein Gipskorsett tragen, mit Krücken gehen, hatte Hüftprobleme. Das hatte Einfluss auf ihren Alltag als Jugendliche.

Barbara: Einen sehr starken. Ich wäre anders geworden ohne diese Krankheiten. Einerseits habe ich mich sehr vor den Narkosen gefürchtet, andererseits konnte ich zum Beispiel nicht mit den anderen Jugendlichen tanzen gehen. Ich habe viel Aufmerksamkeit von den Eltern verlangt. Dabei hatte ich immer das Gefühl, dass ich allen auf die Nerven gehe, habe immer ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ich immer etwas gebraucht habe. In Erinnerung ist mir, dass ich oft den Satz: „Reiß dich zusammen!“ von den Eltern gehört habe.

Uschi: Wie wohl fühlst du dich heute in deinem Körper?

Barbara: Viel besser. Aber das hat erst begonnen, als ich meinen Mann kennengelernt habe. Da war ich schon über 30. Mit ihm habe ich zu sporteln begonnen, bei ihm habe ich gemerkt, wer ich bin. Da erst bin ich zu mir gekommen. Da erst habe ich begonnen, mich in meinem Körper wohlzufühlen.

Trotzdem Lehrerin

Nach der Hauptschule besuchte Barbara die Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe, was weniger ihre Entscheidung, als die ihrer Eltern war. Trotzdem ging sie gerne in diese Schule.

Barbara: Mir hat diese Verbindung von Theorie und Praxis gefallen, aber im Nachhinein denke ich, dass eine Schule, die meinen Intellekt mehr gefordert hätte, besser gewesen wäre. Andererseits finde ich es noch heute schön, zu stricken, nähen, kochen und backen.

Barbara im Interview mit Uschi Christl

Als es um eine Berufsentscheidung ging, war für Barbara klar, dass sie nicht Lehrerin werden wollte.

Barbara: Mein Großvater war Lehrer, mein Vater war Lehrer - da wollte ich etwas anderes machen. Lange war es mein Wunsch, in einem Reisebüro zu arbeiten und ich denke heute oft: „Welche Karriere hätte ich gemacht, hätte ich in einem Reisebüro gearbeitet!“ (lacht).

Uschi: Du denkst dabei sofort an Karriere?

Barbara: Ja. Ich bin karriereorientiert.

Uschi: Warum hast du nicht studiert?

Barbara: (…zögert) Ja, das ist wirklich eine interessante Frage. Wir waren vier Kinder, ich wollte schnell einen Beruf haben und Geld verdienen. Und dann war auf einmal doch der Wunsch da, Lehrerin zu werden. Nachdem für mich klar war, dass ich nicht Lehrerin werden musste, nur weil die anderen in der Familie Lehrer sind, habe ich festgestellt, dass ich es trotzdem werden kann. Weil ich es ja nicht muss. Das hat sich dann gut und richtig für mich angefühlt.

Offener Unterricht

Schon in ihrer ersten Zeit als Lehrerin interessierte sich Barbara für andere Unterrichtsformen.

Barbara: Das hat sich durch eine Zusatzausbildung zur Schulbibliothekarin ergeben. Da habe ich neue Zugänge bekommen, wie man Unterricht freier gestalten kann. Das hat mich sehr dazu ermuntert, mehr auszuprobieren, als nur vorne zu stehen und alle schreiben mit, was an der Tafel steht.

Uschi: Mit Kindern anders als damals üblich zu arbeiten, war sicher eine Herausforderung.

Barbara: Ja, und ich glaube, dass ich in dieser Euphorie, offen zu sein, auch viele Fehler gemacht habe. Die Kinder waren ja nicht daran gewöhnt und haben die Freiheiten immer wieder ausgenützt. Heute weiß ich, dass offene Unterrichtsformen von einem Lehrer unheimlich viel an Know-how, Beobachtungsgabe und diagnostischen Kompetenzen verlangen. Ich habe gelernt, dass das für manche Kinder sehr gut passt, andere aber überfordert. Auch die Kinder mussten ja erst lernen, mit dieser Freiheit umzugehen und ich selbst musste immer im Blick haben, dass sie die wesentlichen Kompetenzen mitbekommen.

Uschi: Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die so etwas wie eine „natürliche Autorität“ haben - gehörst du dazu?

Barbara: (antwortet sehr schnell) Ja, ja so eine war ich.

Uschi: Das kam jetzt aber sehr schnell.

Barbara: Ja, die Kinder haben sich sogar vor mir gefürchtet. Das wollte ich nicht. Aber ich konnte schon auftreten und habe das auch bewusst einsetzen können. Ich habe damit spielen können, dass ich sehr autoritär sein kann, aber ich glaube, ich habe das sehr verantwortungsvoll eingesetzt und die Kinder haben mich dann trotz meiner Strenge sehr gemocht.

Wende in Peru

Der erste große Umbruch in Barbaras Leben war ein einjähriger Aufenthalt in Peru. Mit 31 Jahren ging sie in das Tiroler Auswandererdorf Pozuzo am Ostabhang der Anden. Dort unterrichtete sie Deutsch, gab Musik- und Tanzunterricht und leitete Kochkurse, um den Menschen, die um 1850 aus Österreich ausgewandert waren, dabei zu helfen, ihre Tiroler Traditionen aufleben zu lassen.

Barbara: Das war eine große Wende. Das erste Mal raus aus dem Umfeld, dieser Traum, einmal weg ins Ausland zu gehen. Ich habe mich extrem gut vorbereitet und kam mit einem ganzen Container voll Lehrmaterial und Büchern an. Die Arbeit war sehr herausfordernd, ich war zum ersten Mal ganz auf mich alleine gestellt. Ich weiß noch, wie ich am ersten Tag - es hat stark geregnet - auf meinen Koffern gesessen bin und verzweifelt war. Aber ich habe mich eingelebt und diese Erfahrung hat mich sehr geprägt.

Uschi: Was hast du dort gelernt?

Barbara: Dass mir nichts mehr auf der Welt passieren kann, weil ich es dort geschafft habe. Weil ich es trotz vieler Ängste allein geschafft habe. Ich habe gelernt, dass mir keiner mehr sagen darf, dass ich nichts kann. Und ich habe gelernt, dass Menschen in anderen Teilen der Welt die gleichen Sehnsüchte haben wie wir, dass sie gerne in ihrer Heimat leben und nicht in das kalte Tirol wollen. Das war für mich nicht selbstverständlich.

Hässliches Entlein

Uschi: Privat warst du eher eine Spätzünderin.

Barbara: Ich habe schon Freunde gehabt, aber irgendwie ist keiner bei mir geblieben, ich war oft leidenschaftlich unglücklich verliebt in Männer, die sich für mich gar nicht interessiert haben. Ich hatte kaum etwas Beständiges. Ich hatte zu dieser Zeit ein Theaterabo und bin immer allein im Theater gesessen und jedes Mal habe ich mir gedacht, warum kann ich nicht auch mit meinem Freund ins Theater gehen.

Barbara

Uschi: Du bist eine attraktive Frau. Hast du dich immer schon als hübsch wahrgenommen?

Barbara: Nein, überhaupt nicht.

Uschi: Warum nicht?

Barbara: Weil ich schiach war!

Uschi: Aber das warst du ja nicht.

Barbara: Ich habe mich, was mein Äußeres betrifft sehr auf meine Mama und meine Schwestern verlassen. Und ich finde, ich war immer fürchterlich angezogen. Außerdem war ich rothaarig. Ich habe mich lange als nicht hübsche Frau wahrgenommen..

Uschi: Jetzt hast du eher diese bestimmte Ausstrahlung, die Frauen haben, die wissen, dass sie gefallen.

Barbara: Ja, aber das habe ich erst durch meinen Mann gelernt. Erst als ich ihn kennengelernt habe, bin ich bei mir angekommen. Erst da habe ich mich mit mir beschäftigt. Erst da habe ich überlegt, was mir selbst gefällt, was ich anziehe, wie ich mich schminke, was ich mit meinen Haaren mache. Zum Schwan bin ich erst geworden, nachdem ich lange ein hässliches Entlein war.

Plötzlich vier Kinder

Barbara war 34 Jahre alt, als sie ihren späteren Mann kennenlernte..

Uschi: Du bist zu ihm nach Oberösterreich gezogen und das recht schnell. Mich macht so etwas ja immer hellhörig: Eine Frau gibt ihr bisheriges Leben auf, um einem Mann an seinen Heimat- oder Arbeitsort zu folgen.

Barbara: Wir haben sofort gewusst, dass wir zusammengehören. Es hat alles gegen uns gesprochen. Er hatte vier Kinder aus zwei Beziehungen, die damals zwischen 8 und 19 Jahre alt waren, also noch bedürftig, sowohl finanziell als auch emotional. Es war klar, dass er wegen der Kinder nicht aus Oberösterreich wegziehen konnte. Ich habe zwar gewusst, dass ich damit meine vorgezeichnete Karriere zerstören würde, aber ich hatte mich ja immer nach einer Beziehung gesehnt, in der ich lieben kann und geliebt werde.

Uschi: Wie hat es zwischen den Kindern und dir funktioniert?

Barbara: Das war kein Problem. Im Nachhinein wundere ich mich darüber. Wir waren so sehr im Bewusstsein, dass wir zwei gemeinsam alles packen würden, dass ich den Kindern aufgeschlossen gegenübergestanden bin. Die Kinder haben bei ihren Müttern gelebt, deswegen konnte ich mich langsam annähern. Schon die ersten Begegnungen waren positiv. Es gab nie eine Ablehnung und ich bin dankbar, dass die Kinder so positiv auf mich zugegangen sind. Heute habe ich ein großartiges Verhältnis zu allen.

Uschi: Wolltest du ursprünglich auch eigene Kinder?

Barbara: Ja, vier Kinder wollte ich. Als ich meinen Mann kennenlernte, war ich schon über 30, heute weiß ich, dass sich das noch gut ausgegangen wäre, aber damals glaubte ich, es wäre schon zu spät. Wir haben das auf einer Wanderung nach Hallstatt besprochen. Ich kann mich gut daran erinnern. Er hatte keinen Wunsch nach weiteren Kindern, hätte es aber akzeptiert, wenn ich darauf bestanden hätte. Da habe ich mich entschieden, für ihn war es nicht mehr notwendig und ich dachte dann, das muss nicht sein.

Uschi: Tut dir das im Rückblick weh, bereust du das?

Barbara: Jetzt nicht mehr, aber ich habe einige Zeit dafür gebraucht, mich von dem Gedanken zu verabschieden. Ich habe das ansprechen können und mein Mann hat mich verstanden. Heute ist es in Ordnung.

Leidenschaft für Kinderbücher

Als Barbara nach Oberösterreich ging, baute ihr Ehemann gerade gemeinsam mit einem Kollegen das Projekt „Buchzeit“ auf, ein Kompetenzzentrum, das sich mit Leseentwicklung beschäftigte.

Barbara: Ich bin da mit eingestiegen und wir waren ein kongeniales Team, wir haben die Kinder- und Jugendbuchmesse „Lesetopia“ in Wels entwickelt und aufgebaut. Das waren die tollsten Jahre, als wir diese riesigen Messehallen mit Kinderliteratur angefüllt haben. Wir haben Welten entstehen lassen und bis zu 30.000 Kinder pro Woche haben die Messe besucht. Diese Arbeit hat mich sehr geprägt. Dieses Vermitteln und die Beschäftigung mit der Basiskompetenz, die die wichtigste für Kinder ist, - das war eine echte Leidenschaft.

Barbara lesend

Uschi: Stimmt es, dass du in deinem Leben mehr Kinder- und Jugendbücher als Bücher für Erwachsene gelesen hast?

Barbara: Definitiv. Wenn mein Mann und ich auf Urlaub gefahren sind, dann war immer ein Koffer voller Kinderbücher mit dabei. An Wochenenden sind wir hier im Haus gesessen und haben die Kinderbücher aufgesaugt. Ich habe es geliebt, Bücher in vielen Kursen vorzustellen, da habe ich mein komödiantisches Talent entdeckt und ausspielen können.

Uschi: Darin warst du auch im Radio sehr gut. Wir haben ja jahrelang die Serie „auf die Bücher, fertig, los….“ im ORF Radio Oberösterreich gemeinsam gemacht. Bei diesen Interviews hast du immer so lebendig von den Büchern erzählt und es war spürbar, dass du dich in dieser Rolle wohl gefühlt hast. Warum findest du Lesen für Kinder so wichtig, dass du dich dermaßen engagiert hast?

Barbara: Das hat viel mit meinen eigenen Erfahrungen zu tun. Lesen hat mich weggebeamt, in eine eigene Welt, in andere Erfahrungen, in gute Gefühle, in eine Stärke. Ich habe sehr viel über Bücher gelernt. Ich glaube, dass wir in der Kindheit ganz massiv von dem, was wir lesen, geprägt werden und nie ist man fähig, so sehr in die Welt einzudringen, wie als Jugendlicher. Ich kann mich auch als Erwachsene noch in einem Buch verlieren, aber nie so wie Kinder oder Jugendliche.

Gewerkschaft zu unbeweglich

Barbara absolvierte viele Fort- und Weiterbildungen und unterrichtete gerne.

Barbara: Grundsätzlich ist das meine Welt. Die Vision von einer Schule, wie ich sie mir vorstelle, ist etwas, das mich antreibt. Mir ist die Jugend ein großes Anliegen, ich will, dass den jungen Menschen die Bedingungen vorliegen, die sie brauchen, damit sie den Planeten weiterentwickeln können.

Uschi: Du hast gemeinsam mit deinem Mann lange an einer Hauptschule in Taiskirchen unterrichtet. Das war damals eine sehr fortschrittliche kleine Schule.

Barbara: Ja, mit einem sehr innovativen Lehrkörper und einem Direktor, der uns machen hat lassen. Das war eine pädagogisch sehr, sehr gute Zeit. Aber ich habe auch immer gewusst, dass ich nie bis 65 in der Klasse stehen würde..

Uschi: Bevor du Bezirksschulinspektorin wurdest, hast du dich gewerkschaftlich engagiert.

Barbara: Ich war lange gewerkschaftlich tätig, hatte aber immer ein Problem damit, Leute zu unterstützen, die unbeweglich und konservativ sind und überhaupt keine Neuerung wollen, das war mir so zuwider. Schule zu gestalten, zu entwickeln, das war das Meine.

.....und außerdem:

Schule als Lebensort: Ich betrachte Schule nicht nur als Lernort, sondern zunehmend als Lebensort, an dem Kinder viel ihrer Zeit verbringen. Das soll ein Ort werden, an dem sich Kinder entfalten können. Da soll auch Unterricht stattfinden, aber definitiv nicht in diesem herkömmlichen Sinn, dass alle zur selben Zeit im gleichen Tempo lernen.

Schule der Zukunft: Ich sehe eine anregend gestaltete Lernumgebung. Es ist schon klar definiert, welche Kompetenzen Kinder brauchen. Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die das so aufbereiten, dass Kinder mit verschiedenen Zugängen diese Kompetenzen erwerben können. Das hat Auswirkungen darauf, wie der Unterrichtsalltag und der ganze Tag gestaltet sind, wie Leistungsbeurteilung und Fördersysteme geschaffen und wie Schulgebäude ausgestattet sind.

Gesellschaftspolitische Aufgabe der Schule:

Für mich ist wichtig, wie eine Schule in einer Region verankert ist und was die Region in die Schule einbringt. Schule hat für mich neben der Bildungsaufgabe eine enorm wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. Da ist mir wichtig, dass alle Kinder einen Zugang finden. Es kommen nicht alle Kinder aus optimal geförderten Häusern. Kinder, die von den Eltern nicht gefördert werden, brauchen etwas anderes und sollen die Breite dessen, was es an Möglichkeiten gibt, auch erfahren können.

An den Hebeln der Macht

Uschi: 2005 wurdest du Bezirksschulinspektorin für Wels. Was hat dich da getrieben?

Barbara: Ich war einmal bei einer Konferenz der Inspektoren eingeladen, weil ich dort ein Projekt vorgestellt habe. Beim gemütlichen Zusammensitzen am Abend ging es darum, dass zwei Posten für Inspektoren ausgeschrieben werden sollten und der damalige Landesschulinspektor hat in der schon angeheiterten Runde gesagt: „Wir müssen schauen, dass wir gute Kandidaten bekommen, denn die wollen uns jetzt schon Weiberleut reindrücken und dass kann’s ja nicht sein, dass die Weiber Inspektoren werden.“

Barbara war schockiert und informierte sich über die Ausschreibung, bewarb sich einmal erfolglos, beim zweiten Mal klappte es.

Uschi: Was hat dir denn daran gefallen, Bezirksschulinspektorin zu sein?

Barbara: Es ist schön, daran zu bauen, wie Schule für Kinder sein kann. An den Hebeln zu sitzen und mit einer gewissen Macht ausgestattet, konnte ich mit den Schulleitungen gemeinsam unsere Vorstellungen verwirklichen.

Uschi: Dir gefällt es auch zu führen?

Barbara: Ja einem Team vorzustehen, zu führen, das mache ich gerne und das glaube ich, kann ich auch.

Stress mit Folgen

Uschi: Eines deiner wichtigsten Themen als Bezirksschulinspektorin war die Neue Mittelschule.

Barbara: In Oberösterreich war man 2005 sehr skeptisch, als es um ein neues Schulmodell ging. Vor allem, weil die Grundidee aus Wien kam. Andererseits konnte man das aber auch nicht ignorieren und ich wurde dazu ausersehen, mir das Ganze einmal anzuschauen und ein pädagogisches Konzept zu entwickeln. Wir haben im Team das erste Schulmodell Oberösterreichs entwickelt. Damit hatte ich das Thema besetzt und es war meines. Die Landesschulaufsicht hat mich dann machen lassen.

In ihrem neuen Arbeitsfeld ging es viel um Migrationsfragen. Deshalb absolvierte Barbara neben ihrem neuen Job als Bezirksschulinspektorin das Studium „Intercultural Education“. Sie hatte viel Stress und schließlich 2008 einen Stressinfarkt, eine Herzmuskellähmung.

Barbara: Mir ist bewusst worden, dass ich in dem Tempo nicht mehr weitermachen kann. Ich habe mich und meine Bedürfnisse aus den Augen verloren gehabt. Ich war Burn-out gefährdet. Ich definiere mich ja sehr über meinen Beruf, über die Erfolge, die ich habe, über die Karriere, die ich mache, und vergesse dabei oft meinen Mann, meine Familie und mich selbst. Vergesse, dass ich ein Haus und einen Garten und Blumen habe. Das ist ein Lebensthema von mir. Das merke ich gerade jetzt wieder, wo es mir beruflich gut geht und ich an großen Dingen arbeiten kann, da merke ich, dass ich an die Grenze komme und dass Karriere nicht alles ist.

Uschi: Kannst du jetzt besser mit Stress umgehen?

Barbara: Ja, ich habe Therapie gemacht und jetzt merke ich sehr schnell, dass ich aufpassen muss. Dass ich wieder eine Balance finden muss.

Zu viel Disziplin

Uschi: Dein nächster Karriereschritt war der zur Landesschulinspektorin. Warst du dir sicher, dass du das machen willst?

Barbara: Das war ein logischer Schritt für mich. Der Posten war frei und das hieß „jetzt oder nie“. Ich bin ja immer weitergegangen, also wollte ich nicht als Bezirksschulinspektorin stehen bleiben, da war ich mir noch zu jung.

Uschi: Du bist ein sehr disziplinierter Mensch. Das ist dir dabei wahrscheinlich zugutegekommen.

Barbara: (verzieht den Mund und stöhnt…) Ja

Uschi: Findest du das schlecht?

Barbara: Nein, eh nicht. Aber es macht mich auch irgendwie traurig, das von mir zu sagen. Obwohl es mich so erfolgreich gemacht hat. Ich wünsche mir manchmal, dass ich mit mir selber ein bissl nachlässiger sein könnte, ein bissl undisziplinierter…

Uschi: Mehr Leichtigkeit?

Barbara: Ja genau. Zum Beispiel habe ich wahnsinnig viele Überstunden gesammelt und dann denke ich, dass ich am nächsten Tag erst um 9 Uhr ins Büro gehen und ausschlafen könnte. Aber das schaffe ich nicht, da habe ich ein schlechtes Gewissen, da kommt mir meine Disziplin in die Quere. Mit ist nicht klar, warum ich das mache.

Uschi: Ja warum tust du es?

Barbara: Keine Ahnung. Deppert…

Der Rückzugsort

Uschi: Wo findest du denn die Leichtigkeit im Leben? Wann bist du denn gnädiger zu dir?

Barbara: Beim Reisen. Ich war jetzt in Thailand. Da kann ich sowas von relaxed und entspannt sein und loslassen. Und ich kann es auch immer besser hier - im Haus.

Barbara lebt unter der Woche in Wien. Die Wochenenden verbringt sie mit ihrem Mann in Steinhaus bei Wels. Ihr Leben hat sich durch die Arbeit im Ministerium sehr verändert.

Barbara: Ich bin gerne in Wien, mir gefällt die Stadt, ich arbeite an einem so schönen Arbeitsplatz, sitze im Büro gegenüber dem Kunstforum und habe ein wertschätzendes Umfeld. Ich arbeite gerne dort. Der Preis, den ich dafür zahle, ist das Pendeln. Das kostet Kraft. Schon das Schlafen und Aufwachen an verschiedenen Orten ist gewöhnungsbedürftig. Ich muss mir meine Wochenenden anders gestalten, als ich es früher gewohnt war. Ich muss mehr zu Hause bleiben. Sonst wird mir das zu viel.

Uschi: Welches sind deine Freiräume, die du dir schaffen musst, um so arbeiten zu können?

Barbara: Ich muss immer schauen, dass ich mich erde. Der Garten wird mir immer wichtiger. Lesen ist nach wie vor ein Rückzugsort für mich, Radfahren und Handarbeit entspannen mich.

Politischer Druck

Uschi: Du warst beim katholischen Lehrerverein CLV, aber was du gemacht hast, war und ist doch eher linke Pädagogik?

Barbara: (lacht)… ja.

Barbara

Uschi: Das hat sicher nicht allen im Landesschulrat gefallen.

Barbara: Nein. Da hat es zwar einige gegeben, denen es gut gefallen hat, dass eine anspricht, was man selbst heimlich auch denkt, aber es war schon auch die bittere Erfahrung, dass genau diese Leute mir die Unterstützung nicht gegeben haben, wenn ich sie gebraucht habe. Ich habe jedenfalls gemerkt, dass ich mir nicht den Mund verbieten lasse und eine Sache leidenschaftlich vertreten kann.

Uschi: Bist du da mutig?

Barbara: Ja, da bin ich mutig. Wenn es mir um die Sache geht, denke ich nicht daran, dass irgendjemand auf mich böse sein könnte, was nicht immer zu meinem Vorteil war.

Uschi: Du kannst aber taktisch nicht gar so unklug gewesen sein, bei der Karriere, die du gemacht hast.

Barbara: (…zögert) Da ist eine große Portion Naivität dabei. Ich habe zum Beispiel nicht gewusst, dass der Lehrerverein glaubt einen Job, wie Landesschulinspektorin, absegnen zu müssen. Grundsätzlich bin ich aufgefallen, weil ich etwas kann. Mitgespielt hat sicher auch, dass ich diesen Stallgeruch hatte, weil ich eben aus dem katholischen Lehrerverein kam und in Tirol Gewerkschaftsarbeit gemacht habe. Aber keiner hat vorausgesehen, dass ich mich durch meine Studien weiterentwickeln würde. Das haben die dann nicht so gut gefunden.

Uschi: Hast du politischen Druck kennengelernt?

Barbara: Ja. Aber witzigerweise aus der politischen Gruppierung, in der sich ohnehin alles abgespielt hat. Also innerhalb der ÖVP. Ich habe mit der Landesrätin Hummer von der ÖVP sehr gut zusammengearbeitet und habe dann mit Erstaunen festgestellt, dass das von der Führung im Landesschulrat nicht sehr gern gesehen war.

Sexismus und Machtkampf

Uschi: Eine Möglichkeit gegen Frauen vorzugehen, die ihr Ding machen wollen, ist normalerweise Sexismus. Hast du das auch gespürt?

Barbara: Ja. Gerade auf Landesschulratsebene bin ich häufig über das Geschlecht definiert worden. „Oh heute aber fesch! Gute Figur, fantastisches Kleid, oh heute in Lack und Leder!“ - Solche Sachen in sehr unangenehmen Situationen habe ich erlebt. Hinter meinem Rücken war es wahrscheinlich noch schlimmer. Und ich habe natürlich auch erlebt, wie über andere Frauen geredet worden ist

Uschi: War der Druck auch mit ein Grund dafür, dass du nach Wien gegangen bist?

Barbara: Nicht der Sexismus, aber ich bin an einen Punkt gekommen, an dem ich überhaupt nicht selbständig arbeiten konnte und an dem andere Leute wegen mir unter Druck geraten sind. Die sind bedroht worden, weil sie in den Machtkampf zwischen mir und Landesschulrat gekommen sind. Da haben viele gelitten. Und als ich dann die Entscheidung getroffen habe, dass ich gehe, waren viele froh, weil es für die bequemer geworden ist.

Der schlimmste Tag

Inzwischen ist Barbara Ministerialrätin. Sie arbeitet im Bildungsministerium im Bereich der neuen Mittelschule. In der pädagogischen Abteilung im Bereich der Pflichtschule ist sie sehr stark in die vielen Reformprojekte, die gerade laufen, eingebunden.

Uschi: Vom CLV, dem Christlichen Lehrerverein, und einem ÖVP-geprägten Landesschulrat in ein rotes Bildungsministerium zu kommen liegt nicht wirklich auf der Hand.

Barbara: (... lacht) Da fragen mich jetzt einige, wie das gegangen ist. Ich habe in der Zeit, in der ich mich der neuen Mittelschule in Oberösterreich gewidmet habe, mit dem Ministerium fernab von politischen Ideologien immer sehr gut zusammengearbeitet. Ich habe versucht etwas aufzubauen, was für die Kinder und Lehrer gut, modern und zeitgemäß ist. Dabei bin ich aufgefallen.

Zu der Zeit, als im Ministerium ein Posten frei wurde und jemand gesucht wurde, der oder die in diesem Minenfeld, wie Barbara es ausdrückt, weiterarbeiten wollte, hatte sie Probleme im Landesschulrat. Barbara war mit ihrer Arbeit zunehmend unglücklich. Ihr Ehemann signalisierte ihr seine volle Unterstützung für einen Wechsel nach Wien. Trotzdem war sie unentschlossen.

Barbara: Dann kam der Supergautag meines Lebens: Bei einer großen Konferenz hat mich mein Chef vor aller Ohren niedergemäht. Er hat mir vor Publikum miese Arbeit unterstellt. Das war unglaublich schlimm für mich. Am selben Tag kam ein Anruf aus Wien und da habe ich zugesagt.

Vision von Schule

Uschi: Es gibt wohl nur wenige Themen, die zur Zeit so heiß umstritten und zugleich so entscheidend für die Zukunft sind, wie Bildungspolitik und im Speziellen Schulpolitik. Wie optimistisch bist du da, auch angesichts der Haltung der Lehrergewerkschaft?

Barbara: Ja, man wird schon sehr ernüchtert. Je näher man an den Dingen dran ist und lernt, wie Entscheidungsprozesse laufen. Zuversichtlich machen mich Schulleiterinnen und Schulleiter, die ich kenne und die man nur ermuntern kann, dass sie ihren Standort gestalten. Das geht.

Uschi: Da werden dir aber viele widersprechen, denn ohne Mittel wird das nicht so funktionieren.

Barbara: Ja, erstens gibt es Mittel, aber man muss den Mut haben, sie anders einzusetzen, da lässt sich schon viel machen. Natürlich kann es immer mehr sein. Aber die große Gefahr ist, dass bei jeder Herausforderung, die auf uns zukommt, die Schwierigkeiten in den Vordergrund gestellt werden. Heute sind es Migrantenkinder und Flüchtlingskinder, früher waren es die Bergbauernkinder, es ist immer etwas anderes… da kann ich nicht immer darauf hoffen, dass da einer kommt, der das Problem für mich löst. Wir können nicht nur die „Heumilchkinder“ unterrichten. Es geht darum, mit dem, was ich habe, einem Gebäude und Lehrerinnen und Lehrern und Kindern, mit bestimmten Ressourcen und dem Umfeld, das ich vorfinde, etwas zu gestalten.

Mut und Zuversicht sind es, die Barbara zur Zeit in der Lehrerschaft vermisst.

Barbara: Alle fordern, es muss besser werden, aber wenn es soweit ist, dann sieht man Mutlosigkeit. Unser Plan wäre jetzt zu sagen: „Ihr habt Ressourcen, ihr wisst, was die Kinder können müssen, jetzt macht es so, wie ihr es für richtig haltet.“ Dieses Gesetz sollte kommen, aber auf einmal haben alle Angst davor. Weil seit Maria Theresia Schule auf eine bestimmte Weise funktioniert. Jeder sagt, es funktioniert nicht, es muss sich was ändern, aber wenn sich was ändert, haben alle Angst.

Geschafft - das Schulautonomiepaket

Nach dem Gespräch mit Barbara dauern die Verhandlungen um ein Schulautonomiepaket auf den Weg zu bringen noch monatelang. Vorzeitige Neuwahlen werden in Österreich beschlossen und es scheint mehr als einmal unsicher, ob ein Gesetz noch zustande kommen wird. Barbara und ihr Team stehen „unter Strom“, wie sie mir während der Verhandlungen erzählt. Sie arbeitet in verschiedenen Arbeitsgruppen mit, besonders intensiv an dem Projekt der Modellregionen, an dem sich ein erfolgreicher Abschluss des Autonomiepakets am meisten spießt. Da eine Verfassungsänderung notwendig ist, ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Am Tag nach der Einigung von SPÖ, ÖVP und Grünen spreche ich noch einmal mit ihr.

Barbara: Natürlich bin ich erleichtert, dass es nach diesem Nervenkrieg doch etwas mit dem Abschluss geworden ist. Aber ich weiß auch, dass es jetzt die ganze Kraft und Konzentration braucht, damit das, was im Gesetz stehen wird, umgesetzt wird. Da ist ein auch Gefühl der Erschöpfung. Es ist gut dass ich im Sommer, der jetzt beginnt, Kraft tanken kann.

Uschi: Hast du weiter Freude an dieser Arbeit nach all dem Stress?

Barbara: Ja, unbedingt. Bei aller Erschöpfung weiß ich, dass sich jetzt Projekte anschließen werden und das interessiert mich. Da kann ich auch meine gestalterische Kraft einbringen.

Die Gespräche wurde im April 2017 in Steinhaus bei Wels geführt.