DAS LEBEN ALS MUTTER

Von eigenen Kindern wurde Klaudia wegen des großen Risikos abgeraten. Sie hat einen mittlerweile erwachsenen Sohn, der mit zwei Jahren als Pflegekind zu ihr kam. Er hatte zuvor Schlimmes durchgemacht. Gemeinsam mit ihrem Mann und dessen Bruder, der bei ihnen lebte und lebt, beschloss sie, sich um das Kind zu kümmern.

Uschi: Hattest du nie Angst, dass du dir zu viel zumutest? Das Leben mit der Behinderung kostet viel Kraft, du hattest einen Beruf und warst in der Behindertenbewegung aktiv.Klaudia Lachend

Klaudia: Ja, ich war damals skeptisch, weil meine Kräfte ja eingeschränkt sind. Mein Sohn war schon mit zwei Jahren ein großes Kind und ihn aus der Badewanne herauszuheben oder zu wickeln war körperlich nicht einfach für mich. So etwas, wie persönliche Assistenz gab es damals noch nicht. Aber wir waren zu dritt und die zwei Männer haben viel gemacht und es hat ganz gut funktioniert.

Uschi: Und wie war dieses Leben als Mutter für dich?

Klaudia: Meist hatten wir eine gute Beziehung. Aber mein Sohn hatte eben auch eine Vorgeschichte und gelegentlich Schwierigkeiten damit, jetzt eine behinderte Mutter zu haben. Natürlich hat es mich gekränkt, wenn er lieber meinen Mann bei der Muttertagsfeier im Kindergarten dabeihaben wollte als mich. Aber das waren kurze Phasen und ich habe ihn gut verstanden, weil ich ja auch als Kind viel erlebt habe. Und ich musste ihm einiges zumuten, was für ein Kind seines Alters nicht normal war. Wenn er zum Beispiel aufs Klo musste und ich keine Möglichkeit hatte, ihn auf eine barrierefreie Toilette zu begleiten, habe ich ihn vor einen Gully gestellt, damit er dort reinmachte. Das gab dann Diskussionen mit Passanten, die sich darüber beschwert haben. Das war natürlich zu viel für ein kleines Kind, obwohl ich ihm das danach erklärt habe. Aber es ist mir nur bedingt gelungen, ihm die Last von den Schultern zu nehmen.

Uschi: Du warst dann zusätzlich Elternvertreterin in der Schule, hast eine Lerngruppe für deinen Sohn und andere Kinder gegründet - das ist schon alles ein bisschen viel.

Klaudia: Nein, das war ja nicht so heftig, ich habe halt woanders zurückgeschraubt, die Behindertenbewegung musste ein wenig zurückstehen. Die Lerngruppe ergab sich mit einer zweiten Mutter. Kinder, die viel alleine waren oder deren Eltern berufstätig waren, kamen zu uns. Wir versuchten, sie alle positiv durch die Hauptschule zu bringen und das gelang auch und einige besuchten im Anschluss höhere Schulen, studierten und machten Karriere.

FEMINISMUS ALS LUXUS

Uschi: Du warst in etlichen Bereichen aktiv - zum Beispiel hast du ein Frauennetzwerk für Frauen mit und ohne Beeinträchtigung mit initiiert. Du bist Feministin. Woher kommt das? Doch nicht aus deinem Elternhaus?

Klaudia: Indirekt schon, meine Schwestern und meine Brüder wurden sehr traditionell erzogen. Im Gegensatz zu den Buben mussten die Mädchen unserer Mutter immer zur Hand gehen und sich nützlich machen. Ich habe das so ungerecht gefunden, obwohl von mir selbst wenig verlangt wurde. Ich habe dann immer meine Schwestern aufgewiegelt, damit sie sich das nicht gefallen lassen. Und auch wie meine Mutter von meinem Vater finanziell abhängig war, habe ich nicht gut gefunden. Klaudia am Schreibtisch

Uschi: Gibt es Schnittstellen zwischen Feminismus und Behindertenbewegung?

Klaudia: In Österreich ist dieser Zug an uns vorüber gefahren. Der Feminismus war in der Behindertenbewegung lange Zeit überhaupt kein Thema, deshalb haben wir versucht, ein Netzwerk aufzubauen, und wir haben schon da und dort Frauenforderungen eingebracht. Aber die Zusammenarbeit mit den nichtbehinderten Feministinnen ist uns nicht wirklich geglückt.

Uschi: Unter dem Motto Feminismus ist ein Luxus für behinderte Frauen?

Klaudia: Ja so ungefähr. Und im Grunde genommen ist es auch heute nicht anders. Wir versuchen immer wieder etwas für behinderte Frauen anzubieten, aber irgendwie funktioniert das nicht.

Uschi: Kann das damit zusammenhängen, dass Menschen mit Behinderung oft als Neutrum angesehen werden?

Klaudia: Ja, ganz sicher, ich selbst bin wie ein Neutrum erzogen worden und es hat mich auch lange sehr irritiert, dass ich weder zu den Mädchen noch zu den Burschen gehörte. Und man kann so etwas natürlich auch übernehmen und irgendwann sagen, das betrifft mich nicht. Und manche Frauen mit Behinderung sehen einfach nicht, dass sie dieselben Probleme wie andere Frauen haben. Wenn eine Mutter zum Beispiel auf Reha fahren will, bekommt sie einen Termin, der sich nicht danach richtet, ob gerade Ferien sind oder nicht. Oder im Arbeitsbereich: Behinderte Frauen arbeiten öfter in einer Tagesstruktur für ein Taschengeld oder in einer geschützten Werkstätte, während behinderte Männer eher in der freien Wirtschaft in einem normalen Dienstverhältnis stehen. Außerdem sind behinderte Frauen oft weniger gut ausgebildet. Da unterscheiden wir uns von nichtbehinderten Frauen ja nicht wesentlich. Aber trotz vieler Gemeinsamkeiten ist es uns damals nicht gelungen, eine gute Vernetzung zu Fraueninitiativen zu schaffen, die ja zu dieser Zeit ziemlich stark waren.

Inzwischen ist Klaudia gut mit verschiedenen Fraueninitiativen vernetzt und stellt fest, dass die Gesprächsbasis eine andere ist als früher.

Klaudia: Da hat sich etwas verändert, obwohl sich Frauen andererseits heute weniger leicht politisieren lassen, weil sie glauben, dass sie nicht mehr so stark benachteiligt sind. Dabei sehen wir ja gerade jetzt in der oberösterreichischen Landesregierung, wie schnell Frauen wieder weg sind… Wenn man da nicht ein Auge drauf hat und das beobachtet, dann werden wir bald wieder am Herd stehen und fleißig kochen.

.....und außerdem:

Engagement: Das wurde mir in die Wiege gelegt. Unser Vater war auch so ähnlich. Der verausgabte sich allerdings mehr in der Parteipolitik und in der Landjugend. Aber wenn irgendjemand in Not war und Unterstützung brauchte, dann engagierte er sich. Diesbezüglich war er immer ein großes Vorbild für mich. Manchmal fand ich es aber ein bissl zu viel, das ist mir fast schon aufdringlich vorgekommen. Das versuche ich dann doch ein bisschen zu dosieren.

Ziele: Als junge Frau war mein Ziel, dass ich einen eigenständigen Beruf habe, eine Partnerschaft, vielleicht sogar ein Kind. Außerdem war mir wichtig, dass in Bezug auf Menschen mit Behinderung etwas weitergeht. Was ich bedaure ist, dass ich nicht bessere Bildungsmöglichkeiten hatte. Weil ich in der Heimschule nicht so viel gelernt habe, habe ich mir zu wenig zugetraut, was Weiterbildung betraf.

Anerkennung: Ich glaube schon, dass meine Leistung gesehen wird. Manchmal ist mir die Aufmerksamkeit fast ein bissl viel. Sie ist oft wichtig, weil sie der Sache nützt, aber ich stehe nicht gerne im Rampenlicht, das ist mir sehr peinlich. Außerdem denke ich, dass ich ja nicht besonders mutig bin oder so, sondern dass ich einfach nicht anders kann. Ich falle wahrscheinlich oft auf, weil ich recht emotional werden kann, wenn ich etwas als ungerecht empfinde. Ich muss mich dann einfach zu Wort melden.

STOLZ UND ÜBERDRUSS

Nach knapp vier Jahrzehnten macht Klaudia das Engagement in der Behindertenbewegung immer noch Freude. Vor allem ihre Arbeit als Peerberaterin.

Klaudia: Jemanden persönlich dabei zu unterstützen, dass es sich für die Person gut anfühlt, das mache ich sehr gerne. Die politischen Kämpfe hängen mir ab und zu schon beim Hals raus. Was ich nicht mehr gerne mache, ist die Art Aktionismus, bei der zum Beispiel Nichtbehinderte ausprobieren sollen, wie es ist, im Rollstuhl zu sitzen. Oder auf die Barrierefreiheit hinzuweisen. Ich möchte nicht mehr erklären müssen, dass ein Ort nicht barrierefrei ist, wenn er nur über Stufen erreichbar ist oder es kein barrierefreies WC gibt. Das müsste sich schön langsam schon herumgesprochen haben.

Uschi: Wenn du auf die letzten Jahrzehnte Behindertenarbeit zurückblickst, - stehen für dich die Mühen oder der Erfolg im Vordergrund?

Klaudia: Da ist schon ein gewisser Stolz auf die Dinge, die wir erreicht haben. Es hat sich viel getan. Die Fortbewegung auf den Straßen im Rollstuhl und die Bildungsmöglichkeiten sind besser geworden. Obwohl ich schon finde, dass die Politik da aktiver werden müsste und nicht den Eltern überlassen sollte, ob ihre Kinder integrativ geschult werden oder nicht. In der Schule bis zum 15. Lebensjahr gehören alle miteinander beschult, das ist keine Diskussion für mich. Man weiß, dass Kinder, die die Sonderschule absolviert haben, keinen Job finden. Da wünschte ich mir, dass etwas weitergeht. Auch an den Universitäten, wo es jetzt vor allem Gehörlose sind, für die es schwer ist. Dass diese Dinge selbstverständlicher werden, möchte ich noch erleben.

IST DAS LEBEN GERECHT?

Klaudias private Situation ist schwierig, ihr Mann ist vor Jahren zuckerkrank geworden, bekam etliche Folgeerkrankungen bis hin zu zwei Schlaganfällen und muss jetzt gepflegt werden.Klaudia beim Einstieg in Straßenbahn

Klaudia: Das ist schon eine belastende Situation für die ganze Familie. Vor allem weil mein Mann keine Hilfe von außen will und ich für die Pflege auch nicht geboren bin. Mein Schwager wird diese Betreuung rund um die Uhr auf Dauer alleine nicht schaffen.

Uschi: Findest du das Leben manchmal sehr ungerecht?

Klaudia: In Bezug auf mich?…. (zögert lange). Heute kann ich das für mich weniger behaupten als früher. Als Teenager und junge Frau habe ich das eher ungerecht empfunden, heute denke ich mir, was meine Behinderung betrifft: Das ist eine Lebensform und die habe ich halt abgekriegt. Und so etwas wie die Pflegebedürftigkeit meines Mannes kann jedem passieren. Niemand hat die Gesundheit gepachtet.

GLÜCK WIRD ÜBERBEWERTET

Uschi: Hättest du mit 20 gewusst, wie du heute mit um die 50 lebst, - wäre das eine schöne Vorstellung gewesen? Eine erschreckende?

Klaudia: Ich glaube, eine schöne, Ich bin zufrieden, wie mein Leben bisher gelaufen ist und ich habe jeden Tag neue Möglichkeiten, kann noch viele Erfahrungen machen und das sind gute Aussichten. Und ich bin auch zuversichtlich, zuversichtlicher als früher. Obwohl ich mir natürlich Gedanken darüber mache, dass ich körperlich abbaue. Aber heute habe ich das Gefühl, dass es auch weitergehen wird, wenn es mir einmal schlechter geht, wenn ich vielleicht einmal gezwungen bin, mehr zu Hause zu sein. Dann werde ich mir Leute suchen, die zu mir passen und mich unterstützen. Und ich werde trotzdem versuchen, noch etwas Positives aus meinem Leben zu ziehen.

Uschi: Angenommen, wir führen in fünf Jahren noch einmal ein Gespräch, - wo siehst du dich da?Klaudia

Klaudia: In Pension (lacht). Die sehne ich jetzt schon langsam herbei, damit ich mich nicht mehr so verpflichtend verausgaben muss. Ich komme ja auch zur Arbeit, wenn es mir schlecht geht, aber es wird zunehmend mühsamer. Fünf Jahre muss ich noch durchziehen, denn sonst hätte ich so wenig Pension, dass ich nicht davon leben könnte. Aber ich werde mich sicher auch in Pension weiter in der Behindertenbewegung und bei der Selbstbestimmt-Leben-Initiative OÖ engagieren.

Uschi: Auf einer Zufriedenheits-Skala von 1 bis 10 betrachtet. Wie zufrieden bist du zur Zeit mit deinem Leben?

Klaudia: 8. Im Moment bin ich recht zufrieden, auch wenn ich die Kraftquelle, die ich früher daheim hatte, vermisse. Heute sind meine Kraftquellen gute Beziehungen, zum Beispiel zu meinen Geschwistern, zu denen ich ein sehr gutes Verhältnis habe und zu meinen Freundinnen und Freunden. Kultur - Kabarett, Theater, Konzerte, Musik…. auch Natur ist eine große Kraftquelle. Ich bin gerne draußen und ich brauche Zeiten, in denen ich für mich alleine bin. Diese Zeiten werden mir immer wichtiger. Alleine zu sein, meine Übungen zu machen, gar nichts zu tun.

Uschi: Sind das dann auch manchmal Momente des Glücks?

Klaudia: Ja, das sind oft Momente des Glücks, aber das mit dem Glück finde ich ohnehin viel zu überbewertet. Ich bin schon glücklich, wenn ich halbwegs gut durchs Leben komme und etwas bewegen kann. Mich macht auch die Arbeit oft glücklich (lacht).

Das Gespräch wurde am 27. November 2015 in Linz geführt.

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