Selbstmord ist dekadent

Als Sylvia 43 Jahre alt war, starb ihr Lebenspartner, der erste und bisher einzige Mann, mit dem sie zusammengelebt hat. Da sie auch vor seinem Tod eine sehr selbständige Frau war, hat sich ihr praktisches Leben, ihr Alltag nicht allzu sehr verändert. Aber da ihr Partner ganz plötzlich, innerhalb einer Stunde, starb, das Leben am Nachmittag ein völlig anderes als am Vormittag war, spürte sie das Gefühl der Endlichkeit sehr stark. Auch wenn ihr praktisches Leben, ihr Beruf, ihre Arbeit für Amnesty weitergegangen sind, ging es ihr doch lange sehr schlecht..

Fotos der Himalayareise

Sylvia: Ich hatte da dieses Bild einer Astronautin, die von einer Sekunde auf die andere in den Weltraum geschleudert wird und dort oben schwebt, nur durch eine Sauerstoffschnur mit der Erde verbunden. Oder auch ein anderes Bild, das ohnehin ein Klassiker ist: Die gläserne Wand, vor der man steht und durch die man das Leben draußen beobachtet. Lange Zeit habe ich in einem bestimmten Rhythmus gelebt. Aufwachen, weinen, arbeiten, heimkommen, weinen. Später, nach einem halben Jahr, sind dann die Selbstmordgedanken gekommen.

Uschi: Diese Gedanken waren also da, aber du hast mir einmal gesagt, dass das „Tun“ dann doch nicht möglich gewesen wäre, weil du damit „dein Leben verraten hättest“. Was hast du damit gemeint?

Sylvia: Einerseits setze ich mich ja in meiner Arbeit für Amnesty für Menschen ein, die in Gefahr leben und irgendwie damit zurechtkommen müssen und wenn ich da in einer schwierigen Situation mein Leben wegwerfe, dann hätte ich meiner Arbeit den Sinn genommen. Andererseits hätte ich auch das Gefühl gehabt, dass ich mit einem Selbstmord unsere Partnerschaft verraten hätte.

Uschi: Weil ja auch ein Leben ohne Partner ein lebenswertes Leben ist?

Sylvia: Ja und weil ja fast jeder Mensch damit klar kommen muss, jemanden zu verlieren. In Syrien verlieren Menschen tagtäglich Kinder, Mütter, Väter. Und das nicht in einem so geschützten Rahmen, wie ich ihn erlebe. Irgendwie hätte ich es als dekadent empfunden, mich umzubringen.

.....und außerdem:

Reisen: Ich bin oft allein verreist und war da immer sehr selbstbewusst unterwegs. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass man mich irgendwo auf der Welt hinstellen könnte, und ich käme durch. Ich fühle mich einfach sicher, wenn ich auf Reisen bin.

Musik: Ich spiele Blockflöte, Akkordeon und Gitarre. Kurze Zeit hatte ich an der Musikschule Unterricht in Sologesang. Musik ist mir enorm wichtig - ich höre fast jede Art von Musik. Manchmal höre ich nebenbei, manchmal konzentriere ich mich ganz und gar darauf. Und ich finde es sehr hilfreich, wie Musik Gefühle verstärken kann. Wenn ich zum Beispiel Schmerz empfinde und dann besonders schwermütige Musik höre, dann wird dieser Schmerz damit zwar verstärkt, aber danach ist es auch leichter.

Zeit: Ich habe kein Problem damit etwas zu versäumen. Das halte ich für Lebensqualität. Es ist mir speziell durch den Tod meines Partners bewusst geworden, dass ich ohnehin nicht alles in meinem Leben machen kann, also versuche ich die Zeit einfach hinzunehmen, meine Tage sinnvoll zu füllen. Aber ich habe eben auch kein Problem damit, etwas nicht zu tun.

Jemand mit Rückgrat

Die Kerze, die Sylvia zu Beginn unseres Gesprächs entzündet hat, ist niedergebrannt. Wir sitzen im Esszimmer ihrer 80 Quadratmeter großen Wohnung. Hier hängen die Fotos, die sie auf ihrer letzten Reise nach Bhutan gemacht hat. Gleich daneben ist die Küche, in der Sylvia ihre Freunde und ihre Familie bekocht. Für die Familie gibt's Schweinsbraten. Für die Freunde Gerichte, die sie an ihre Reisen erinnern und Fernweh wecken.
Figuren aus Benin und Java

Uschi: Wenn du zurückblickst auf die Zeit, in der du Anfang Zwanzig warst, was waren deine Ziele in früheren Jahren und wie haben sich die verändert?

Sylvia: Ich bin irgendwie nicht die „Generation Ziele“. Ich habe die Dinge immer auf mich zukommen lassen.

Uschi: Hättest du mit 20 gewusst, wie du heute mit um die 50 lebst, - wäre das eine schöne Vorstellung gewesen? Eine erschreckende?

Sylvia: Eine schöne Vorstellung. Aber das ist schwer zu sagen, denn ich konnte mir ja nicht einmal vorstellen, 40 zu werden. Schon das Jahr 2000 war so eine abstrakte Zahl. Das einzige Ziel, das ich schon als Teenager hatte, war, eine Persönlichkeit zu werden. Das hat nichts mit berühmt zu tun, und wenn ich jetzt irgendwelche Schwierigkeiten habe, dann sage ich mir, „dieses Ziel hast du schon erreicht“.

Uschi: Und was macht diese Persönlichkeit aus? Wie hast du dir das damals vorgestellt?

Sylvia: Ich wollte jemand sein, den man respektiert, jemand mit Rückgrat. Jemand, der sich nicht mit dem Wind dreht. Ich finde schon, dass ich eine Persönlichkeit bin.

Uschi: Auf einer Zufriedenheitsskala von 1 bis 10 betrachtet. Wie zufrieden bist du zur Zeit mit deinem Leben?

Sylvia: Ich habe gerade drei Wochen Urlaub hinter mir………. ich würde sagen 8. In entspanntem Zustand. Sonst könnte vielleicht 7 daraus werden. Aber weniger nicht.

Das Gespräch wurde am 27. Dezember 2013 in Linz geführt.

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