Halbe-Halbe

Seit eineinhalb Jahren teilt sich Angela Haushalt und Kinderbetreuung mit ihrem Mann. Sie arbeiten beide Teilzeit.

Uschi: Hat sich durch deinen Wiedereinstieg in deinen Beruf als Sprachtherapeutin die Beziehung verändert? Ich behaupte ja, dass so ein Leben in finanzieller Abhängigkeit auch Auswirkungen auf die Partnerschaft hat.

Angela: Mit dem Halbe-Halbe-Modell jetzt ist es stimmig für mich. Wobei ich wirklich merke, dass ich mich ein Stück weit abhängig gemacht hatte. Ich brauche jetzt den Austausch auf Augenhöhe und möchte, dass wir ebenbürtig sind. Das habe ich zwischendurch nicht so gespürt, da gab es zwischendurch schon ein Gefälle. Ob das wirklich mit meiner Erwerbstätigkeit zusammenhängt, kann ich nicht genau sagen. Jedenfalls haben wir jetzt mehr qualitätsvolle Zeit miteinander und es ist dazu noch einmal das Interesse aneinander gestiegen.

Ehrenamt

Dass Angela lange gezögert hatte, bevor sie ihre Arbeitsbewilligung in der Schweiz beantragte und sich schließlich für eine Stelle bewarb, führt sie unter anderem darauf zurück, dass sich mit den Jahren eine gewisse Unsicherheit eingestellt hatte, ob sie in ihrem Beruf noch gut genug wäre. Und ein wenig auch auf eine Art Bequemlichkeit.

Angela: Ich hatte es mir ja gut eingerichtet. Und ich hatte noch viele Ideen, wie ich die ehrenamtlichen Tätigkeiten ausbauen könnte. Wenn ich im Ehrenamt tätig bin, habe ich zwar schon den Anspruch gut zu sein, aber da werde ich weniger von anderen gemessen. Das ist ja auch eine sehr angenehme Art zu leben. Angela

Angela engagierte sich in der Kirchgemeinde, gestaltete Gottesdienste, verrichtete Lektorendienste und rief einige Projekte für Kinder beziehungsweise für Eltern und ihre Kinder ins Leben.

Angela: Ein Grund dafür war natürlich, dass mich Haushalt und Familie dann doch nicht ausfüllten und ich meine Talente einsetzen wollte. Ich kann zum Beispiel gut organisieren. Aber natürlich steht man bei der Arbeit im Ehrenamt nicht so unter Beobachtung, ist nicht so sehr unter Druck und damit auch freier.

Uschi: Schon zehn Jahre vor der sogenannten Flüchtlingskrise hast du in St. Gallen einen Mittagstisch für Flüchtlinge organisiert.

Angela: Damals hatten viele Afrikaner, vor allem aus Nigeria, Äthiopien und Guinea in der Schweiz um Asyl angesucht und wurden in einer Art Schnellverfahren abgefertigt. Sie kamen in Notunterkünften unter, in denen sie nur nachts bleiben durften. Wir wollten ihnen einen Ort bieten, an dem sie willkommen waren, eine warme Mahlzeit bekamen und an dem sie darüber reden konnten, was sie beschäftigte. Einen Ort, an dem sie ihre Geschichten erzählen konnten.

Angela arbeitete damals nicht nur mit ehrenamtlichen Mitarbeitern aus dem kirchlichen Bereich, sondern auch aus der linken Szene zusammen. Der „Mittagstisch“ wurde gut angenommen, heute ist daraus ein größeres Projekt erwachsen. Es gibt ein richtiges Haus, die Möglichkeit zu Sprachkursen und handwerklicher Arbeit. Allerdings sind seit damals auch viele Asylsuchende abgeschoben worden.

Angela: Mich hat diese Zeit schon geprägt. Ich habe damals viele Geschichten gehört und sicher waren viele dabei, die ich nicht überprüfen konnte. Aber ich habe für mich daraus gelernt, nicht schnell mit Vorurteilen zu sein. Ich finde, dass auch Menschen, die zum Beispiel aus wirtschaftlicher Not flüchten, das Recht haben, einen Ort zum Leben zu finden. Einen Ort, an dem sie Arbeit und ihr Auskommen haben. Was nicht heißt, dass ich für die Situation, die wir jetzt erleben, politische Lösungen hätte……

Sprachverlust

Uschi: Du hast Diplom-Pädagogik in Köln mit Schwerpunkt Sprachheilpädagogik studiert. Dabei geht es darum, Menschen mit sprachlichen Behinderungen zu begleiten. Dieser Beruf hat viel mit sozialer Kompetenz zu tun.

Angela: In erster Linie musst du zu dem Menschen, den du begleitest, eine Beziehung aufbauen. Wenn du das gut schaffst, dann ist das mehr wert, als jegliche fachliche Kompetenz, die du noch mitbringst. Es ist auch über Studien nur schwer messbar, was den therapeutischen Erfolg bringt. Ist das wirklich die fachliche Kompetenz, oder liegt es daran, dass jemand dem anderen sehr empathisch begegnet und für den anderen da ist?

Uschi: Darin bist du gut?

Angela: Ja, das war mit ein Grund, warum ich mich getraut habe, jetzt in einen anderen Bereich zu wechseln.

Uschi: Du hast ursprünglich mit Menschen gearbeitet, die nach einem Unfall Sprachprobleme hatten. Seit deinem Wiedereinstieg arbeitest du mit Kindern, die wahrnehmungsgestört, autistisch sind. Das erfordert schon eine neue Herangehensweise.

Angela: Ja, da ist vieles neu, ich mache Weiterbildungen und es ist sehr anstrengend, in der Arbeit mit den Kindern so präsent zu sein. Ich muss zum Beispiel aushalten, dass ein Kind, das nicht spricht, mich beißen, mich kneifen will. Das tut es aber nicht, weil es gehässig ist, sondern weil ich es nicht schaffe ihm ein Umfeld zu geben, in dem es genügend Sicherheit hat, in dem es sich gut spürt. Es ist meine Aufgabe ein gutes Setting herzustellen. Das bringt mich immer wieder an Grenzen.

Uschi: Macht dir das auch Freude?

Angela: Ja, wenn ich morgens in die Schule fahre, freue ich mich auf die meisten Kinder; bei einigen habe ich Bauchschmerzen. Aber ich weiß, dass sich gerade bei diesen Kindern meine Anspannung eins zu eins überträgt. Das fordert mich besonders. Ich finde es schön an der Schule zu arbeiten, wir haben eine gute Atmosphäre und ein gutes Miteinander. Wobei ich in der Begegnung mit diesen schon sehr speziellen Kindern merke, dass sehr viel Menschenfreundlichkeit in mir steckt. Ich spüre außerdem deutlich, wie liebenswürdig jedes einzelne Kind für sich ist.

Angela empfindet ihren Beruf als Herausforderung und stellt dabei hohe Ansprüche an sich. Sie kann sich auch vorstellen, irgendwann wieder mit Menschen zu arbeiten, die durch eine Gehirnverletzung eine Aphasie, also eine Art Sprachverlust erlitten haben. Bei diesen Patienten ist die Kommunikationsfähigkeit sehr eingeschränkt.

Angela: Mich würde die Arbeit im Umfeld dieser Patienten interessieren. Ich würde gerne im System, in dem sie leben, arbeiten. Also zum Beispiel gemeinsam überlegen, wie man die Kommunikation verbessern kann. Dabei geht es darum, eine gute Verständigung möglich zu machen, obwohl sowohl Sprache als auch Verständnis eingeschränkt sind. In solchen Familien kommt es häufig zu Missverständnissen, weil das, was der Patient sagt, gar nicht rüberkommt.

.....und außerdem:

Uschi: In unserem Gespräch geht es viel um Beziehung, um Familie. Natürlich sind Kinder ein sehr wichtiger Teil in einem Elternleben. Ist es für dich eine Lebensaufgabe?

Angela: Eher eine Aufgabe auf Zeit. Ich wünsche es meinen Kindern, dass sie irgendwann selbständig im Leben stehen, natürlich gibt es dann noch eine Verbindung, eine Beziehung, hoffe ich jedenfalls. Aber für mich gibt es mehr Menschen und Aufgaben, die wichtig sind in meinem Leben. Arbeit und Freunde haben einen großen Stellenwert und auch das Leben in der Kirchgemeinde. Im Moment sind die Kinder noch abhängig von unserer Begleitung und Unterstützung, aber ich freue mich darauf, dass wir einmal für uns als Paar und für andere Aufgaben mehr Zeit haben werden.

Uschi: Bist du Feministin?

Angela: Ich finde es erschreckend, dass Appenzell Innerrhoden das Frauenwahlrecht erst 1990 eingeführte. Darüber kann ich mich aufregen, genauso wie ich nicht hinnehmen möchte, dass Frauen in vergleichbaren Tätigkeiten schlechter als Männer verdienen. Frauenthemen sind mir nicht gleichgültig. Als Feministin bezeichne ich mich nicht, weil ich da mehr tun, mich mehr engagieren, zum Beispiel zu Demos gehen müsste. Ich finde, ich dürfte mich nur dann Feministin nennen, wenn ich mehr Engagement zeigen würde.

Uschi: Auf einer Zufriedenheits-Skala von 1 bis 10 betrachtet. Wie zufrieden bist du zur Zeit mit deinem Leben?

Angela: Acht

 

Hallo Gott

Uschi: Dein Mann ist evangelischer Pfarrer, der zur Zeit als Krankenhausseelsorger arbeitet. Welche Rolle spielt denn die Religion in deinem, beziehungsweise in eurem Leben?

Angela: Eine ganz immanent wichtige. Ich arbeite immer wieder daran, den Glauben zu erden, also herauszufinden, wie ich Alltag und Glauben miteinander verknüpfen kann. Zum Beispiel hilft es mir in einer schwierigen Situation mit einem Schüler, ein Stoßgebet zu verrichten. Das ist zwar kein Automatismus, aber ich weiß, wenn ich das tue, dann erlebe ich anderes, als wenn ich in dieser Spannung bleibe. Grundsätzlich glaube ich, dass es Gott gibt, dass er mein Schöpfer ist und dass ich getragen bin und er möchte, dass ich ein erfülltes Leben habe. Davon gehe ist fest aus.

Uschi: Keine Zweifel?

Angela: Nein. Ich kann nicht sicher sagen, ob ich nicht doch zweifeln würde, wenn mir bestimmte Dinge im Leben begegnen würden, aber jetzt gehe ich davon aus, dass das Bestand hat. Es gab immer schon ein Grundvertrauen. Ich bin so erzogen worden und aufgewachsen, meine Geschwister und ich sind mit biblischen Geschichten groß geworden.

Uschi: Das heißt, es wäre kein anderer Partner für dich denkbar?

Angela: Theoretisch schon, aber ich kriege bei Freundinnen mit, dass es schwierig ist, wenn du den Glauben nicht mit deinem Partner teilen kannst. Es ist einfacher so und es ist schön, das miteinander zu leben. Wir sprechen auch unseren Kindern am Abend den Segen zu, tragen im Gebet vor, was uns am Tag Freude, was Sorge gemacht hat, was uns ärgert. Wir lesen mit ihnen biblische Geschichten, aber auf eine recht zwanglose Art und Weise. Unser Sohn zum Beispiel meinte eines Tages, er möchte „Hallo Gott machen“, also mit uns zusammen beten. Das kam von ihm, ohne dass wir es vorher schon einmal so gemacht hätten. Und seitdem machen wir abends „Hallo Gott“.

Leben mit Freunden

Zur Zeit ist Angelas Leben ziemlich ausgefüllt. Für die Zukunft kann sie sich vorstellen, bei Kulturveranstaltungen auf Schloss Dottenwil mitzuarbeiten. Dieses Schloss mit Blick auf den Bodensee und den Berg Säntis ist ein spezieller Ort für sie. Allerdings denkt sie weniger daran, Jazzkonzerte, Liederabende oder Ausstellungen dort zu organisieren, sondern möchte, so wie andere Freiwillige, Gäste bedienen.

Angela: Ich bin gerne Gastgeberin, und immer wenn ich dort oben bin, denke ich, dass ich daran Spaß hätte.Angela

Uschi: Die kulturelle Arbeit interessiert dich nicht?

Angela: Eher als Besucherin. In den letzten Jahren räume ich der Kultur mehr Platz in meinem Leben ein. Ich habe eine Frauengruppe gegründet, mit der ich viel ins Theater und in Konzerte gehe. Es ist schön mit den Frauen anschließend darüber ins Gespräch zu kommen und sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen.

Uschi: Du bist gerne in einer Gruppe. Du gehst in der Gruppe ins Theater, du meditierst im Rahmen von Schweigewochen in der Gruppe, du kochst gerne für Freundinnen und Freunde.

Angela: Ich finde es einfach schön, das Leben mit anderen Menschen zu teilen. Nicht nur innerhalb der Familie für sich zu bleiben. Das Zusammensein mit Freundinnen und Freunden ist ein guter Ausgleich zu den Pflichten und Forderungen des Alltags. Da darf ich locker sein und einfach einmal Blödsinn reden. Aber Freunde sind mir nicht nur innerhalb der Gruppe wichtig. Von einer, für mich wichtigen, Freundin bekomme ich zum Beispiel viele Impulse, sie ist ein Korrektiv für mich und manchmal spielt sie auch Abfalleimer für mich, wenn die Dinge nicht so gut laufen.

Die Reise nach Jerusalem

2024 möchte Angela gemeinsam mit ihrem Mann nach Jerusalem fahren. Diese Reise soll drei bis vier Monate dauern.

Angela: Mein Leben verläuft in einem Zehn-Jahres-Rhythmus: Ich habe zehn Jahre in meinem ersten Beruf gearbeitet, dann war ich zehn Jahre zu Hause und nach ungefähr zehn Jahren an meiner jetzigen Stelle wäre ein guter Zeitpunkt zu überlegen, was als nächstes dran ist. Wir gehen davon aus, dass das eine Schnittstelle dafür sein könnte, wie es weitergehen soll. Wie und wo wir arbeiten wollen und welche Schwerpunkte wir setzen wollen. Das muss nicht zwangsläufig eine Reise sein, aber es ist ein schöner Gedanke, dass wir diese Fahrt nach Israel machen, wo wir schon einmal gemeinsam waren und an einer Ausgrabung gearbeitet haben.

Uschi: Soll das eine Art Pilgerreise sein?

Angela: Ja, insofern, als ich mir schlüssig werden will, wo ich mit meinem Leben hin will. Ich will offen sein für Gottesbegegnungen. Für das, was ich im Alltag nicht erlebe.

Das Gespräch wurde am 12. April 2016 in Sovicille in Italien geführt.

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