Sie ist Tischlermeisterin und Doktorin der Philosophie. Östliche Meditation ist ihr Heimat. Als junge Frau musste sie den Verlust eines Kindes verkraften. Dass Österreich in der Bundeshymne zur Heimat großer Töchter wurde, ist auch ihr zu verdanken.


Von der Tischlerin zur Philosophin

Uschi: Du warst Taxilenkerin und Tischlerin, bist Doktorin der Philosophie und Qi Gong-Lehrerin, du hast Holzarbeiten im Wald verrichtet, Tischlerinnen ausgebildet und Kunstwissenschaft studiert, du bist Mitgründerin eines Unternehmens für gesunde Schuhe, Sozial-und Lebensberaterin und du hast feministische Projekte geleitet - und das sind noch nicht alle deine Berufe und Ausbildungen, die du bisher ausgeübt und absolviert hast. - Was treibt dich?Alexandra Gusetti

Alexandra: Als junge Frau die Not zu überleben, sowohl finanziell als auch psychisch. Später wurde die Not dann zu Interesse. Und es begegneten und begegnen mir Menschen und Themen, mit denen ich mich dann beschäftige.

Uschi: Ich habe dich als Qi Gong-Lehrerin kennengelernt. Und diese Beschäftigung mit Körperarbeit und östlichem Denken scheint ein ganz zentraler Punkt in deinem Leben. „Qi ist mir Heimat“, hast du einmal gesagt.

Alexandra: Ja, das ist die Basis meines Lebens. Dabei aber schwierig zu beschreiben. Es ist eine Form von Erfahrung. Eine Insel, auf die ich immer wieder zurückkomme. Die Praxis der daoistischen Meditation hat mich immer befriedigt. Das ist die Grundnahrung meines Lebensprozesses. Ich habe damit etwas gefunden, das mich stabiler macht.

Uschi: Du hast im Alter von 40 Jahren ein Philosophiestudium begonnen und auch abgeschlossen, dein Lebensweg hat allerdings anfangs in eine andere Richtung gezeigt. Du hast schon vor der Matura das Handtuch geworfen.

Alexandra: Das ist für mich auch immer noch nachvollziehbar und logisch. Mein Bildungshunger wurde im Gymnasium überhaupt nicht befriedigt. Ich hatte das Gefühl zu wenig zu lernen und dort meine Zeit zu versitzen.

Uschi: Wonach hat dich gedürstet? Was ist dir abgegangen?

Alexandra: Es wurde alles immer nur angerissen und dann wurden - zum Beispiel in Deutsch - im Frontalunterricht irgendwelche lebensferne Stücke durchgenommen. Auch in den naturwissenschaftlichen Fächern hatte alles so wenig mit dem Leben zu tun. Man hat den Stoff halt auswendig gelernt. Ich wollte aber alles wirklich begreifen. Nicht nur lernen.

Plötzlicher Kindstod

Alexandra heiratete mit 18, schloss sich der Hippiebewegung an und führte ein alternatives Leben auf dem Land. Mit 19 brachte sie ihre Tochter Hanna zur Welt. Kurz darauf gründete sie mit ihrem Mann und einem anderen Ehepaar ein Unternehmen aus dem später die Firma GEA wurde, - ein Unternehmen, das mit gesunden Schuhen und anderen Produkten sehr erfolgreich war und ist. Doch schon bald erkannte Alexandra, dass sie dieses Leben unglücklich machte.

Alexandra: Das Leben als junge Frau war sehr schwierig für mich. Durch den Schulabbruch und das Übersiedeln aufs Land hatte ich keine Kontakte mehr und fühlte mich in meinem Mutterdasein sehr isoliert. Eine furchtbare Zeit. Aus meinem sehr großen Anspruch an eine Liebesbeziehung wurde eine ebenso große Enttäuschung. Ich war in einem Leben gelandet, das ich so nie gewollt habe. Ich hatte meine Eigenständigkeit verloren, war finanziell abhängig. Ein Klassiker eigentlich. Ich hatte das Gefühl, dass ich nichts schaffe. Fühlte mich verloren. War orientierungslos. Es war nicht mein Leben, mit dem Essen zu Hause auf den Mann zu warten. Die Ehe ging recht schnell in die Brüche, wir waren beide sehr unzufrieden.

Alexandra begann erste Frauenbücher zu lesen und feministische Veranstaltungen zu besuchen. Frauenfreundschaften entstanden und sie bemerkte, dass es anderen Frauen ähnlich erging wie ihr. Sie zog in eine Wohngemeinschaft, hatte aber immer noch Kontakt zum Vater ihrer Tochter und wurde wieder schwanger.

Alexandra: Ich hatte eine unglaublich schwierige Schwangerschaft, eine Schilddrüsenerkrankung wurde bei mir diagnostiziert, die Ärzte sprachen von einer sehr schweren Behinderung des Kindes und meinten, ich würde die Geburt nicht überleben. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich es schaffen würde. Ich war in dieser Zeit fast immer im Krankenhaus und das war schon recht zermürbend.

Etwas zu früh kam Alexandras Sohn gesund zur Welt. Die Ärzte entschuldigten sich für ihre falschen Diagnosen.

Alexandra: Man weiß zwar nicht viel über plötzlichen Kindstod, aber ich kann mir schon vorstellen, dass es eine Rolle spielt, wenn sich ein Kind als Ungeborenes so viel mitmacht und dass die psychische Belastung der Mutter auch begünstigend sein kann. Mein Sohn starb mit dreieinhalb Monaten. Bis dahin hatten wir drei, meine Tochter, mein Sohn und ich eine sehr schön Zeit, obwohl die Umstände nicht glücklich waren.

„Eine Mama macht sowas nicht!“

Alexandra suchte nach der schnellstmöglichen Gelegenheit Geld zu verdienen und machte den Taxischein. Innerhalb von vier Wochen hatte sie einen Beruf, der ihr ermöglichen sollte, mit Hanna zu überleben. Alexandra Gusetti

Alexandra: Aber ich hatte diesen unendlichen Schmerz in mir. Und dann entwickelte sich eine große Angst davor, Hanna zu verlieren. Eine Woche nachdem mein Sohn gestorben war, bekam die neue Frau meines Ex-Mannes ein Kind. Er war ja auch der Vater von Hanna und meinem Sohn. Hanna war in der Zeit, in der ich im Krankenhaus war, viel bei ihm. Außerdem glaubte ich, er wäre viel stärker als ich und dass ich das alles ohnehin nicht schaffe. Und dann habe ich ihm Hanna überlassen. Ich habe mein dreijähriges Kind bei ihm abgeliefert. Ich dachte, da ist eine Familie, die besser für das Kind sorgen kann und ich würde mein Leben irgendwie weiterleben.

Uschi: Mit dem Gedanken das Kind ganz bei ihm zu lassen?

Alexandra: Ja, ich hatte die irreale Angst, dass ich sie früher oder später sowieso verlieren würde. Hier hätte sie so etwas wie eine heile Familie und ich wäre eine Besuchsmutter.
Dann habe ich mich exzessiv ins Leben gestürzt. Nach einem Monat bin ich aufgewacht und habe bemerkt, dass ich einen der größten Fehler meines Lebens begangen habe.

Uschi: Worauf führst du das alles zurück?

Alexandra: Im Nachhinein denke ich, dass ich schwer depressiv war und unter Angst- und Panikattacken gelitten habe, aber damals war ich mir dessen nicht bewusst. Dieser Schmerz um mein verstorbenes Kind war extrem traumatisierend. Und als mir bewusst wurde, was ich getan hatte, musste ich feststellen, dass es nicht mehr umkehrbar war. Es gab kein Erbarmen. Weder vom Kindesvater noch vom Jugendamt. Es gab kein Erbarmen mit dieser jungen Frau, die wahrscheinlich einfach Unterstützung mit ihrem Kind gebraucht hätte. Das war das Härteste, das ich je erlebt habe.

Uschi: Du hattest mit der Weggabe des Kindes eines der größten gesellschaftlichen Tabus überhaupt gebrochen: „Eine Mama macht so etwas nicht.“

Alexandra: Ja genau. „Das ist einfach verwerflich.“ Es war so schlimm zu bemerken, dass ich einfach nichts mehr machen konnte. „Dieser labilen jungen Frau, die sich nicht im Griff hat, kann man kein Kind anvertrauen.“ Aus heutiger Sicht mag es ja stimmen, dass ich labil und verzweifelt war. Ich hätte wahrscheinlich so eine Unterstützung gebraucht, wie es sie heute gibt. Und der Vater hat sich damals sicher auch einfach Sorgen um unser Kind gemacht. Aber für mich war es trotzdem hart und brutal.

Alexandra begann zu kämpfen. Sie gab ihren Beruf als Taxifahrerin auf und zog in eine Kooperative auf dem Land. Die Einfachheit des Lebens und die Waldarbeit halfen ihr und sie konnte ihr Kind, quasi unter Aufsicht, regelmäßig sehen. Hanna lebte sieben Jahre bei ihrem Vater.

Alexandra Gusetti

Geboren 1962 in Linz

1980 Mitgründung Firma GEA Linz

1989 Mitgründung Verein Fragile, heute VFQ: Gesellschaft für Frauen und Qualifikation

Ausbildung Tischlerei, Abschluss 1990 mit Tischlermeisterin

Ausbildungen in Qi Gong und Taichi, Beratung, Coaching, Persönlichkeitsarbeit

Studium der Philosophie-und Kunstwissenschaften in Linz und Wien, Promotion 2010

2011erfüllte sich Alexandra, die bisher Tschom hieß, einen lange gehegten Wunsch und nahm den Mädchennamen ihrer Mutter an

Bücher:

Therapeutisches Qi Gong. Die Kunst der Arbeit mit Qi, VL Bacopa

Die Kunst des Qi Gong und Tai Chi - Alte Wege neu beschreiten, VL Theseus

Kopfüber in die Natur - Können wir lernen Natur zu sein?, VL Der blaue Reiter

Ein neues Talent

In der Zeit, in der Alexandra auf dem Land lebte, arbeitete sie bei einem Förster.

Alexandra: Das war zum Teil massive körperliche Arbeit. Das bedeutete am Abend müde zu sein und wieder schlafen zu können. Das alles hat mir geholfen. Dann habe ich mich für eine Ausbildung zur Tischlerin entschieden. Ich kann mich erinnern, dass ich viele Bücher über Tischlerei verschlungen habe. Ich genoss es, etwas lernen zu dürfen und zu können.

Uschi: Dann hast du mit Holz im feministischen Kontext zu arbeiten begonnen. Gemeinsam mit einigen Freundinnen hast du das Frauenprojekt „Fragile“ gegründet, in dem Tischlerinnen ausgebildet wurden. Was hat dir an dieser Arbeit Freude gemacht?

Alexandra: Das war für mich eine Form von Lebendigkeit. Da gab es plötzlich wieder Leidenschaft und ich habe es körperlich und psychisch auch geschafft, obwohl ich eigentlich nie so richtig gesund war. Ich habe zum Beispiel ständig unter Allergien gelitten und war sehr verletzlich und leicht zu erschüttern, aber ich bekam wieder Boden unter den Füßen.

Uschi: Das passte damals, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, ja ganz gut. Das war die Zeit für feministische Projekte wie dieses.

Alexandra: Ja, da hatte ich auch Glück. Es war die richtige Ausbildung zur richtigen Zeit und es waren die richtigen Menschen, die mir begegnet sind. Dann entdeckte ich meine Gabe zu unterrichten. Ich hatte die Verantwortung für den Tischlerinnenkurs und musste Mathematik, Technik und alles Mögliche unterrichten, was ich mir ja erst selbst beibringen musste. Und dieser Spaß am Unterrichten und Vermitteln ist mir geblieben. Ich hatte mein pädagogisches Talent entdeckt.

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